«Die Probleme im KV nehmen drastisch zu»
Noch tausende Lehrstellen sind offen

Eine exklusive Auswertung zeigt, welche Branchen Probleme haben, ihre offenen Lehrstellen zu besetzen. Mittendrin: das KV. Experten befürchten einen Fachkräfte-Lücke.
Publiziert: 24.04.2016 um 16:13 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 04:30 Uhr
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Noch hunderte KV-Stellen sind offen.
Foto: GAETAN BALLY
Moritz Kaufmann

Mancher Teenager durchlebt gerade die entscheidendste Phase seines jungen Berufslebens: Zurzeit werden die letzten Lehrstellen für 2016 vergeben. Eine Auswertung des Lehrlingsportals yousty.ch für SonntagsBlick zeigt, wo es wie viele freie Stellen hat.

Überraschend auf Platz eins: das KV! Per 20.April waren schweizweit noch 678 kaufmännische Lehrstellen unbesetzt. Danach folgen Detailhandelsfachleute (642 offene Stellen) und Elektroinstallateur (582 Stellen). Yousty arbeitet mit der offiziellen Lehrstellenseite Lena des Bundes zusammen, die Rangliste deckt also das Gesamtbild ab.

«Es ist bemerkenswert, dass so viele KV-Stellen offen sind», sagt Yousty-Geschäftsführer Urs Casty (49), «noch vor fünf Jahren wäre das zu diesem Zeitpunkt undenkbar gewesen.»

Wie konnte das passieren? Lehrlingsexperte Casty stellt zunehmend Vorbehalte gegenüber der kaufmännischen Lehre fest. «Die jungen Leute und die Eltern merken: Bürojobs werden wegrationalisiert und durch Computer ersetzt.» Zwar scheitern auch andere Branchen daran, ihre offenen Lehrstellen zu besetzen: Der Detailhandel oder die Gastronomie sind bekannte ­«Problembranchen». Doch Casty warnt: «Die Probleme im KV nehmen drastisch zu.»

Probleme selbst eingebrockt

Für Studienabbrecher und Unternehmer Casty haben sich die Lehrlingsrekrutierer ihre Probleme teils selbst eingebrockt: «Millionenkampagnen, um potenzielle Lehrlinge zu ködern, zeigen wenig bis keinen Erfolg.» Klassische Werbung – wo geschönt und übertrieben wird – werde von den Schülern durchschaut.

Langfristig steuere die Schweizer Wirtschaft auf eine Fachkräftelücke zu, warnt Casty. «Letztes Jahr waren im August noch 8000 Lehrstellen unbesetzt. Dieses Jahr haben wir im April allein in zehn Berufen noch 4000 offene Stellen.» Er schätzt, dass dieses Jahr bis zu zehn Prozent mehr Stellen offenbleiben als 2015.

Bei KV Schweiz will man davon nichts wissen. «Wir können diese Beobachtung zum jetzigen Zeitpunkt nicht teilen», sagt Michael Kraft (30), Verantwortlicher Jugendpolitik- und Beratung. Laut dem Lehrstellenbarometer 2015 würden 97 bis 99 Prozent aller KV-Lehrstellen besetzt – pro Jahr sind das über 11'000. «Das macht das KV zur absolut beliebtesten Lehre!», hält Kraft fest. Auch für dieses Jahr bleibt er zuversichtlich: «Bis August kann also noch viel passieren.»

Weniger optimistisch tönt Sven Sievi (48), der Geschäftsführer des Verbands Bildung Detailhandel Schweiz (BDS). «Ja, es ist im Detailhandel schwieriger geworden, geeignete Lernende zu finden.» Einerseits seien die Anforderungen an die Lernenden hoch. Andererseit verändere sich die Bevölkerung – es rücken schlicht weniger junge Menschen nach.

«Jugendliche haben keinen Plan B»

Aber auch die Lehrlinge müssen sich an der Nase nehmen. Obwohl unser Bildungssystem extrem durchlässig ist, sind viele Jugendliche zu fixiert. «Sie suchen den Traumberuf und haben keinen Plan B», sagt Urs Casty. Dabei gehe oft etwas vergessen: «Wenn das Klima oder der Arbeitgeber stimmen, ist der Plan B häufig der bessere Einstieg als irgendwo in einer Warteschlaufe zu landen.»

Das bestätigt Theo Wehner (67), Arbeitspsychologe an der ETH. «Ich habe selbst vor 53 Jahren eine Lehre gemacht.» Viel wichtiger als die technischen Fertigkeiten in der Lehre sei die Haltung, die man mitbekomme: die Tugend der Arbeit. Viele Betriebe würden dies nicht mehr vermitteln. Aber: «Wenn man das verinnerlicht, kann man als Bäcker auch in einer Autofabrik arbeiten.»

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