Economiesuisse-Chef über den EU-Poker und die Wut auf die Eliten
Sind Sie nahe genug beim Volk, Herr Karrer?

Für die Economiesuisse geht es in den nächsten Monaten um die Wurst.
Publiziert: 19.07.2016 um 20:56 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 18:54 Uhr
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«Es ist notwendig, den Familiennachzug zu beschränken»
Foto: Sabine Wunderlin

SonntagsBlick: Herr Karrer, wir essen eine Bratwurst mitten in Zürich. Sind Sie nahe beim Volk, oder machen Sie das nur fürs Foto?
Heinz Karrer:
Nein, nein, ich liebe Bratwürste. Wann immer ich in St. Gallen bin, ist eine Bratwurst Pflicht. Auch beim Hallenstadion gibt es eine gute. Und im Sommer wird daheim grilliert.

Um die Wurst geht es für Sie auch in den nächsten Monaten: die Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative, das Referendum zur Unternehmenssteuerreform, die US-Wahlen. Fürchten Sie sich schon vor dem heissen Herbst?
Ihre Liste könnte man problemlos noch verlängern. Ich habe grossen Respekt. Es kommen gewichtige Themen auf uns zu.

Besonders unklar ist die Situation mit der EU. Was passiert, wenn es keinen Deal mit Brüssel gibt?
Wir hoffen, dass es zu einer Einigung kommt. Das muss das oberste Ziel sein. Wenn das nicht geht, will der Bundesrat die Masseneinwanderungs-Initiative einseitig mit einer Schutzklausel umsetzen. Wir unterstützen das. Die Alternative – die Verfassung nicht zu respektieren – ist für uns kein Weg.

Am 9. Februar 2017 läuft die Umsetzungsfrist ab. Soll sie verlängert werden?
Irgendwelche Varianten, um die Frist hinauszuzögern, kommen für mich nicht in Frage. Auch weil wir die Teilnahme der Schweiz am EU-Forschungsprogramm Horizon 2020 sicherstellen müssen.

Immer mehr Politiker wollen das Problem anders lösen: über einen Gegenvorschlag zur Rasa-Initiative, die die Streichung des Zuwanderungsartikels verlangt. Sind Sie dafür zu haben?
Nein. Das Parlament muss den Volksauftrag ausführen und den Zuwanderungsartikel umsetzen. Zumal es Spielraum gibt: Der Inländervorrang könnte je nach Arbeitsmarktsituation auf Regionen und Berufsgruppen temporär beschränkt sein, bei den Kontingenten wäre auch eine Kann-Formulierung möglich. Der Bundesrat könnte also die Zuwanderung im Falle von Extremsituationen durch das Anrufen einer Schutzklausel zeitlich beschränken.

Sie wollen so lange Wasser in den Wein giessen, bis man den Alkohol nicht mehr schmeckt.
Nein. Die Zuwanderung muss spürbar gesenkt werden. Doch dazu könnte man auch weitere Massnahmen ergreifen – beim Asylwesen, beim Familiennachzug, bei den Drittstaaten. Die Bevölkerung muss spüren, dass sie ernst genommen wird.

Soll der Familiennachzug beschränkt werden?
Ja, das ist notwendig.

Das Volk wird auch über die Unternehmenssteuerreform III abstimmen. Wie wollen Sie die Leute von einem Ja überzeugen?
Die Reform ist nötig. Wir müssen bisherige Steuerprivilegien abschaffen, weil sie international nicht mehr akzeptiert werden. Um steuerlich attraktiv zu bleiben, müssen wir den Kantonen aber Instrumente an die Hand geben, die die Privilegien ersetzen.

Nur jedes 20. Unternehmen profitiert wirklich von der Reform.
Aber die 24'000 Unternehmen, um die es hier geht, zahlen allein 50 Prozent dessen, was der Bund an Gewinnsteuern einnimmt. Daran hängen auch viele Arbeitsplätze.

