BLICK: Im Jahr 2015 wurden in der Schweiz 63 Milliarden Franken vererbt. Nochmals ein Viertel bis ein Drittel dieses Betrags dürfte ausserdem zu Lebzeiten verschenkt werden. Warum?
Patrizia Kraft: Erbvorbezug ist ein grosser Trend in der Schweiz. Viele Menschen sind heute schon über 60, wenn ihre Eltern sterben. Doch dann brauchen sie das Erbe gar nicht mehr so dringend. Darum helfen viele Menschen ihren Kindern schon früher finanziell aus – dann, wenn sie das Geld nötiger haben.
Der Vorteil dabei: Wenn man alt ist und das Vermögen verschenkt hat, übernimmt Vater Staat die Pflegekosten.
So einfach ist das nicht. Je nach Situation können Kinder verpflichtet werden, diese Kosten zu übernehmen. Das unterscheidet sich aber von Fall zu Fall. Und auch steuerlich ergeben sich beim Erbvorbezug kaum Vorteile. Erbschaftssteuern für direkte Nachkommen kennen aber ohnehin nur noch Appenzell Innerrhoden, Luzern, Neuenburg und die Waadt. Und es spielt dann in der Regel keine Rolle, ob ein Vermögen zu Lebzeiten als Erbvorbezug verschenkt oder nach dem Tod vererbt wurde.
An Erbstreitigkeiten sind schon Familien zerbrochen. Wie geht die Schweiz damit um?
Ich beobachte, dass das Thema Tod nicht mehr so ein Tabuthema ist wie früher. Damit fällt es vielen auch leichter, über das Erbe zu sprechen. Das gilt auch für die ältere Generation. Der wichtigste Faktor zur Vermeidung von späteren Erbstreitigkeiten ist eine gute Nachlassplanung. Konflikte entstehen oft aus mangelnder Transparenz und dem Gefühl einzelner Erben, übergangen worden zu sein.
Stimmt es, dass viele Alte ihr Geld heute lieber verjubeln und noch eine Weltreise machen, statt ein Erbe zu hinterlassen?
Die fitten Alten werden heute von der Werbeindustrie enorm bearbeitet. Sie sind fitter, aktiver und gönnen sich eher etwas als frühere Generationen. Aber sie haben immer noch im Hinterkopf, dass sie ihr Geld nicht einfach verprassen wollen. Sie verspüren eine grosse Verantwortung für ihre Kinder.