Eine Schweiz ohne Atomstrom?
Sonnenkraft ist wirtschaftlich am sinnvollsten – aber der Preis ...

Über ein Drittel des in der Schweiz produzierten Stroms stammt aus Kernkraftwerken. Das soll sich ändern. Dank erneuerbarer Energien, besonders der Sonnenkraft.
Publiziert: 20.04.2019 um 09:53 Uhr
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Das Kernkraftwerk Mühleberg wird Ende Jahr als erstes der vier Schweizer AKW vom Netz gehen.
Foto: Keystone
Julia Fritsche
Julia FritscheWirtschafts-Redaktorin

Gehts eigentlich ohne Atomstrom? Für die Schweiz muss diese Frage mit Ja beantwortet werden. Denn die Energiestrategie 2050, die das Stimmvolk 2017 abgesegnete, lässt keine Wahl. Der Bau neuer Kernkraftwerke ist verboten und das jüngste der vier AKW wird 2019 schon 35 Jahre alt.

Die Energiestrategie sieht vor, dass erneuerbare Energien gefördert werden – etwa Wind- oder Sonnenenergie. Damit auch ohne Atomenergie keine Blackouts zu befürchten sind. Auch die Abhängigkeit vom Ausland und damit möglicherweise von ausländischem Atomstrom soll nicht grösser werden.

Was gilt es zu ersetzen?

Im vergangenen Jahr sank der Stromverbrauch vor allem wegen des warmen Wetters, wie neuste Zahlen des Bundesamts für Energie zeigen. 2018 verbrauchte die Schweiz 57,6 Milliarden Kilowattstunden (kWh). Dazu kommen 4,3 Milliarden kWh, die beim Übertragen und Verteilen verloren gingen. Die Effizienzziele der Energiestrategie sehen vor, dass der Stromverbrauch in Zukunft weiter sinkt, auf 13 Prozent unter das Niveau von 2000. 

Die Gesamtproduktion lag mit 67,5 Milliarden kWh über dem Verbrauch. Es überrascht deshalb nicht, dass die Schweiz 2018 netto mehr exportierte als importierte. Tendenziell höher sind Importe im Winter, weil dann Wasserkraftwerke weniger Strom erzeugen. Doch zwischen der Schweiz und dem Ausland herrscht ein ständiges Geben und Nehmen. Was hierzulande an Strom produziert wird, fliesst ins europäische Stromnetz, von dem die Schweiz ein Teil ist.

Wasserkraft trägt 55,4 Prozent zur Stromproduktion bei

2018 trugen Kernkraftwerke 36,1 Prozent oder 24,4 Milliarden kWh zur Stromproduktion bei. Erneuerbare Energien deutlich unter zehn Prozent. Der Anteil Solarenergie betrug gesamtschweizerisch 2,75 Prozent. Während Wasserkraft mit 55,4 Prozent den grössten Teil beisteuerte. Aktuell also können wir auf Atomstrom nicht verzichten.

2017 gingen 3,7 Milliarden kWh aufs Konto von erneuerbaren Energien. Diese Produktion müsste sich versechsfachen, um Atomstrom zu ersetzen.

Die Anlagen müssten zudem mit Überkapazität gebaut werden, denn der Wind weht und die Sonne scheint nicht konstant. Für den Ausgleich bei Produktionsschwankungen müssen etwa Pumpspeicher-Kraftwerke sorgen.

Woher kommt das Geld?

Die Stromverbraucher tragen mit dem Netzzuschlag zur Förderung von erneuerbaren Energien bei. Aktuell beträgt dieser maximal 2,3 Rappen/kWh. Jährlich kommen so deutlich über eine Milliarde Franken Fördergelder zusammen. Doch wie weit reichten diese Mittel?

Gemäss Simon Banholzer, Experte für Atomenergie bei der Schweizerischen Energie-Stiftung, würde der Ersatz eines AKW durch Fotovoltaikanlagen rund sieben Milliarden Franken kosten. Wenigstens zum Teil könnte dies mit Subventionen finanziert werden.

Die Konzentration auf Fotovoltaik sei wirtschaftlich am sinnvollsten, sagt Banholzer. Würde man den Netzzuschlag auf Solaranlagen ausrichten, wäre der inländische Ersatz aller Kernkraftwerke innert acht Jahren sichergestellt und bezahlt, rechnet er. So schnell muss es nicht gehen, denn das bald 35-jährige Atomkraftwerk Leibstadt etwa dürfte noch deutlich länger am Netz bleiben.

Kein Problem ist das Potenzial der Sonnenkraft. Wie das Bundesamt für Energie diese Woche mitteilte, beträgt das Solarstrompotenzial von Fassaden und Dächern das 40-fache der aktuellen Produktion. Auf der Webseite sonnendach.ch können Schweizer Standorte überprüft werden, wie gut sich dort die Dächer und Fassaden für eine PV-Anlage eignen und auch finanziell lohnen.

Energiekonzerne investieren im Ausland

Heute investieren hauptsächlich Private, die Anlagen zu Hause installieren oder Unternehmen wie die SBB und Migros, die Firmengebäude zur Produktion von Strom aus Sonnenkraft nutzen. Auch Energiekonzerne und Kernkraftwerk-Betreiber wie Alpiq, Axpo und BKW investieren im In- und Ausland in Windparks und Solarstromanlagen. So teilte die Axpo am Donnerstag mit, einen Fotovoltaik-Hersteller und -Betreiber aus Frankreich übernehmen zu wollen.

Fazit: Das Potenzial scheint das kleinste Problem der Schweiz. Die grösseren Hürden sind die Bereitschaft und die Kosten. Für die Axpo liegt es denn auch an den Rahmenbedingungen und am Preis, wie es weitergeht. «Solange der Strompreis tief ist, lohnen sich Investitionen in neue Grossanlagen nicht», sagt Axpo-Sprecher Antonio Sommavilla. Immerhin, der Strompreis hat zuletzt etwas angezogen.

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