Er tritt ein grosses Erbe an
So tickt der neue ABB-Chef Morten Wierod

Was auf den neuen ABB-General Morten Wierod jetzt zukommt, wie er tickt und wie er sich als Konzernleiter profilieren muss.
Publiziert: 07.08.2024 um 11:22 Uhr
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Aktualisiert: 07.08.2024 um 11:56 Uhr
ABB-Chef Morten Wierod 2023 bei der Formel E in Mexico City: Damals war er noch Geschäftsbereichsleiter Elektrifizierung.
Foto: imago/PanoramiC
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Bernhard Fischer
Handelszeitung

Morten Wierod (52) ist ein Norweger nach bestem Klischee: ruhig, überlegt, hört lieber zu, als grosse Reden zu schwingen. Ehemalige ABB-Topmanager beschreiben ihn als analytisch, lösungs- und performanceorientiert. «Er ist kommunikativ, offen, transparent und direkt», sagen die einen. «Er ist bescheiden, hat ein offenes Ohr für alle und ist leistungsgetrieben», sagen andere.

Seit seinem Aufstieg 2019 in die Spitzenränge von ABB galt Wierod als der stille Hoffnungsträger und als Favorit für den Chefposten. Nur fünf Jahre später ist er es: Am 1. August hat Wierod die Stelle als neuer ABB-CEO angetreten. Er folgt Björn Rosengren nach, der bereits gross vorgelegt hat: Unter seiner Führung hat sich der Aktienwert verdoppelt, nachdem das ABB-Papier jahrelang vor sich hin gedümpelt hatte.

Rosengren hatte vor ABB bereits den Maschinen- und Werkzeugbauer Sandvik auf Erfolg getrimmt und beim Bergbautechnikriesen Atlas Copco ein Betriebsmodell schwedischer Art implementiert: Jede Division hat ihre eigene Gewinn- und Verlustrechnung und die Mitverantwortung für den Konzernerfolg.

Rosengrens Konzepte und die grosse Erfahrung in anderen Industriefirmen taugten als Blaupause für ABB. Privatanlegende, Mitarbeitende, Weggefährten von Rosengren und Wierod, Analystinnen und institutionelle Investoren fragen sich deshalb: Wie soll das der Neue noch toppen können? Ist der Chefposten vielleicht eine Nummer zu gross für Wierod? Oder ist der lang gediente ABB-Manager genau die richtige Person, um Rosengrens Kurs fortzusetzen und noch mehr aus dem Geschäft herauszuholen?

Artikel aus der «Handelszeitung»

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Aus Rosengrens Sicht gibt es jedenfalls noch Luft nach oben. Kritische Fragen von Analysten und Analystinnen konterte dieser bereits mit den Worten: «Die Zitrone ist nicht ausgepresst.» Denn man investiere in qualitatives Wachstum, das mit guten Bruttomargen einhergehe.

Internes Gewächs

Wierod ist im Gegensatz zu Rosengren ein ABB-Gewächs. Dort fand er seinen ersten richtigen Job und bedankte sich mit Loyalität: Im September 1998 stieg der Skandinavier frisch von der Uni als Elektrotechniker ein. Nach fast dreissig Jahren ist er immer noch dabei und kennt keinen anderen Betrieb so gut von innen wie ABB. Der Konzern hat sich in dieser Zeit stärker gewandelt als Wierods eigene Karriere.

In 9460 Tagen hat «Sir Morten», wie ihn manche Branchenkollegen nennen, unter insgesamt acht CEOs schon so einiges erlebt: unter Göran Lindahl Kostensenkungen und den Verkauf nicht strategischer Einheiten. Unter Jörgen Centerman und Jürgen Dormann diverse Reorganisationen und Konsolidierungen, die Expansion nach Asien und Osteuropa, Asbestskandale und Rechtsstreitigkeiten.

Fred Kindle fokussierte auf die Expansion in den Nahen Osten und die Erweiterung des Produktportfolios. Seine Nachfolger Joe Hogan und Ulrich Spiesshofer hatten mehr die strategische Erweiterung im Sinn und kauften so massiv zu, dass ABB zu einem Industriekonglomerat heranwuchs.

Erste Rolle in der Konzernleitung

Wierod, damals ein anerkannter Manager unter vielen, bekam vor fünf Jahren unter Spiesshofer seine erste Rolle in der Konzernleitung. Der damalige ABB-Chef war derweil mit seiner eigenen Zukunft im Konzern beschäftigt und musste auf Druck von Investoren und des Boards den Kurs korrigieren. Bis Björn Rosengren ihn ablöste. Morten Wierod liess sich von alledem nicht beirren. Er ging seinen Weg und lieferte verlässlich seine Leistung ab, wozu auch immer der Industrietanker gerade tendierte.

Vor zwei Jahren wurde schliesslich die Leiter für ihn gestellt. Seine bislang höchste operative Position war Chef des Bereichs Antriebstechnik. Zu dieser Zeit führte Tarak Mehta die wichtige Elektrifizierungssparte. Im Frühling 2022 fand man im Konzern aber, es wäre Zeit für eine Rochade: Mehta übernahm die Leitung der Antriebstechnik, Wierod wurde Chef der Prestigeeinheit Elektrifizierung.

