Der Migros-Koloss befindet sich mitten in einer heftigen Transformationsphase. Der neue Chef Fabrice Zumbrunnen baut in einer Geschwindigkeit um, welche die Belegschaft verunsichert. Eine von Zumbrunnens Botschaften aber verhallte bisher meist ungehört: Die zum Teil harten Massnahmen seien auch deshalb nötig, weil man damit «Mittel für Investitionen in Zukunftsfelder freisetzen» wolle.
Jetzt zeichnet sich erstmals ab, um welche Themen es hier gehen dürfte. Aus der vor drei Monaten gegründeten Firma Migros Digital Solutions stammt ein Projekt, das an die Gründersaga der Firma anknüpfen soll: die zeitgemässe Neuauflage des Verkaufswagens, mit dem Migros-Übervater Gottlieb Duttweiler ab 1925 den Schweizer Detailhandel aufrollte. Eine Ära, die 2007 mit dem letzten Verkaufswagen im Wallis endete.
Der neue Migros-Verkaufswagen, ein Elektromobil, wird seit letztem Monat in der Region Bern unter dem Namen Miacar getestet. «Unser Vorbild sind die Migros-Verkaufswagen von Gottlieb Duttweiler», sagt Migros-Sprecher Luzi Weber. Man habe sich gefragt, wie sich Duttis Vision zeitgemäss umsetzen lasse, und dafür mit vielen Kunden gesprochen. «Auf Basis dieser Analyse haben wir dann ein eigenständiges Konzept erarbeitet.»
Lebensmittel, Bier und Wein
Das Konzept springt auf den notorischen Smartphone-Trend auf. Kunden können ihre Bestellungen per App tätigen. Sie erhalten die georderten Lebensmittel in einem Zeitfenster von einer Stunde auf zwanzig Minuten genau daheim angeliefert. Ab einem Bestellwert von 25 Franken soll die Lieferung kostenlos erfolgen.
Das Angebot, sagt Weber, umfasse die in der Region beliebtesten Artikel aus dem Sortiment von Migros und Denner, «dazu gehören neben frischen Lebensmitteln bislang auch Bier und Wein». Die schweizweite Expansion ist angedacht, so Weber: «Wenn die Erfahrungen für die Kunden positiv sind, ist eine schrittweise Ausdehnung in weitere Regionen der Schweiz vorgesehen.»
Bezüglich Auftritt, Fahrgerät und Liefermodus erinnert Miacar sehr stark an das Konzept des niederländischen Online-Supermarkts Picnic, der derzeit auch in einzelnen Gebieten in Deutschland für Furore sorgt. Eine Blaupause für Dutti reloaded? Migros-intern sieht man Miacar als «eigenständiges Konzept», man habe sich dafür weltweit alle spannenden Liefermodelle für Lebensmittel angeschaut.
Was Migros-Kenner erstaunt: Obwohl die Firma mit Le Shop einen internen Online-Champion besitzt, taucht dieser Name nirgends auf bei Miacar. Das neue Liefervehikel sei keine Konkurrenz zu Le Shop, sagt Weber, weil die beiden Konzepte eine unterschiedliche Kundschaft ansprächen. Beobachter fragen sich aber: Wenn die Migros schon so sehr an ein Konzept mit «ausgewähltem Sortiment, zugeschnitten auf die örtliche Quartierbevölkerung» glaubt: Warum lässt sie diesen Markt dann nicht durch bestehendes E-Commerce-Know-how von Le Shop bewirtschaften? «Die beiden Angebote ergänzen sich», sagt Weber.
Sparrow Ventures will mehr
Miacar ist das erste konkrete Projekt der noch jungen Unternehmenseinheit Migros Digital Solutions. Das erst im August gegründete Zukunftslabor tritt gegen aussen als Sparrow Ventures auf. Stelleninserate, welche dieser Tage online auftauchen, machen klar, dass es der Migros bei dieser Neugründung um viel geht. Sparrow Ventures zeigt sich als Wagniskapitalfirma und Start-up-Ausbrüter und sucht derzeit in bestem Silicon-Valley-Slang nach frischen Köpfen.
Die Firma bietet Arbeitsplätze in Zürich und in München und nennt als hauptsächliche Felder E-Commerce, Logistik, Healthtech und Fintech. Auf diesen Äckern will Zumbrunnen also offenbar säen.
Dieser Artikel wurde in der «Handelszeitung» veröffentlicht. Weitere spannende Artikel finden Sie unter www.handelszeitung.ch.
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