Matthias Baumann hat eine Vision. Der Chef des grössten Schweizer Möbelfachhändlers will seine Sofas, Betten, Vorhänge und Lampen direkt im Wohnzimmer der Kunden verkaufen.
Möglich machen soll es Augmented Reality (AR) per Smartphone. Der Kunde sucht sich auf dem Handy ein Sofa aus, hält die Kamera ins Wohnzimmer, und die AR-App platziert das Sofa virtuell im Wohnzimmer – in der Ecke links, mitten im Raum. Mal in senfgelbem Leder, mal in einem dezenten grauen Stoff.
Darüber hinaus schlägt die App passende Kissen, Vorhänge, Couchtische und Vasen vor – und platziert sie ebenfalls virtuell im Wohnzimmer des Kunden. Als wären sie wirklich da. Ist der Konsument zufrieden, genügt ein einziger Klick, und die Ware wird kurze Zeit später ins Haus geliefert. Adresse, Zahlungsdetails und so weiter kennt die App längst.
Noch ist das Zukunftsmusik. Aber Baumann arbeitet daran, die Vision mit Pfister umzusetzen. Schritt für Schritt. Und nicht erst in zehn Jahren. Sondern vielleicht schon in drei, vielleicht auch in fünf Jahren. «The sky is the limit» (sinngemäss: Alles ist möglich), sagt der 45-jährige Familienvater in bester Silicon-Valley-Manier.
Galaxus: «Nur ein erster Schritt»
Aber Baumann ist kein Digitalisierungs-Guru, sondern in erster Linie Händler. Also sind seine ersten Schritte auf dem Weg zum AR-Verkauf weniger spektakulär. Strategisch aber nicht minder relevant. Zumal für ein Traditionsunternehmen wie Pfister, dessen Holding einer Stiftung gehört, deren Zweck vor allem darin besteht, die «Wohlfahrt» der Mitarbeiter und Pensionisten zu fördern.
Also, Schritt eins: Ab sofort ist Pfister mit seinem Sortiment im Online-Warenhaus Galaxus präsent. Rund 10'000 Artikel des eigenen Online-Sortiments aus 40'000 Produkten bringt Pfister auf den Marktplatz der Migros-Tochter. Ende Jahr sollen es bereits doppelt so viele sein. «Die Ausweitung unseres Online-Geschäfts auf neue Plattformen ist für uns ein wichtiger Schritt», sagt Baumann. Und fügt an: «Ein wichtiger Schritt. Aber eben nur ein erster Schritt.»
Welches seine nächsten sein werden, verrät Baumann nicht en détail. Schliesslich hört die Konkurrenz mit – nicht nur in der Schweiz, sondern weltweit. «Unsere Konkurrenten sind heute nicht mehr nur die Möbelhäuser in der Region, sondern auch Händler in London oder Boutiquen in New York oder Singapur.» Im Netz finde die Kundschaft «jedes Möbelstück, jedes Accessoire». Ergo wolle – und müsse – auch Pfister seine Netze im Netz weiter auswerfen.
Pfister will ins Ausland
Im Klartext: Galaxus wird nicht der einzige Marktplatz sein, auf dem Pfister seine Produkte künftig verkaufen wird. Und da es in der Schweiz neben Galaxus und ausserhalb von Plattformen mit Occasions-Fokus keine reichweitenstarken Marktplätze mehr gibt, seitdem Coop bei Siroop den Stecker gezogen hat, ist klar: Pfister will online auch ins Ausland. Notabene erstmals überhaupt in der bald 140-jährigen Unternehmensgeschichte.
«Das Schöne am E-Commerce ist, dass wir an der Grenze nicht mehr zu denken aufhören müssen», sagt Baumann. Welche ausländischen Plattformen er konkret im Auge hat, verrät er nicht.
Amazon vielleicht, klarer Marktführer in Europa? E-Commerce-Experte Thomas Lang vom Beratungsunternehmen Carpathia winkt ab: «Pfister auf Amazon wäre mutig, klar. Ich sehe das aber nicht als sehr realistisch an. Und wenn, dann nur mit Accessoires und Kleinmöbeln.» Derzeit verfüge Amazon, so Lang, noch über zu wenig «Möbelkompetenz», um für Pfister attraktiv zu sein. Also Ebay?
