Kurzarbeit, Streiks, Massenentlassungen, demotivierte und untreue Mitarbeiter: Das partnerschaftliche Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in der Schweiz hat in den vergangenen Jahren arg gelitten. Nicht zuletzt deshalb ist jahrzehntelange Firmentreue selten geworden. Doch es gibt sie, und sie hat ein Gesicht.
Zum Beispiel Thomas Wyrsch (58). Seit 1978 arbeitet der Fahrdienstleiter in verschiedenen Funktionen für die SBB. «Der Beruf ist ausserordentlich interessant und abwechslungsreich», sagt Wyrsch. Honoriert wurde seine Treue zum 40. Dienstjahr mit einem vollen Monatslohn zusätzlich.
Kein Grund, die Firma zu wechseln
Gar seit 1974 verdient Roland Barth (62) seine Brötchen bei Ikea. Er koordiniert Aktivitäten im Nachhaltigkeitsbereich für das schwedische Möbelhaus. Für ihn habe es nie einen Grund gegeben, die Firma zu wechseln. «Weil mir bei Ikea immer alle Möglichkeiten offenstanden», sagt Barth. Für das 20- und 30-Jahr-Jubiläum gab es für Barth jeweils zwei Monatslöhne.
Viel erlebt hat auch Roland Stadelmann (63). Der Senior-Projektleiter Netzbau bei Swisscom sagt: «Die Möglichkeiten, die ich bei Swisscom hatte, hätte mir kein anderer Arbeitgeber bieten können.» Er sei begeistert von der Unternehmenskultur und seinen flotten Kollegen.
Weder Dankeschön noch Händedruck
Es ist offensichtlich: Kein Unternehmen wünscht sich unzufriedene Mitarbeiter. «Langjähriges Engagement wird deshalb geschätzt, weil Leute, die schon lange in einem Unternehmen arbeiten, die Abläufe bestens kennen», sagt Unia-Sprecher Pepo Hofstetter. «Personalwechsel bringen immer auch einen Verlust von Know-how mit sich.»
Trotzdem gibt es auch arg knausrige Unternehmen in der Schweiz, wie ein BLICK-Aufruf zeigt. So zum Beispiel die Firma Müller in Conthey VS. «Seit über 30 Jahren arbeite ich für die Giesserei. Leider habe ich noch nie etwas bekommen, weder ein Dankeschön noch einen Händedruck», moniert ein Mitarbeiter.
Frust auch bei der Apparatebaufirma Mavag in Neunkirch SH: Eine Angestellte kritisiert, dass es zum zehnjährigen Jubiläum nicht einmal einen Blumenstrauss gab. Die Firma schreibt auf ihrer Homepage vollmundig: «Langjährige Erfahrung und hochqualifizierte, motivierte Mitarbeiter sind die Grundlage für innovative, wirtschaftliche Lösungen.»
Mehr als nur Dienst nach Vorschrift
Auch bei Coca-Cola Schweiz scheint Treue nicht viel wert zu sein. Das schreibt eine Mitarbeiterin, die seit über 30 Jahren für die Brausefirma in Brüttisellen ZH arbeitet. Honoriert wurde ihre langjährige Treue mit gerade mal 700 Franken.
Die Unternehmen wollten die Kritik ihrer Mitarbeiter nicht kommentieren.
Firmentreue hält auch Arbeitspsychologe Markus Grutsch (44) von der Fachhochschule St. Gallen für belohnenswert. Er sagt aber auch: «Zusätzlich zur Leistung darf der Arbeitgeber erwarten, dass sich die Angestellten mit dem Unternehmen identifizieren – und mehr leisten als nur Dienst nach Vorschrift.»