Roche Verwaltungsratspräsident Christoph Franz (60) wagt zusammen mit den Co-Autoren Elgar Fleisch (53), Andreas Herrmann (56) und Annette Mönninghoff (33) einen Blick in die Kristallkugel und skizziert die digitale Zukunft der Medizin. Im Zentrum steht dabei der Kampf gegen die wichtigsten fünf chronischen Krankheiten (u.a. Herz-Kreislauf- und Atemwegs-Erkrankungen oder Diabetes), die hohe Kosten und viel Leid verursachen. Die Autorin und Autoren zeigen auf, wie auch dank der Digitalisierung aus der «Reparaturmedizin» eine «Vorsorgemedizin» entstehen kann. BLICK präsentiert für seine Leserinnen und Leser exklusiv drei Kapitel in leicht gekürzter Form. Hier lesen Sie den ersten Auszug:
Die personalisierte Medizin ist eine der bedeutsamsten Entwicklungen im Gesundheitssystem der Zukunft – die Einheitstherapie gehört der Vergangenheit an. Die Therapie der Zukunft fusst auf allen über einen Patienten gesammelten Daten sowie auf dem Welt-Medizinwissen; so können Therapien individuell auf den Patienten zugeschnitten werden.
Drei Entwicklungen sind dafür verantwortlich. Erstens spielen die Entschlüsselung der DNA und das daraus gewonnene Wissen über den genetischen «Fingerabdruck» eines Menschen und die Auswirkungen auf dessen Gesundheit eine wichtige Rolle. Das Genom lässt sich dank digitaler Unterstützung ohne grossen Kosten- und Zeitaufwand immer günstiger entschlüsseln. Zusammen mit einem verbesserten Wissen in der Molekularbiologie erlaubt dieser wissenschaftliche Fortschritt Behandlungen für immer genauer zugeschnittene Patientengruppen.
Individualisierte Behandlung verspricht Erfolg
Zweitens ermöglichen es die in Datenbanken gesammelten Informationen (vom Genom bis zum Fitnesstracker), Menschen und ihre Gesundheit immer besser und umfassender zu verstehen und daher wichtige Fragen zu beantworten: Warum reagieren verschiedene Personen unterschiedlich auf die gleiche Therapie? Wie sollten Therapien angepasst werden, um den Erfolg zu verbessern?
Wir sind davon überzeugt, dass die bisherigen standardisierten Behandlungsleitlinien nach und nach überarbeitet werden. Stattdessen entstehen zunehmend individualisierbare Behandlungsleitlinien, die auf verschiedene Patienten- oder Krankheitstypen eingehen können. Diese individualisiertere Behandlung kann hinsichtlich der Heilungschancen erfolgreicher und zudem kosteneffizienter sein.
Drittens sind die Entwicklungen in der künstlichen Intelligenz und die exponentiell gestiegene Rechenkraft von Computern ein wichtiger Treiber der personalisierten Medizin. Immer schlauere Algorithmen helfen, Datenmuster in Realweltdatenbanken zu identifizieren und diese zu interpretieren. Der Erfolg von Pharmafirmen hängt künftig nicht nur von den besten Biologen und Chemikerinnen, sondern auch von den besten Softwareingenieuren und dem Zugang zur besten Gesundheitsdatenbank ab.
Weniger Kosten, weniger Leid
Was bringt die personalisierte Medizin? Zuallererst eine bessere Behandlung für jeden Einzelnen. In der Krebstherapie analysiert man die Tumore schon heute immer häufiger auf molekularer Ebene, um zu bestimmen, auf welche Therapie sie voraussichtlich am besten ansprechen. Des Weiteren bringt die personalisierte Medizin auch Effizienzgewinne. Zurzeit werden viele Medikamente grossflächig verabreicht und nach dem Prinzip Versuch und Irrtum auch Personen verordnet, bei denen sie gar nicht wirken.
Je besser die personalisierte Medizin wird, desto schneller können Medikamente und Therapien zielgerichtet eingesetzt werden. Die Personalisierung von Medikamenten wird deren Wirksamkeit drastisch erhöhen und Nebenwirkungen minimieren. Dies kann die Kosteneffizienz steigern und menschliches Leid verhindern.
