Erstmals seit Jahren weniger Schnäppchenjäger in Deutschland
Starker Euro stoppt Einkaufs-Touristen

Dem stärkeren Euro sei Dank! Im letzten Jahr liessen sich erstmals wieder weniger Schweizer Euroland-Shopper Formulare für die Mehrwertsteuer-Rückerstattung ausstellen. Ein Indiz für einen rückläufigen Einkaufstourismus.
Publiziert: 20.04.2018 um 23:34 Uhr
|
Aktualisiert: 13.09.2018 um 05:22 Uhr
1/6
Erstmals seit mindestens einem Jahrzehnt geht der Einkaufstourismus wieder zurück. Das zeigen Zahlen aus Baden-Württemberg. 2017 wurden dort gut 500'000 Ausfuhrscheine weniger abgestempelt.
Foto: THOMAS LÜTHI / HEG
Ulrich Rotzinger, Julia Fritsche

Die grosse Schnäppchenjagd in Deutschland ist vorbei! Zwar brachten Schweizer Einkaufstouristen auch im letzten Jahr die Zollbeamten ins Schwitzen. Jedoch nicht mehr so stark wie im Rekordjahr 2016.

Das besagen neue Zahlen der deutschen Generalzolldirektion für 2017 zur Mehrwertsteuer-Deklaration von Auslandseinkäufen der Schweizer, die BLICK exklusiv vorliegen. Sie zeigen an, dass der Einkaufstourismus erstmals seit mindestens einem Jahrzehnt wieder zurückgeht.

Die Zahlen für das Bundesland Baden-Württemberg: 17,3 Millionen Ausfuhrscheine liessen sich Schweizer für ihre Einkäufe in Konstanz, Singen, Stuttgart und Co. im Jahr 2017 abstempeln, um die deutsche Mehrwertsteuer von 19 Prozent zu kassieren. Das sind gut 500'000 sogenannte grüne Zettel weniger als im Vorjahr (–2,8 Prozent). Deutschlandweit sank die Zahl um 400'000 auf 22,9 Millionen abgestempelter Ausfuhrscheine.

Foto: Infografik

Aufatmen in der Schweiz

Die baden-württembergischen Hauptzollämter Singen und Lörrach, die die Grenzübergänge entlang der Schweizer Grenze abdecken, bestätigen den Rückgang der Eidgenossen, ohne eigene Resultate herauszugeben: «Die Zahlen für 2017 sind bei uns im Vergleich zum Vorjahr erstmalig, seit vielen Jahren, leicht rückläufig», sagt Sprecherin Antje Bendel vom Hauptzollamt Lörrach aber.

Die neuen Zahlen freuen Schweizer Detailhändler. Denn über 10 Milliarden Franken lassen Schweizer Konsumenten jährlich in den Kassen jenseits der Grenzen liegen. Der ganz grosse Run ins Ausland ist vorbei, sagt auch Bertram Paganini (63), Handelsexperte der Industrie- und Handelskammer Hochrhein-Bodensee. «Die Einzelhändler berichten von rückläufigen Umsätzen mit Schweizer Kunden im Jahr 2017 und auch bis April 2018», sagt Paganini zu BLICK. «Der Einkaufstourismus hat sich auch in diesem Jahr weiter abgeschwächt.»

Den Einkaufstourismus gedämpft hat Aufwertung des Euro gegenüber dem Franken. Seit Anfang 2017 hat sich der Euro gegenüber dem Franken um elf Prozent verteuert. Am Freitag stieg die EU-Gemeinschaftswährung kurzzeitig gar über Marke von 1.20 Franken (2.008 Franken!). So schwach war der Franken zuletzt vor 1194 Tagen. Damals, am 15. Januar 2015, schockte die Spitze der Schweizerischen Nationalbank (SNB) die Welt mit der Aufhebung des Mindestkurses. In der Folge erstarkte der Franken massiv.

Die Zeit der Euroschwäche scheint vorbei: Die Marke von 1.20 Franken pro Euro ist wieder in Griffnähe.
Foto: LAURENT GILLIERON

Touristen droht die Euro-Hölle

Das ist nun Geschichte. UBS-Devisenexperte Thomas Flury (53) erwartet, dass die Frankenschwäche anhält. In zwölf Monaten sehe er den Euro-Kurs bei 1.22 Franken, sagt Flury zu BLICK. Analysten sehen den Grund bei der SNB-Geldpolitik und der politischen Stabilität innerhalb der EU. Für Schweizer wird es so künftig massiv teurer, im Euroland einzukaufen. Neben den Einkaufstouristen, die besonders in den Grenzregionen unterwegs sind, betrifft dies auch Touristen. 

Die Jahre 2015, 2016 und 2017 waren für Schweizer im Europa-Urlaub paradiesisch günstig. Nun droht die Euro-Hölle. Beispiel: Plant man für dieses Jahr die gleiche Reise wie im Vorjahr, dann kostet sie im Moment über elf Prozent mehr. Ob die beliebten Mallorca-Ferien noch drinliegen, prüfen Familien nun wohl doppelt. 

