Sie heissen Dreilinden, Neugrüen oder Esterli-Flöösch: Die Überbauungen liegen in Langenthal BE, Mellingen AG und Stauffen AG und stehen für den Leerstand, der vor allem in den ländlichen Regionen der Schweiz herrscht. Im September verkündete das Bundesamt für Statistik (BFS) den höchsten Leerstand seit 20 Jahren: 72'294 Wohnungen stehen in der Schweiz leer. Das entspricht einer durchschnittlichen Leerwohnungsziffer von 1,6 Prozent.
Die Immobilienberatungsfirma IAZI hat nun eine eigene Rechnung aufgestellt. Und kommt zu dem Ergebnis: Der Leerstand ist viel grösser als gedacht. Statt bei 1,6 Prozent liegt die Leerstandsziffer bei 3,8 Prozent. Statt Leerstand spricht IAZI von «nicht realisierten Mieten». Diese setzen sich aus dem Leerstand, Rabatten, die Vermieter ihren Mietern gewähren und Mietzinsausfällen zusammen. «Wir definieren Leerstand anders als das BFS. Faktoren, die zu Mietzinsausfällen führen, sollten mitberücksichtig werden», erklärt IAZI-CEO Donato Scognamiglio (48).
Eine Million Einfamilienhäuser fallen aus der Rechnung
Die Leerwohnungsziffer beschreibt den prozentualen Anteil leer stehender Wohnungen am Gesamtwohnungsbestand. Das BFS bezieht sich dabei auf die registerbasierte Gebäude- und Wohnungsstatistik und bezieht die Anzahl leer stehender Wohnungen und Häuser über die Gemeinden. Stichtag der Auswertung ist der erste Juni eines jeden Jahres.
Doch warum kommt IAZI auf eine so viel höhere Ziffer? «Das BFS dividiert die leeren Wohneinheiten durch den Gesamtbestand an Wohneinheiten. Doch rund eine Million davon sind Einfamilienhäuser, die selten vermietet werden können und somit in der Rechnung vernachlässigt werden müssten», sagt Scognamiglio. Die Immobilienberatungsfirma wertet die Daten ihrer Kunden aus, die rund 80 Prozent aller Renditeliegenschaften im Besitze grosser Schweizer Immobilieneigentümer abdecken. Und hat so einen direkten Einblick auf den Schweizer Wohnungsmarkt.
«Das BFS kennt die Berechnungen von IAZI nicht und kann daher keine Einschätzung dazu geben», sagt ein Sprecher des BFS.
Im Tessin herrscht der grösste Leerstand
Die Brennpunkte ähneln zwar denen des BFS: Die Kantone Solothurn und Aargau weisen mit 7,7 und 7,2 Prozent (BFS: 3,0 und 2,7 Prozent) eine hohe Leerstandsziffer auf. Doch liegt das Tessin mit einer IAZI-Ziffer von 9,4 Prozent statt der 2,0 Prozent vom BFS weit vorne. Und statt der 1 Prozent in Zürich kommt die Immobilienberatungsfirma auf 3,1 Prozent. All diese Zahlen seien auf die unterschiedliche Berechnungsweise, Datenlage sowie auf die Vernachlässigung der genannten einen Million an Einfamilienhäusern zurückzuführen, sagt der CEO
«Die Leerwohnungsziffer ist eine hochpolitische Zahl», sagt Scognamiglio. Dem Mieter gebe sie das Recht, den Anfangsmietzins innert 30 Tagen nach Übernahme der Mietsache anzufechten. Dies gehe nur bei einer tiefen Ziffer, nämlich dann, wenn auf dem örtlichen Markt Wohnungsnot herrsche, so der Experte. Dies bestätigt auch der Mieterinnen- und Mieterverband: Je höher die Leerwohnungsziffer, desto geringer sei die Chance der Mieter den Mietzins anzufechten, heisst es auf Anfrage. Vor allem in Zürich, wo Wohnungsnot herrsche, sei eine hohe Leerstandsziffer nicht hilfreich.
Mieten werden weiter sinken
Für Mieter sei die höhere Leerstandsziffer von IAZI aber dennoch eine gute Nachricht, sagt Scognamiglio. «Der Druck, die Wohnungen zu vermieten, steigt und das hat automatisch Auswirkungen auf den Mietzins.» Er werde weiter sinken.