Wenn vier europäische Wirtschaftsminister über Digitalisierung sprechen, dann sitzt ein fünftes Element immer mit am Tisch: die USA. Beziehungsweise die Kunst des Scheiterns und das viele Geld, das vermögende Investoren in Start-ups aus dem Silicon Valley und anderen Hotspots der Innovation pumpen.
So geschehen beim Vierertreffen der Wirtschaftsminister aus der Schweiz, Österreich, Deutschland und Liechtenstein am Dienstag an einer Podiumsdiskussion vor Studenten an der ETH Zürich. Egal ob Johann Schneider-Ammann (66), Peter Altmaier (60) aus Deutschland, Margarete Schramböck (48) aus Österreich oder der Liechtensteiner Daniel Risch (40) das Wort ergriffen – die US-Internet-Riesen Google, Facebook, Apple & Co. schwangen in jeder Antwort mit.
Kleinräumiges Denken
Wo die Defizite der Europäer liegen, war schnell klar. Neben dem grossen Geld liegen diese vor allem in der Fehlerkultur und im kleinräumigen Denken, an Erfinder- und Gründergeist fehle es dagegen nicht: «Wir füttern jedes Start-up durch, helfen bei Gründung und Aufbau», so Altmaier. Nur geschehe nachher nicht mehr viel.
Wenn es darum gehe, aus einer innovativen Idee «The next big thing» zu machen, also einen Weltkonzern wie Apple, Google oder Amazon aus dem Boden zu stampfen, dann lasse Europa die Start-ups oft im Stich. Nicht so in den USA oder auch in China: Hier pumpen private Investoren Hunderte von Millionen Dollar in vielversprechende Kleinfirmen.
Scheitern muss möglich sein
Klappt es, entsteht daraus ein neuer Weltmarktführer, geht es schief, ist das auch nicht weiter schlimm, wie Schneider-Ammann aus eigener Erfahrung weiss: «Wer in Kalifornien auf die Schnauze fällt, der ist wer», erklärt der Schweizer Wirtschaftsminister. «Das ist mir auch passiert und ich habe dabei viel Geld verloren.» Und wohl auch viel gelernt! Nicht so hierzulande: «In der Schweiz sind sie auf ewig gezeichnet, wenn sie mit einem Projekt scheitern.»
Den Europäern fehlt also die Kultur des Scheiterns. Und oftmals scheitern sie an ihrer Bescheidenheit, denn europäische Firmen denken regional, haben keine Vision, wie sie zum globalen Giganten aufsteigen könnten.
Beispiele aus der Diskussion: MyTaxi wollte den Taxi-Service in ein paar deutschen Städten verbessern, Uber auf der ganzen Welt. Heute ist Uber global in aller Munde, MyTaxi besetzt – erfolgreich — eine Nische in Deutschland. Die Tourismus-Plattform Booking.com war ursprünglich eine niederländische Firma, startete erst richtig durch, als sie in die USA verkauft wurde. Amerikanische Firmen denken am Anfang an den Weltmarkt!
Schlüsseltechnologien zurückholen
Was also tun? Alle Wirtschaftsminister sehen die Digitalisierung als eine grosse Chance für Europa, Jobs aus den Tieflohnländern Asiens wieder zurückzuholen. «Europa darf Schlüsseltechnologien nicht den Asiaten überlassen. Es kann nicht sein, dass in Europa keine Computer-Chips oder Batterien für Elektromobile produziert werden», erklärt die Österreicherin Schramböck. Denn was heute zähle, seien nicht mehr die Lohnkosten, sondern die Innovationskraft und die digitale Kompetenz.
Wie schnell sich diese aufbauen lässt, skizziert Daniel Risch. Liechtenstein hat rasch ein Gesetz zur Förderung der Blockchain-Technologie in die Vernehmlassung geschickt, um gute Rahmen- und Start-Bedingungen für neue Firmen in diesem Bereich zu schaffen. Und der deutsche Wirtschaftsminister träumt gar von einer Art «Airbus für künstliche Intelligenz», also einem Unternehmen, das nach amerikanischem Vorbild innovative Firmen aufkauft und ihren Technologien zum Durchbruch verhilft – mit viel Geld und grosser industrieller Schlagkraft.
Keine Angst vor Digitalisierung
Naturgemäss bescheidener gibt sich der Schweizer Wirtschaftsminister. Er weiss, dass der Grossteil der Schweizer Firmen KMU sind, die nicht gleich wirtschaften können wie die US-Internet-Giganten. «Wir müssen so attraktive Rahmenbedingungen für KMU schaffen, dass die Jobs und die Wertschöpfung in der Schweiz bleiben.» Sonst bestünde die Gefahr, dass noch mehr Spezialisten zu Google & Co. abwanderten.
Auch in Österreich ist der Mittelstand stark. Deshalb ruft Schramböck dazu auf, die Ängste gegenüber der Digitalisierung abzubauen: «Wir müssen weg von der digitalen Angstgesellschaft hin zur digitalen Vertrauensgesellschaft!» Ein Appell, der auch in der Schweiz auf viele offene Ohren treffen dürfte.