Auf einen Blick
Vor einem Jahr ging für Michael S. ein Traum in Erfüllung. Der Bankangestellte schaffte den Sprung in eine Führungsposition: endlich Teamlead, endlich Führungsverantwortung. Doch zwölf Monate später ist die Ernüchterung gross. Als Bereichsleiter einer grossen Schweizer Bank sieht er sich im Sandwich: Er bekommt den Druck von der oberen Führungsriege, muss diesen abfedern und gleichzeitig die Anliegen seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vertreten. «Lustig ist es nicht», sagt er seufzend und wünscht sich entweder zurück in die vormalige Position – oder noch lieber eine Stufe höher, mit «strategischer und weniger operativer Verantwortung».
So wie Michael S. geht es vielen. Die Middle Manager stehen typischerweise zwischen der Unternehmensleitung und den Teams. Sie agieren als Vermittler zwischen den beiden Welten. Einerseits schützen sie ihre Mitarbeitenden gegen den Druck von oben. Andererseits sind sie es, die genau wegen ihrer Rolle die Überbringer schlechter Nachrichten wie Sparmassnahmen oder Kündigungen sind.
Diese Rolle im Sandwich wiederum erhöht das Stresslevel. Gemäss der «Middle Manager Survey 2023» der Softwarevermittlungsplattform Capterra fühlten sich im vergangenen Jahr global 71 Prozent der Personen im Middle Management «manchmal» oder «immer» überfordert, gestresst oder ausgebrannt. In Grosskonzernen ist der Anteil gestresster Middle Manager noch grösser.
Burnouts nehmen auf Stufe Middle Management zu
Heike Bruch, Professorin für Leadership an der Universität St. Gallen, kennt das Thema nur zu gut: «Middle Manager sind in einem unfassbaren Spagat zwischen unterschiedlichen Anforderungen gefangen.» Es werde von ihnen gefordert, dass sie Kennzahlen und Effizienzanforderungen erreichen. Aber auch, dass sie ihre Mitarbeitenden «empowern», den kulturellen Wandel vorantreiben und Innovation fördern. Hinzu kommen veränderte Anforderungen durch neue Arbeitsstrukturen wie Homeoffice und flexible Arbeitszeiten, agile Arbeitsweisen und komplexe Aufgabenstellungen. «Agilität, Komplexität und Geschwindigkeit steigen. Wenn die Strukturen und Rollen nicht modernisiert werden, stehen Middle Manager oft dazwischen wie Durchlauferhitzer. Und brennen auch öfter aus.»
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Diese Entwicklung nagt am Image einer Führungsposition: «Führung im traditionellen Sinne wird zunehmend unattraktiv. Vor allem Positionen im Middle Management.» Doch ohne Middle Manager funktioniert eine Firma nicht. Ihre Anzahl ist über die letzten Jahrzehnte hinweg stark gestiegen. Laut einer Studie des Gottlieb Duttweiler Instituts (GDI) gibt es heute in der Schweiz etwa dreimal so viele Führungskräfte wie vor dreissig Jahren.
Das veranlasste einzelne grosse Konzerne zu Korrekturen: Der Amazon-Chef Andy Jassy gab jüngst bekannt, dass er das Verhältnis von Mitarbeitenden zu Managern und Managerinnen bis zum Ende des ersten Quartals 2025 um mindestens 15 Prozent erhöhen will. «Weniger Managerinnen zu haben, wird Schichten entfernen und Organisationen flacher machen, als sie es heute sind», so Jassy. Auch die Grossbank HSBC möchte das mittlere Management verschmälern – um Kosten einzusparen. Und Novartis lancierte vor einigen Jahren unter dem Begriff «Unboss» ein Programm, um auf Selbstführung und flachere Hierarchien zu setzen. Heute hört man nichts mehr davon. Denn die Middle-Management-Stufe kann zwar verkleinert, aber nicht aufgelöst werden.
Tipps von der Expertin für die mittlere Stufe
Wie also mit dem mittleren Management umgehen, damit die Leute nicht ausbrennen oder die Stelle wechseln? Für Heike Bruch ist klar, dass moderne Führung dezentraler ist. Das geht jedoch nur, wenn gleichzeitig die Selbstführung gestärkt wird. Aber auch der Umgang mit Druck, Speed und Unsicherheit soll gelernt sein: «Viele haben nicht gelernt, mit Druck umzugehen und geben ihn einfach an ihr Team weiter.» Weiterbildungen sind unabdingbar, doch genau hier knausern viele Firmen. Laut der Analyse von Capterra erhalten nur 37 Prozent der mittleren Führungskräfte eine Ausbildung bei Stellenantritt. So ist eine Neubesetzung zum Scheitern verurteilt, denn der Person fehlt es an grundlegenden Kompetenzen und Werkzeug für die Rolle.
Doch auch unklare Vorgaben und bürokratische Hürden halten Middle Manager in ihrem Tun auf. Neue Prozesse kommen hinzu, alte verschwinden nur langsam, und die Komplexität nimmt stetig zu. «Das Führungsspektrum wird so weit», erklärt Bruch, «dass Führungskräfte gar nicht mehr wissen, was sie überhaupt sollen.» Sollen sie die Zahlen erfüllen oder die Ziele priorisieren? Fehler vermeiden oder eine Fehlertoleranz fördern? Die Mitarbeitenden selbst entscheiden lassen oder sie eng begleiten? Laut Bruch braucht es ein Verständnis von moderner Führung und von damit verbundenen Werkzeugen, die klar definiert sind.
Talente gehen verloren
Denn andernfalls laufen die Middle Manager davon. Während früher ein höherer Lohn, der Status oder der Einfluss die Führungsposition für viele attraktiv machte, ist dem laut Bruch heute nicht mehr so. «Das Mehr an Druck und Verantwortung wird heute öfter eine Minusrechnung», so Bruch. Deshalb zögen vermehrt Mitarbeitende eine Führungsposition gar nicht in Betracht. Viel mehr stünden heute Werte wie mehr Freiheit, Zeitsouveränität und ein spannender Tätigkeitsbereich im Fokus.
Das sollten sich auch strategische Führungsgremien bewusst sein. Denn sie sind von höchster Bedeutung für das mittlere Management und beeinflussen dieses mit ihren Entscheiden direkt. Lässt die oberste Stufe keinen Freiraum, kann die mittlere diesen auch nicht weitergeben – und riskiert, dass Talente verloren gehen.
Solche wie Michael S. Gekündigt hat er zwar nicht, aber natürlich macht er sich Gedanken. Er ist zu jung, als dass er mit Anfang dreissig bereits in eine strategische Rolle schlüpfen kann, aber auch zu ambitioniert, um wieder ins rein Operative einzusteigen. Zähneknirschend verharrt er im Middle Management, sammelt Erfahrung und nutzt die aktuelle Position als Sprungbrett für den nächsten Karriereschritt.