Der Schweizer Online-Möbelhändler Beliani hat vorgemacht, wie man über die etwas in Vergessenheit geratene Verkaufsplattform schnell neue Märkte erobern kann. Aktuell ist Beliani in 19 Ländern aktiv. Zwei weitere Optionen im Ausland wären für Pfister der Online-Möbelhändler Home24, der ebenfalls über ein Partnerprogramm verfügt. Oder die Online-Wohnabteilung der Supermarkt- und Warenhauskette Real, Teil des Metro-Konzerns.
Nicht nach Alaska oder Südkorea
Schnelle Eroberungen à la Beliani hat Baumann für Pfister nicht im Visier, auch keine ganz kühne Expansion bis nach Alaska oder Südkorea. Aber warum nicht in den deutschsprachigen Nachbarländern neue Kunden ansprechen, zumindest mit Produkten, welche per Post transportiert werden können? Schliesslich gibt es in Österreich und Deutschland rund 90 Millionen potenzielle Pfister-Kunden. Zumal sich das Preisniveau in der Schweiz als Folge des starken Frankens längst dem in der Nachbarschaft angepasst hat. Will heissen: Preislich müssen sich die Schweizer Möbler nicht mehr hinter der ausländischen Konkurrenz verstecken.
Sicher: Auf Marktplätzen muss ein Anbieter wie Pfister auf Marge verzichten. Der Marktplatz-Anbieter zwackt ja bei jedem Verkauf eine Kommission für sich ab. Die Überlegung aber muss eine andere sein: Wie lange kann es sich ein Händler noch leisten, nicht auf Plattformen wie Amazon oder Galaxus sichtbar zu sein?
In Deutschland ist Amazon rund fünfmal grösser als die nächsten vier Online-Shops zusammen. Und in den USA beginnt rund die Hälfte der Online-Suchen nach einem bestimmten Produkt – sagen wir: eine Nachttischlampe – nicht bei Google, sondern direkt bei Amazon. Will heissen: Wer in den USA nicht über Amazon verkauft, hat bereits die Hälfte der potenziellen Kunden verloren.
Mehr Marge dank Eigenmarken
E-Commerce-Berater Lang sieht allerdings einen gewichtigen Nachteil beim Verkauf über Marktplätze: «In der Regel ist der Marktplatzkunde ein Marktplatzkunde – und kein Kunde des Händlers, der über den Marktplatz verkauft.» Will heissen: Die Möglichkeiten der Händler, die Kunden auf Marktplätzen zu bearbeiten, seien eingeschränkt. «Eine direkte Kundenansprache ist nur bei der Lieferung möglich.» Aber auch für Lang ist die Chance, über Marktplätze neue Kunden anzusprechen, «nicht zu verachten».
Nun ist Pfister mit einem geschätzten Umsatz von knapp 700 Millionen Franken – konkrete Verkaufszahlen gibt Pfister seit 2016 keine mehr bekannt – zumindest in der Schweiz kein Nobody, der nur über Marktplätze sichtbar ist. Der eigene Online-Shop etwa liegt mit einem Plus von rund 30 Prozent deutlich über Vorjahr, reizt aber sein Potenzial mit rund 40 Millionen Franken Umsatz noch nicht aus.
Plattformen wie Galaxus können da helfen, zusätzliche Verkäufe zu generieren und neue Kunden anzusprechen. Und da das Sortiment von Pfister zur Hälfte aus margenstarken Eigenmarken besteht, könnte der Verkauf von Eigenmarken via Marktplätze unter dem Strich gar profitabler sein als der Verkauf von Markenartikeln über die eigenen Kanäle.
Dieser Artikel wurde in der «Handelszeitung» veröffentlicht. Weitere spannende Artikel finden Sie unter www.handelszeitung.ch.
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Pikantes Detail: Obwohl Roland Brack vom gleichnamigen Online-Händler Brack.ch bei Pfister im Verwaltungsrat sitzt, geht Pfister auf den Marktplatz der Brack-Konkurrenz Galaxus.