Ernüchternde Versuche mit selbstfahrenden Bussen
Noch müssen Postauto-Chauffeure nicht um ihren Job fürchten

Schon zehn Versuche mit selbstfahrenden Fahrzeugen wurden in der Schweiz durchgeführt. Sie brachten wertvolle Erkenntnisse, zeigen aber auch: Für den Alltagsbetrieb genügt die Technologie noch lange nicht.
Publiziert: 03.03.2021 um 12:41 Uhr
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Aktualisiert: 12.04.2021 um 13:51 Uhr
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Laura Andres, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei den Freiburger Verkehrsbetrieben TPF: «Die Lernfähigkeit der Fahrzeuge ist heute noch begrenzt.»
Foto: Zvg

Staatsnahe Unternehmen gelten nicht als Innovationstreiber. Doch bei selbstfahrenden Fahrzeugen ist das ein Vorurteil: Seit 2015 unternahmen Schweizer ÖV-Unternehmen bereits zehn Versuche mit automatisierter Mobilität, vier davon laufen noch, weitere sind geplant.

Getestet wird von Rhein bis Rhone: Durch Neuhausen SH ruckeln ebenso selbstfahrende Busse wie durch Sitten und Genf. Vier regionale Verkehrsbetriebe sind aktiv, hinzu kommen die nationalen Player Postauto und SBB. Bei den Starts sonnen sich Lokalpolitiker und Firmenchefs jeweils im Scheinwerferlicht.

Postauto gehört weltweit zu den Pionieren. Vor fünf Jahren schickte die Post-Tochter erstmals einen selbstfahrenden Bus in Sitten auf einen Rundkurs. Auch die SBB sehen sich als Vorreiterin: Ihr 2019 in Zug durchgeführtes MyShuttle-Projekt sei «schweiz- und sogar europaweit eine herausragende Neuheit», schreiben sie im Abschlussbericht.

Ein Fahrzeug kostet rund 250'000 Franken

Postauto und die Freiburgischen Verkehrsbetriebe (TPF) setzen bei ihren Tests auf Smart Shuttles der französischen Firma Navya. Sie bieten Platz für elf Personen und kosten rund 250'000 Franken. Postauto besitzt vier davon, TPF zwei. Die SBB beschafften einen Bus des ebenfalls französischen Herstellers Easymile.

Die Werbevideos der Firmen zeigen verzückte Menschen, die sich selig lächelnd herumchauffieren lassen. Und tatsächlich: Das Publikum liebt die selbstfahrenden Shuttles. «Bei den Kunden kommen sie sehr gut an», sagt Martina Müggler, Leiterin Strategie und Innovation bei Postauto. Vor allem ältere Menschen schätzten es, wenn sie der Bus bis vor die Wohnung oder den Laden bringe, sagt Laura Andres, Projektverantwortliche bei den TPF.

Dennoch hat die Werbung wenig mit der Realität zu tun. Die Schlussberichte zeigen, dass die Tests mit Problemen und Enttäuschungen gepflastert sind.

Smart Shuttles in Sion: Alle 500 Meter musste der Fahrer eingreifen

Die beiden in Sitten eingesetzten Navya-Shuttles fuhren zwischen 2016 und 2017 über 7000 km und transportierten mehr als 30'000 Menschen. Das tönt eindrücklich, doch die Durchschnittsgeschwindigkeit betrug gerade mal 6,5 km/h. Alle 500 Meter musste die Begleitperson an Bord laut Schlussbericht eingreifen, weil das Büssli stecken blieb.

Das Problem: Die Shuttles folgen einer festgelegten Route, ausweichen oder überholen können sie nicht. Sensoren vergleichen die Umgebung mit den abgespeicherten Daten, schon bei minimalen Abweichungen schlagen sie Alarm. Falsch parkierte Autos, ins Kraut geschossene Pflanzen oder in die Strasse gerollte Güselsäcke werden zu unüberwindbaren Hindernissen.

Die Navya-Büssli kennen zwar die Vortrittsregeln, sie können aber nicht unterscheiden, ob ein Auto parkiert oder im Verkehr ist, ein Fussgänger über die Strasse will oder gerade einen Schwatz mit einem anderen Passanten hält. Das Büssli gewährt in allen Fällen grosszügig Vortritt – und bleibt dann halt stehen, wenn das Auto parkiert ist. Die Fahrzeuge wiesen «ein eher defensives Fahrverhalten auf», steht im Schlussbericht.

