BLICK: Herr Grübel, die Investoren werfen Bankaktien in ganz Europa auf den Markt. Erstaunt Sie das?
Oswald Grübel: Der Absturz der Bankaktien erstaunt mich nicht sonderlich.
Warum?
Italiens Finanzindustrie wackelt, die Banken sitzen auf einem Berg fauler Kredite. Milliardenabschreiber drohen den Kreditinstituten. Die Märkte befürchten, dass das Land einspringen und seine Banken rekapitalisieren muss.
Stehen wir vor einer neuen Finanzkrise?
Wir stehen wohl nicht vor einer Finanzkrise. Italien und der Brexit könnten aber eine Bankenkrise in Europa auslösen. Deshalb würde ich eher von einer Eurokrise sprechen.
Warum kommt gerade die Aktie der Credit Suisse unter die Räder?
Schauen Sie sich die gesamte Marktkapitalisierung unserer Grossbanken an. Die ist bei der Credit Suisse noch bei 21 Milliarden Franken, bei der UBS bei 46 Milliarden. Wie schon immer bewerten die Anleger die Aktien nach zukünftigen Gewinnaussichten.
Und die sehen gar nicht rosig aus!
Bei diesen Marktkapitalisierungen müsste man bei der CS mindestens zwei Milliarden Gewinn erwarten, bei der UBS vier bis fünf Milliarden Franken. Die Anleger realisieren, dass die Gewinne der Banken in Zukunft nicht so hoch sein werden, wie sie erwartet haben. Das führt zu einer Anpassung.
Was heisst das heisst für die Aktienkurse?
Die Aktienkurse der CS und UBS könnten noch weiter sinken.
Die CS-Aktie hat seit dem Amtsantritt von CEO Tidjane Thiam vor einem Jahr 60 Prozent verloren, der Börsenwert hat sich halbiert.
Das ist dramatisch, besonders wenn man CS-Aktionär ist.
Halten Sie eigentlich noch viele CS-Aktien?
Als ich bei der CS weg bin, habe ich alle meine Titel verkauft. Ich habe schon lange keine CS-Aktien mehr, aber ich bin immer noch ein treuer Kunde (lacht).
Die CS-Aktie gibts jetzt für ein Zehnernötli. Sollte man sie nun kaufen?
Es kann sein, dass wir nahe an den Tiefs sind, aber der Trend für alle Bankaktien zeigt derzeit noch weiter nach unten.
Ist der Grund für den CS-Absturz, dass keiner versteht, wo der CEO und sein Präsident Urs Rohner die Grossbank hinsteuern?
Das mag sein. Aber ich glaube, dass die Aktionäre viel rationaler denken und darauf fokussiert sind, wie viel Profit die Bank in Zukunft erwirtschaften kann.
Urs Rohner gilt als Wackelpräsident. Viele wären froh, die CS hätte Oswald Grübel als Präsident wieder. Kommts zum Comeback?
(Lacht) Ich stehe nicht mehr zu Verfügung. Ich bin pensioniert und viel zu alt, um so etwas noch zu tun. Zudem bin ich noch ein Banker der alten Schule. Heute sind wir in einem wundervollen neuen Zeitalter, da habe ich nichts mehr zu suchen.
Wie sieht es aus mit Ex-Nationalbankpräsident Philipp Hildebrand für die CS-Führung?
Das müssen Sie schon ihn selbst fragen.
Wäre seine Rückkehr aus London zur CS in Zürich realistisch?
Ich wäre überrascht, wenn er zurückkäme. Beim Vermögensverwalter Blackrock hat er im Moment einen besseren Job.
Droht bei der CS ein zweiter Fall UBS?
Die Welt ist heute eine ganz andere als vor sechs Jahren, die Banken haben viel mehr Kapital. Man hat heute auch mehr Erfahrung, wie man mit Liquiditätsproblemen umgehen kann. Deshalb schliesse ich aus, dass die CS zu einem zweiten Fall UBS wird und der Staat eingreifen muss.
Oswald Grübel (72) ist ein Banker der alten Schule. Er übernahm 2002 den CEO-Posten der Credit Suisse, sanierte die Bank und übergab das Amt im Mai 2007 an Brady Dougan (56). Der Amerikaner wiederum übergab das CEO-Zepter am 1. Juli 2015 an Tidjane Thiam (53). Nach der CS sanierte Grübel als CEO auch die UBS, bis er dort am 24. September 2011 mit sofortiger Wirkung zurücktrat.