Die Gegner sagen, die Reform sei überladen worden.
Im Gegenteil! Die Vorlage ist sehr ausgewogen. Es gibt sogar grosse internationale Unternehmen, die in Zukunft schlechter fahren werden. Hätte man noch weniger gemacht, würde die Schweiz deutlich an Attraktivität verlieren.

Die Zeche bezahlen die kleinen Leute.
Dieses Argument kommt jedes Mal und ist falsch. Das Steueraufkommen hat sich immer parallel zur Wirtschaftsleistung entwickelt. Das zeigt, die Wirtschaft trägt sehr stark dazu bei, die Staatsaufgaben zu finanzieren.

Ist es gerecht, die Steuern für Firmen zu senken und für die Bürger zu erhöhen?
Steueranpassungen gibt es immer wieder. Auch jetzt muss jeder Kanton gut schauen, wie er diese Reform bestmöglich umsetzt. Der Bund stellt schliesslich 1,1 Milliarden Franken zur Verfügung, um die Mindereinnahmen abzufedern.

Entscheidend werden auch die US-Wahlen. Wem drücken Sie die Daumen?
(Lacht) In der Tat, das sind entscheidende Wahlen. Je nach Ausgang kommen zusätzliche extreme Unsicherheiten auf uns zu.

Konkret?
Donald Trump ist unberechenbar.

Ihr Herz schlägt für Hillary?
Mein Herz schlägt für keinen der Kandidaten. Wenn ich mich entscheiden müsste, dann würde ich Clinton wählen.

Warum?
Würde Trump seine Aussagen in die Tat umsetzen, wäre beispielsweise das Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU wohl tot. Die USA würden sich abschotten. Das wäre schlecht für die USA und auch für die Schweiz.

Trump, Brexit, die Populisten in Europa: Wie erklären Sie sich das?
Wenn Regierungen die Sorgen der Bevölkerung zu wenig ernst nehmen, spüren Populisten Aufwind.

Eine wichtige Ursache ist die Globalisierung. Wird sich dieses Problem noch verschärfen?
Es ist paradox: In der Summe profitiert jeder Einzelne vom Freihandel. Das zeigt das Wirtschaftswachstum pro Kopf. Die Löhne steigen, auch in der Schweiz. Trotzdem wird die Globalisierung als Bedrohung empfunden.

Für viele Schweizer ist das verfügbare Einkommen nicht gewachsen. Müsste die Wirtschaft nicht dafür sorgen, dass der Kuchen gerechter verteilt wird?
Ich schliesse nicht aus, dass es mit der Globalisierung auch Verlierer gibt. Aber insgesamt ist der Effekt positiv. Vor zehn Jahren gab es hierzulande viel mehr Tieflohnjobs. Auch im Vergleich mit den USA und Grossbritannien hat sich die Einkommensverteilung ausgeglichen entwickelt. Aber klar, wir müssen vor allem dafür sorgen, dass die Leute Jobs haben.

In den USA und Grossbritannien brummt die Wirtschaft. Trotzdem wählt man Populisten.
Ja, aber die Lohnschere ist viel weiter geöffnet als bei uns. Eine zu grosse Ungleichheit ist schädlich. Sie führt zu enormen Spannungen. Dass viele Leute die Nase voll haben von der Politik, vom Establishment, von den Dynastien, ist unter anderem eine Folge davon.

Sie sind der Inbegriff der Elite. Spüren Sie diesen Unmut über das Establishment?
Ich reise ja prinzipiell mit Zug und Tram. Da werde ich oft angesprochen, meist sehr höflich. Kein Vergleich mit Aggressionen und Gehässigkeiten, die es anderswo gibt.

Aber es kommt vor, dass Sie beschimpft werden?
Ich erhalte schon auch unhöflichere Mails. Aber ich schreibe trotzdem immer zurück oder rufe an.

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