Dafür ist der Fahrstil gewöhnungsbedürftig. Die Fahrzeuge seien oft ruppig unterwegs, würden «plötzlich aus für den Laien nicht ersichtlichen Gründen scharf bremsen» oder aber zügig beschleunigen. Die Situationen seien zwar «nicht gefährlich, können aber für die Passagiere unbequem sein oder Zweifel an der Sicherheit auslösen».

MyShuttle in Zug: Passagiere fühlten sich in die Zeit der Pferdekutsche zurückversetzt

Die SBB mussten bei ihrem Versuch in Zug grosse Abstriche bei den einstigen Plänen machen. Von drei Phasen konnte nur die erste durchgeführt werden. Das Fahrzeug wie vorgesehen ohne vorgegebene Route und Fahrplan on demand zirkulieren zu lassen, erwies sich als illusorisch.

Auch die als «europaweite Neuheit» gefeierte Integration in den normalen Verkehr klappte nur ansatzweise: Weil das Büssli so langsam war und den übrigen Verkehr blockierte, durfte es in den Stosszeiten nicht auf die Strasse. Das tiefe Tempo sei für viele Fahrgäste eine Überraschung gewesen, steht im Schlussbericht. Einige hätten sich «in die Zeit der Pferdekutsche zurückversetzt» gefühlt.

Der Pilotversuch hätte der Anstoss für eine breite gesellschaftliche Debatte über intelligente und nachhaltige Mobilität sein sollen. Weil der Easymile-Bus aber schon bei kleinen Hindernissen bockte, erübrigte sich die Diskussion. «Der Fokus des Projekts lag bis zuletzt auf den technischen Herausforderungen», steht ihm Bericht. Das ist eine nette Umschreibung dafür, dass Pannen an der Tagesordnung waren. Das eingesetzte Fahrzeug habe die «technische Maturität für einen Serieneinsatz noch nicht erreicht», lautet das Fazit.

Nicht nur die Automation war störungsanfällig, auch ganz normale Komponenten gingen zu Bruch – offenbar verbaute der Hersteller minderwertige Qualität. Für die Reparatur mussten jeweils Spezialisten aus Toulouse eingeflogen werden, was dazu führte, dass die Linie immer mal wieder für Tage oder Wochen ausfiel.

Unfälle gab es zwar keine, aber die Fahrer mussten regelmässig eingreifen. In einem Fall verlor der Shuttle wegen der spriessenden Vegetation die Orientierung und schaltete in den Sicherheitsmodus von 3 km/h. Dies reichte allerdings nicht, um die Steigung zu bewältigen, worauf der Shuttle ganz abstellte und rückwärts rollte. Ein Notstopp durch den Fahrer verhinderte einen Crash mit Schülern.

Marly: In zwei Jahren wurden keine Fortschritte erzielt

Auch die Freiburger TPF machten bei ihrem Versuch in Marly FR ernüchternde Erfahrungen. Bei knapp der Hälfte des gesamten Einsatzes fuhr der Bus nicht automatisch, sondern wurde vom Fahrer manuell gesteuert, wie aus dem Schlussbericht vom letzten Mai hervorgeht.

In zwei Jahren habe man keine Verbesserung erzielt. Das werfe die Frage auf, ob das anvisierte Ziel der Verkehrsverlagerung realistisch sei. Für einen regulären Betrieb reiche die Verlässlichkeit der Fahrzeuge nicht aus.

«Die Lernfähigkeit der Fahrzeuge ist heute noch begrenzt», sagt die Projektverantwortliche Laura Andres. «Finanziell interessant wird es erst, wenn ein Bus kein Personal mehr braucht. Das wird aber frühestens in zehn Jahren der Fall sein.»

Auch bei Postauto glaubt man nicht an den schnellen Durchbruch. «Um den ÖV mit einem relevanten Angebot zu ergänzen, ist die Technologie noch lange nicht ausgereift», sagt Martina Müggler.

Mittel für weitere Versuche sind knapp

Die Euphorie ist denn auch etwas verflogen. Dennoch haben sich die Versuche aus Sicht der Verantwortlichen gelohnt – wertvoll ist nur schon die Erkenntnis, dass der Übergang zur automatisierten Mobilität kein Selbstläufer ist.

Die Verkehrsbetriebe planen weitere Versuche, doch das Geld ist knapp. «Innovationsförderung ist finanziell knapp bemessen im Regionalverkehr», sagt Martina Müggler. Es gebe zwar gewisse Förderinstrumente von Bund und Kantonen. Die Politik müsse diese aber noch stärken: «Angesichts der schnellen Entwicklung in der Mobilität und der vielfältigen Herausforderungen für den ÖV braucht es weitergehende Lösungen für eine nachhaltige Finanzierung von Innovation im ÖV.»

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