Economiesuisse-Chef Heinz Karrer
Der Bundesrat hat in Brüssel schlecht gepokert

Bei der Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative und bei den Verhandlungen mit der EU tut sich der Bundesrat schwer und holt nicht das Optimum für die Schweizer Wirtschaft heraus, findet Economiesuisse-Chef Heinz Karrer im Interview.
Publiziert: 10.08.2015 um 22:13 Uhr
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Aktualisiert: 28.09.2018 um 18:21 Uhr
Economiesuisse-Boss Heinz Karrer spricht Klartext zur Zuwanderung.
Foto: Keystone
Interview: Christoph Lenz

Herr Karrer, in 18 Monaten muss die SVP-Zuwanderungsinitiative umgesetzt sein. Wo sehen Sie die Schweiz auf diesem Weg?
Heinz Karrer:
Der Bundesrat ist im Zeitplan. Es könnte klappen mit der Umsetzung per Februar 2017. Das Problem: Die vorgesehene Umsetzung ist nicht, wie in der Verfassung festgehalten, wirtschaftsfreundlich. Der Bundesrat hat den Spielraum nicht genutzt.

Würde eine laxere Lösung die Zuwanderung überhaupt senken?
Davon bin ich überzeugt. Wir können die Nettozuwanderung substanziell senken. Dazu sind wir auch verpflichtet, aus Respekt gegenüber dem Volksentscheid.

Wie soll das gelingen?
Die Zuwanderung sollte nicht einfach mit einer fixen Zahl festgeschrieben werden. Da wirken viele Faktoren, nicht zuletzt die Konjunktur. Das sollte berücksichtigt werden, wenn Kontingente eingeführt werden.

Die Wirtschaft stagniert, die Zuwanderung aber ist ungebrochen.
Wer zehn oder zwanzig Jahre zurückschaut, sieht, dass sich die Konjunktur auch in der Einwanderung widerspiegelt. Reden wir Ende Jahr nochmals darüber.

Wirtschaftsvertreter sagen schon seit langem, die Zuwanderungstrendwende stehe kurz bevor.
Ich muss widersprechen. Mit dem starken Franken und den Unsicherheiten im EU-Dossier ist die Ausgangslage viel schwieriger als früher. Das wird sich auch negativ auf die Zuwanderung auswirken.

In Brüssel scheint der Bundesrat keinerlei Fortschritte zu machen.
Es sieht so aus.

Beunruhigt Sie die Blockade?
Ja. Bei der Personenfreizügigkeit hat die EU wenig Spielraum. Leider hat der Bundesrat das von uns eingebrachte Schutzklausel-Konzept in Brüssel viel zu lange nicht mit Nachdruck zur Sprache gebracht.

Wird die neue Verhandlungsstrategie den Durchbruch bringen?
Es macht Sinn, mit dem Partner über alle Themen zu diskutieren. Auch hier hätten wir uns gewünscht, dass der Bundesrat diesen Schritt schon früher gemacht hätte. Beide Seiten haben in den jeweiligen Dossiers ihre Interessen. Da hätte der Bundesrat einige Trümpfe früher ausspielen können. Das hat ja auch Ex-Staatssekretär Michael Ambühl vorgeschlagen.

Hat der Bundesrat Zeit versäumt?
Wir können zwar nicht beurteilen, was hinter verschlossenen Türen diskutiert wurde. Aber ja, vielleicht hat der Schutzklausel-Idee die Offizialität gefehlt.

Sie kritisieren den Bundesrat. Auch die Wirtschaft hatte schon 18 Monate Zeit, etwas zu tun. Doch viele Unternehmen holen weiter hemmungslos Personal aus dem Ausland.
In den letzten Jahren hat die Wirtschaft 300 000 neue Jobs für Schweizer geschaffen. Nach dem 9. Februar haben wir verschiedene Programme aufgegleist. Etwa für Frauen und ältere Arbeitnehmer. Leider werden die Resultate aber nicht von heute auf morgen sichtbar.

Irgendwann muss die Wirtschaft aber Resultate vorweisen können.
Das stimmt. Meine grösste Sorge ist aber die Arbeitslosigkeit. Gott sei Dank gelingt es uns, diese auf tiefem Niveau zu halten, auch dank Investitionen in die Ausbildung.

Christoph Blocher hat Sympathien für eine Schutzklausel-Lösung signalisiert.
Ich bin erfreut, dass auch SVPler, mit denen wir das Schutzklausel-Konzept ebenfalls besprochen haben, die Vorteile dieser Lösung erkennen.

Zugleich droht die SVP aber mit einer Initiative zur Kündigung der Personenfreizügigkeit. Ein doppeltes Spiel?
Es ist das gute Recht jeder Partei, Initiativen zu lancieren. Ich bin aber sehr gespannt, ob die SVP diese Initiative wirklich bringt. Bis es so weit ist, nutzen wir die Zeit, um auf eine wirtschaftsfreundliche Umsetzung der SVP-Initiative hinzuwirken.

Die SVP sei keine Wirtschaftspartei mehr, sagt die Bankiervereinigung. Stimmen Sie zu?
Es liegt nicht an mir, Parteien zu qualifizieren.

Sie haben doch eine Meinung?
Selbstverständlich. Insgesamt stehen sich SVP und Economiesuisse wirtschaftspolitisch recht nahe. Bei Europa haben wir eine grosse Differenz. Das bedaure ich. Aber das ist die Situation.

Also doch eine Wirtschaftspartei.
Abgesehen vom Europa-Thema engagiert sie sich stark.

Welche Parteien sollen im Herbst gewinnen?
Alle, die Wirtschaftsanliegen vertreten.

Also auch die SVP?
Ja, selbstverständlich. Auch die SVP.

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