Der Wechsel erfolgte zu einem Zeitpunkt, als ABB noch mehrere Veräusserungen plante, darunter den Börsengang der E-Mobility, ein Bereich der Elektrifizierungssparte. Der Börsengang war im Jahr 2021 das zentrale Thema am Kapitalmarkttag der ABB gewesen und für das erste Halbjahr 2022 geplant.

Doch zum Börsengang kam es nicht, weil das Geschäft mutmasslich zu wenig Gewinn abwarf. Nach der Lesart von ABB war das Marktumfeld nicht passend. Beobachterinnen gehen davon aus, dass die oberste Führung Mehta dafür verantwortlich machte. Seine Aussichten auf den Chefposten waren entsprechend nur noch gering. «Das war ein klares Signal an den Markt, dass Morten ein Hauptkandidat für die CEO-Funktion sein würde», erinnert sich ein Weggefährte. Mehta schien im Abseits zu stehen. Nun verlässt er ABB und wird ab September Präsident und Geschäftsleiter des börsenkotierten Wälzlagerherstellers Timken im US-Bundesstaat Ohio.

Wierod hat sich durchgesetzt

Der glückliche Gewinner ist Wierod. Über diverse Managementpositionen hat er sich bei ABB über die Jahre hochgearbeitet. Bei seinen Kollegen und Kolleginnen ist der besonnene Nordländer bisweilen dafür beliebt, statt des Rechenstabs auch mal im Partnerlook und Brokatanzug das Rotweinglas zu schwingen. Er könne eben auch locker sein und nicht nur pragmatisch, sagen Vertraute über ihn.

Doch jetzt wird von ihm mehr erwartet, als gut zu verwalten. Die Fragen sind: Welchen Stempel kann er ABB aufdrücken, wie wird er sich profilieren, welche Vision hat er für ABB? «Geschäftszahlen zu verantworten, das allein reicht für einen CEO nicht aus», sagt ein Weggefährte über Wierod. Er werde die Beziehungen mit den Investoren, mit den Analystinnen, mit den Medien und mit den Stakeholdern pflegen müssen. «Mit diesen hat man als Manager kaum Kontakt, wenn man nicht Konzernchef ist. Das wird für Morten ein Lernprozess und eine Herausforderung sein.» Was ihm dabei aber zugutekomme: «Er kennt das Business von innen.»

Das stimmt auch das Aktionariat zuversichtlich. Bedeutende Teilhaber der ABB würden gerne sehen, wie Wierod die nächste überzeugende Börsenstory abliefert. «Es gibt einen Verwaltungsrat, der ihn dabei unterstützt», sagt ein Aktionär, «Wierod wird die nötige Guidance bekommen, um für die nächste strategische Etappe Akzente zu setzen.»

Wierod plant bereits weitere Zukäufe

Was diese Etappe beinhalten könnte, liess der neue ABB-Chef am Kapitalmarkttag letzten Herbst am ABB-Standort in Frosinone bei Rom anklingen. Dort kam das Thema Akquisitionen gut ein Dutzend Mal zur Sprache. Wierod machte klar, «dass wir in den nächsten Quartalen und in den nächsten Jahren weitere Übernahmen sehen werden».

Marktbeobachterinnen und -beobachter gehen davon aus, dass es dabei weniger um Software als vielmehr um Produktkompetenzen gehen wird. Denn Softwarefirmen, insbesondere jene im so gefragten KI-Bereich, sind derzeit massiv teuer – womöglich zu teuer, sodass sich aktuell ein Zukauf kaum lohnen würde.

Den Sparten Automatisierung und Robotik will Wierod mehr Dynamik verleihen. In diese Bereiche will er «tiefer einsteigen», wie er vor wenigen Wochen vor Investoren erklärte. In der Antriebstechnik und in der Elektrifizierung hat er im operativen Management ja bereits Erfahrung und Expertise.

Verschieden und doch gleich

Und so wie Rosengren die Belegschaft bestärkt und motiviert, wichtige Aufgaben delegiert, klare Zahlenziele vorgibt und erwartet, dass die Performance stimmt, wird es ihm Wierod im ABB-Universum wohl gleichtun. «Die Unterschiede zwischen den beiden sind nicht so gross», sagt ein ABB-Interner, der beide Manager kennt. 

Was dem neuen Chef zudem helfen wird, ist das gute Einvernehmen mit aktiven und ehemaligen einflussreichen Mitgliedern des Verwaltungsrats, mit Präsident Peter Voser, mit Jacob Wallenberg und mit Investor Cevian. Der Austausch mit dem Board der gesamten Gruppe fand in seiner Zeit als Verwaltungsrat von ABB Indien statt. Die Gesellschaft gehört ABB zu 70 Prozent, funktioniert aber eigenständig, mit einem unabhängigen Verwaltungsrat, dem Wierod von Juni 2020 bis Februar 2021 angehörte. Es war eine Zusatzaufgabe für den Chef der Antriebstechnik, bei der er erstmals Verwaltungsratsluft schnupperte.

Bereits als Whizz-Kid mit grossem Führungspotenzial markiert, wird es nach 26 Jahren bei ABB nun die Aufgabe des arrivierten Managers Morten Wierod sein, das fortzuführen, was Rosengren begonnen hat – die Dezentralisierung des Konzerns, die volle Verantwortlichkeit der leitenden Manager gegenüber den Divisionen und eine strenge Leistungs- und Ergebniskontrolle: «Das nennen wir den ABB Way.» So wird Wierod vielleicht doch einmal sagen können: «I did it my way.»

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