Die europäischen Länder denken bei der Windenergie noch zu wenig über die eigenen Staatsgrenzen hinaus. Denn das Problem, das Windstrom vom Wetter abhängt und die Produktion daher schwankt, liesse sich stark vermindern, wenn die Länder eine gesamteuropäische Strategie statt nur ihre jeweiligen nationalen Pläne verfolgen würden. Das berichten Forschende um Heini Wernli von der ETH Zürich mit Kollegen des Imperial College London im Fachblatt «Nature Climate Change».
Die Wissenschaftler kombinierten europaweite Wetterdaten der vergangenen Jahre mit Daten über die Wind- und Solarstromproduktion, wie die ETH Zürich am Montag mitteilte. Dabei griffen sie auf eine an der ETH entwickelte öffentliche Onlineplattform zurück, um die Stromproduktion anhand historischer Wetterdaten zu simulieren.
So berechneten die Forschenden, wie die Windstromproduktion mit sieben in Europa vorherrschenden «Wetterregimen» zusammenhängt. So verursachen einige dieser Regime beispielsweise starke Winde in Westeuropa, aber ruhige Bedingungen in östlicheren Regionen. Bei anderen Regimen bläst der Wind stark in Südeuropa und Nordskandinavien, während sich vom Atlantik her ruhigere Bedingungen über Westeuropa ausbreiten.
«Es gibt kaum eine Wettersituation, bei der es über den ganzen Kontinent hinweg gar keinen Wind gibt und somit ganz Europa das Potenzial für Windenergie fehlt», sagte Studienautor Christian Grams von der ETH gemäss der Mitteilung.
Das derzeitige Problem: Die meisten Windparks konzentrieren sich um die Nordsee herum. Herrscht dort Flaute, bricht die Windstromproduktion ein. Und das dürfte sich so schnell nicht ändern, da die Länder meistens ihre nationalen Strategien verfolgen, anstatt zusammenzuarbeiten. So konzentrieren sich die Ausbaupläne wiederum ebenfalls auf den Nordseeraum.
Die Schwankungen dürften somit noch extremer werden: Die Produktion bei guten Windverhältnissen und bei Flaute würden sich um bis zu 100 Gigawatt - der Kapazität von rund 100 Atomkraftwerken - unterscheiden, schrieb die ETH.
Würden die Länder indes die europaweiten Wetterverhältnisse beachten und entsprechend den Ausbau der Windenergie planen, liessen sich die Schwankungen laut den Forschenden auf rund 20 Gigawatt begrenzen. Günstige Standorte wären etwa der Balkan, Griechenland, der westliche Mittelmeerraum sowie Nordskandinavien, denn dort würde der Wind genügend stark wehen, wenn über der Nordsee Flaute herrscht - und umgekehrt.
Die mehrtägigen Lücken in der Stromproduktion stattdessen durch Speicherung mit Batterien oder Pumpspeicherseen in den Alpen auszugleichen, werten die Studienautoren indes als schwierig. Eine derart grosse Speicherkapazität sei voraussichtlich auch in den nächsten Jahren nicht verfügbar. Die derzeitigen Speichermöglichkeiten seien besser geeignet, kurzfristige Schwankungen im Rahmen von Stunden bis zu wenigen Tagen auszugleichen.
Eine grossräumigere Verteilung der Windparks in Europa würde aber auch den Ausbau eines gesamteuropäischen Übertragungsnetzes erfordern. Dies könne wiederum eine Chance für die Schweiz sein, halten die Wissenschaftler fest. Nämlich um ihre Wasserkraftkapazitäten ökonomischer zu nutzen und kurzfristige Schwankungen im europäischen erneuerbaren Energiesystem auszugleichen.