Mittwochmittag am Bahnhof in Zermatt VS: Die achtköpfige Reisegruppe China Bamboo und ihre taiwanesische Reiseleiterin Shu Lin Chien (52) sind angekommen. Sie stützen sich auf ihre Rollkoffer. Und sind erledigt.
In den vier Tagen davor rauschten sie durch Rom, Florenz, Bologna, Venedig, Mailand, Monaco, Nizza und Annecy. «Ich dulde keine Reklamationen wegen des engen Zeitplans», sagt Chien. «Sie haben diese Reise so gebucht und wussten, dass Erholung nicht drinliegt.»
Zehn Minuten bleiben fürs Zimmerbeziehen im Hotel, dann gondelt die Gruppe in Richtung Kleines Matterhorn. Plötzlich Aufruhr. «Das ist der Berg aus der Werbung», sagt der Student Chi Zhang (20). Im Fokus der Handykamera – eine normale Fotokamera hat niemand dabei: das Matterhorn. «Ich hatte keine Ahnung, dass es in der Schweiz steht.» Zhang ist mit seiner Freundin, der 26-jährigen Liujiang unterwegs. Ihre Eltern haben die Reisekosten von rund 5000 Franken für insgesamt elf Tage bezahlt: inklusive Transport, Übernachtungen und die meisten Mahlzeiten.
Die Zahl der chinesischen Touristen in der Schweiz steigt seit Jahren. Letztes Jahr waren es zum ersten Mal über eine Million. «Wenn es so weitergeht, erreichen wir schon 2020 die Zwei-Millionen-Grenze», freut sich Batiste Pilet, Länderverantwortlicher für China bei Schweiz Tourismus.
Auf dem Kleinen Matterhorn ist das Restaurant für viele Endstation, in den Schnee wagen sich nur zwei. Alle anderen essen um 16 Uhr Zmittag. «Vorher hat es halt nicht gereicht», sagt die Reiseleiterin. Und sie knipsen durch die Glasscheibe. Zurück im Dorf, wollen alle nur noch eines: schlafen.
Zwischen Salat und Spaghetti mit Tomatensauce und Schweineschnitzel gibt es für die Gruppe Fondue zum Znacht. «Natürlich finden sie es eklig, aber sie müssen probieren», sagt die Reiseleiterin. Widerrede zwecklos. Das Dessert lassen alle stehen, das Bett ruft.
Um 6.15 Uhr am nächsten Morgen schrillt der Wecker. Mit dem Glacier-Express tuckert China Bamboo nach Andermatt UR. Vor der Abfahrt referiert Shu Lin Chien während 20 Minuten: «Ich rede immer an den hässlichen Orten, damit sie sich nachher auf das Schöne konzentrieren können.» Ein Gast schaut dabei eine chinesische TV-Sitcom, zwei andere massieren sich, und die übrigen – schlafen. «Die Schweiz ist ein Paradies. Aber diese Reise macht mich so müde», sagt Xue Fang Lin (30), die dauernd Bilder auf QQ postet, dem chinesischen Facebook.
In Andermatt wartet der italienische Carfahrer und chauffiert die Gruppe nach Luzern. Vor den geplanten zweieinhalb Stunden Sightseeing wird gegessen. Im Asia Town, einem Restaurant im ersten Stock, zwischen Tattoostudio und Frauenarzt. Um 13.30 Uhr sitzt die Gruppe, um 13.35 steht das Essen auf dem Tisch. Hou Jin Min (47), Lehrerin aus Peking, greift zu: «Ich bin so glücklich. Endlich kann ich wieder mit Stäbchen essen!»