Ausweichen hilft nicht immer. So werden beim Reiseanbieter Helvetic Tours Leistungen in Ägypten und der Türkei seit längerer Zeit mehrheitlich in Euro abgerechnet.

Heimische Händler und den hiesigen Tourismus dürfte der erstmalige Rückgang des Einkaufstourismus und die Euro-Stärke dafür doppelt freuen.

Hat die Nationalbank jetzt nichts mehr zu tun?

Der Euro hat wieder die 1.20-Franken-Marke erreicht – nicht zur Freude der Schweizer Touristen, für die Ferien im Euro-Land teurer werden. Laut UBS-Devisenexperte Thomas Flury (53) steht die Schweiz an einem kritischen Punkt. Ausgangspunkt seien drei Szenarien: «Entweder springt der Kurs schnell auf 1.25 Franken oder er gibt rasch auf 1.15 Franken ab. Es könnte aber auch sein, dass der Kurs einige Zeit bei 1.20 verharrt», sagt Flury.

Am ehesten treffe zu, dass der Wechselkurs länger bei rund 1.20 Franken stabil bleibt, dann werde der Euro noch etwas stärker: «In einem Jahr sehen wir den Euro leicht höher bei 1.22 Franken.»

Geht der Schweizerischen Nationalbank (SNB) nicht die Arbeit aus? «Eigentlich kann sie sich zurücklehnen. Wichtig ist aber, dass die SNB richtig kommuniziert. Damit Investoren wissen, woran sie sind und die Situation auf den Märkten ruhig bleibt», sagt Flury. Der UBS-Experte ist überzeugt, dass der Franken eine Fluchtwährung bleibt. «Er ist noch immer ein sicherer Hafen, nur aktuell sind die Aussichten so gut, dass er nicht angefahren werden muss.»

Dieser Ansicht teilt die SNB-Führung: Die SNB hat es «nicht eilig», ihre Geldpolitik anzupassen, heisst es. Die Situation sei nach wie vor heikel, sagt SNB-Präsident Thomas Jordan (55) in einem Interview mit «Bloomberg TV». Jordan sprach nur wenige Stunden, nachdem der Franken am Donnerstagabend zum ersten Mal seit Anfang Januar 2015 gegenüber dem Euro die Marke von 1.20 Franken durchbrochen hatte.

Der Franken-Rückgang gehe zwar in die «richtige Richtung», die Situation bleibe aber «fragil» und anfällig für Veränderungen von einem Tag auf den anderen. «Also bleiben wir sehr vorsichtig», so der SNB-Chef. «Wir sind überzeugt, dass die derzeitige Geldpolitik noch notwendig ist.» Da die Inflation immer noch niedrig sei, werde die SNB ihre Politik fortsetzten, «so wie sie heute ist.»

Der Euro hat wieder die 1.20-Franken-Marke erreicht – nicht zur Freude der Schweizer Touristen, für die Ferien im Euro-Land teurer werden. Laut UBS-Devisenexperte Thomas Flury (53) steht die Schweiz an einem kritischen Punkt. Ausgangspunkt seien drei Szenarien: «Entweder springt der Kurs schnell auf 1.25 Franken oder er gibt rasch auf 1.15 Franken ab. Es könnte aber auch sein, dass der Kurs einige Zeit bei 1.20 verharrt», sagt Flury.

Am ehesten treffe zu, dass der Wechselkurs länger bei rund 1.20 Franken stabil bleibt, dann werde der Euro noch etwas stärker: «In einem Jahr sehen wir den Euro leicht höher bei 1.22 Franken.»

Geht der Schweizerischen Nationalbank (SNB) nicht die Arbeit aus? «Eigentlich kann sie sich zurücklehnen. Wichtig ist aber, dass die SNB richtig kommuniziert. Damit Investoren wissen, woran sie sind und die Situation auf den Märkten ruhig bleibt», sagt Flury. Der UBS-Experte ist überzeugt, dass der Franken eine Fluchtwährung bleibt. «Er ist noch immer ein sicherer Hafen, nur aktuell sind die Aussichten so gut, dass er nicht angefahren werden muss.»

Dieser Ansicht teilt die SNB-Führung: Die SNB hat es «nicht eilig», ihre Geldpolitik anzupassen, heisst es. Die Situation sei nach wie vor heikel, sagt SNB-Präsident Thomas Jordan (55) in einem Interview mit «Bloomberg TV». Jordan sprach nur wenige Stunden, nachdem der Franken am Donnerstagabend zum ersten Mal seit Anfang Januar 2015 gegenüber dem Euro die Marke von 1.20 Franken durchbrochen hatte.

Der Franken-Rückgang gehe zwar in die «richtige Richtung», die Situation bleibe aber «fragil» und anfällig für Veränderungen von einem Tag auf den anderen. «Also bleiben wir sehr vorsichtig», so der SNB-Chef. «Wir sind überzeugt, dass die derzeitige Geldpolitik noch notwendig ist.» Da die Inflation immer noch niedrig sei, werde die SNB ihre Politik fortsetzten, «so wie sie heute ist.»

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.