Aber die personalisierte Medizin bringt auch erhebliche Herausforderungen mit sich. Zulassungsregeln für Medikamente und Vergütungssysteme müssen reformiert werden, angepasst an die auf immer kleinere Patientengruppen zugeschnittene Vorsorge und Therapie. Digitale Diagnostikgeräte erfordern neue Regularien. Ausserdem kommen hier der Datenschutz und die Freiheitsrechte des Patienten ins Spiel.
Gentests werden zum Standard
Wie umgehen mit all den Krankheitsdaten, die erhoben und systematisch ausgewertet werden? Wie umgehen mit Patienten, die einen Gentest machen, um einen bestimmten Sachverhalt abzuklären, und dabei durch Zufall herausfinden, dass sie Träger einer schweren Erbkrankheit sind? Wie schützen wir das Recht auf Nicht-Wissen-Wollen?
Gentests und weitere Methoden des medizinischen «Profilings» werden in der Gesundheitswelt von morgen wohl zum Standard der Diagnostik, ähnlich wie es Bluttests heute sind. Ein wichtiger Grundsatz kann sein: Gentests müssen immer ärztlich begleitet werden. Der Staat ist gefragt, klare Regeln und Qualitätsstandards für die Do-it-yourself-Gentests zu schaffen. Bei Gentests handelt es sich um komplexe Verfahren, und die Antworten, die sie auf medizinische Fragen geben, sind oft nicht schwarz oder weiss, sondern liegen im Graubereich.
Europa muss zusammenarbeiten
Auch die wirtschaftliche Dimension der personalisierten oder Präzisionsmedizin darf nicht vergessen werden. Sie wird immer mehr zum Standortthema. Es gilt: Je grösser die Datenbank, je umfangreicher und qualitativ hochwertiger die Daten sind, desto grösser werden die medizinischen Erkenntnischancen und die potenziellen wirtschaftlichen Vorteile. China und die USA führen das globale Wettrennen an, beide mit dem Ziel, diesen neuen und vielversprechenden Bereich der Medizin zu dominieren.
Auch in der EU hat man seit 2016 das Konsortium ICPerMed ins Leben gerufen, in dem auch die Schweiz und Kanada mitwirken. Ziel ist es, der Fragmentierung im europäischen Markt entgegenzuwirken und Lösungen und Kooperationen zu entwickeln, damit auch Europa eine führende Rolle im neuen Innovationsfeld der personalisierten Medizin einnimmt.
Lesen Sie morgen: Warum Patienten jetzt an die Macht kommen – und in der Pflicht stehen
Das Buch «Die digitale Pille. Eine Reise in die Zukunft unseres Gesundheitssystems» erscheint im Campus Verlag und ist ab dem 10. Februar im Handel erhältlich (288 Seiten, ca. 48 Franken, E-Book ca. 35 Franken)
Christoph Franz (60) ist seit 2014 Präsident des Verwaltungsrats des Pharmakonzerns Roche. Der studierte Wirtschaftsingenieur stieg bei der Lufthansa ein. Dann folgten zehn Jahre bei der Deutschen Bahn. Von 2004 bis 2009 war er Chef der Swiss. Bei der Übernahme durch Lufthansa 2007 hat Franz die Airline profitabel gemacht. Zwischen 2011 und 2014 präsidierte er die Swiss-Mutter-Airline Lufthansa. Der eingebürgerte Schweizer ist verheiratet und Vater von fünf Kindern. Er lebt in Zürich.
Christoph Franz (60) ist seit 2014 Präsident des Verwaltungsrats des Pharmakonzerns Roche. Der studierte Wirtschaftsingenieur stieg bei der Lufthansa ein. Dann folgten zehn Jahre bei der Deutschen Bahn. Von 2004 bis 2009 war er Chef der Swiss. Bei der Übernahme durch Lufthansa 2007 hat Franz die Airline profitabel gemacht. Zwischen 2011 und 2014 präsidierte er die Swiss-Mutter-Airline Lufthansa. Der eingebürgerte Schweizer ist verheiratet und Vater von fünf Kindern. Er lebt in Zürich.