«Ich bin total happy», sprudelt es aus Jsabella Koller (56) heraus, als sie von ihrem neuen Job erzählt. Die 56-Jährige hat auf dem Arbeitsmarkt seit Jahren zu kämpfen, hangelt sich von einem schlecht bezahlten Übergangsjob zum nächsten. Mal ist es eine zeitlich befristete Mutterschaftsvertretung. Mal ein Job im Stundenlohn ohne Garantie auf ausreichend Arbeitseinsätze, um die Miete zu bezahlen. Kollers Verzweiflung war so gross, dass sie Mitte Februar im Blick einen öffentlichen Appell an die Schweizer Arbeitgeber richtete: «Ich will arbeiten, aber man gibt mir nicht die Chance dazu.»
Das hat gefruchtet: Koller beginnt im April eine neue Stelle bei Streuli Technologies, einem KMU, das Präzisionswerkzeuge aus Birmensdorf ZH in die ganze Welt liefert. «Endlich eine 100-Prozent-Stelle, endlich ein geregeltes Einkommen», freut sich Koller.
Nach Familienpause den Anschluss verpasst
Geschäftsinhaber Walter Streuli (79) hat den Blick-Artikel über Jsabella Koller zufällig gelesen. «Ich habe mich bei ihr gemeldet, sie zum Vorstellungsgespräch eingeladen, und es hat menschlich direkt gepasst.»
Andere Arbeitgeber zählen Koller mit ihren 56 Jahren bereits zum Alteisen. Erschwerend kommt hinzu, dass Koller sich 16 Jahre lang um Haushalt und Familie kümmerte. Als ihr Mann starb, musste sie unvermittelt wieder in den Arbeitsmarkt einsteigen.
Vor der Mutterschaftspause arbeitete sie im Bankenbereich und an der Börse – doch ihrer Kenntnisse im Beruf waren nach 16 Jahren Pause veraltet. Arbeitgeber beteuern zwar, vermehrt in Mütter investieren zu wollen, um sie nach der Familienpause wieder fit für den Arbeitsmarkt zu machen. Jsabella Kollers Beispiel beweist, dass es oft nur Lippenbekenntnisse sind.
Teurer, aber erfahrener
«Ich habe Angestellte gesetzteren Alters schon immer bevorzugt», sagt hingegen Walter Streuli. Ältere Arbeitnehmende seien aufgrund der hohen Pensionskassen-Beiträge zwar teurer als jüngere. «Aber sie bringen mehr Wissen und Erfahrung mit, das wiegt die Kosten bei weitem wieder auf.»
Dass andere Arbeitgeber über den Fachkräftemangel klagen und gleichzeitig ältere Bewerber aussortieren, stösst Koller sauer auf. «Ich hoffe, dass die Firmen jetzt wirklich anfangen, umzudenken!» In ihrem Umfeld habe sie nach dem Blick-Bericht viel Zuspruch erhalten. «Ich habe wohl vielen Leuten aus dem Herzen gesprochen.»
Walter Streuli feiert bald seinen 80. Geburtstag. Er will im Unternehmen kürzertreten – und zählt dafür fortan auf Jsabella Kollers Unterstützung. «Ich mache Assistenzarbeiten, kümmere mich um E-Mails, helfe bei Import und Export mit oder packe im Lager mit an», erzählt die 56-Jährige. Dass sie für die neue Stelle einen Arbeitsweg von rund einer Stunde von Stäfa nach Birmensdorf in Kauf nehmen muss, stört sie nicht. «Für diesen Job mache ich das gerne!»