Manchmal treibt der Umgang mit der Corona-Pandemie, Schutzmassnahmen und Einreiseregeln seltsame Blüten. Ganz besonders im dichtbesiedelten Hongkong. Die meisten Bewohner haben die Stadt seit Ausbruch der Pandemie vor knapp zwei Jahren nicht mehr verlassen. Denn jedes Überqueren einer Grenze hat bei der Rückkehr eine Hotelquarantäne von mindestens zwei Wochen zur Folge. Selbst ein Tripp ins benachbarte Macau ist ein Ding der Unmöglichkeit.
Ein Ende der strikten Null-Covid-Politik ist auch für die beiden chinesischen Sonderverwaltungszonen Hongkong und Macau nicht in Sicht. Immer mehr Menschen fühlen sich gerade in Hongkong zunehmend wie in einem Gefängnis – auch weil ein scharfes Staatssicherheitsgesetz jeden Protest im Keim ersticken soll.
Raus aufs Meer
Damit der Unmut nicht überkocht, hat sich die Regierung etwas Besonders einfallen lassen: leicht bizarr anmutende «Kreuzfahren nach Nirgendwo» auf der «Genting Dream» und anderen Kreuzfahrtschiffen der Luxusklasse. Darüber berichtet das Nachrichtenmagazin «Der Spiegel». Die Reise führt schlicht ein paar 100 Seemeilen aufs offene Meer hinaus. Ausser Wasser ist nichts zu sehen, das Schiff kehrt nach zwei bis drei Tagen wieder in den Hafen zurück.
Doch die sonst so obligaten Ausflüge vermissen die meisten Passagiere nicht: «Ich brauche keinen Landgang, mir reicht der Blick auf die offene See», erklärt eine Passagierin im «Spiegel». «Ich könnte stundenlang an der Reling stehen und einfach nur aufs Meer hinausschauen.»
Jede Ablenkung vom drögen Corona-Alltag ist noch so willkommen: «Ich mache das für meine Kinder, zum zweiten Mal bereits», sagt eine Mutter. «Kinder brauchen Abwechslung. Das Anstellen hier, das Boarding, die Passkontrolle, das fühlt sich an wie Ferien.»
Steriles Oktoberfest
Andere freuen sich aufs Spielcasino, das in internationalen Gewässern die Pforten öffnet. Oder auf das Oktoberfest, das mit deutschen Bierhallenhits und Maskenpflicht über die Bühne geht.
Null-Covid gilt auf dem ganzen Schiff. Nur die Hälfte der Kabinen ist belegt, wer einen Platz ergattern will, muss geimpft und getestet sein. Jede Kabine hat eine eigene Lüftung, Aerosole werden auf der einen Seite des Schiffs aufs Meer rausgeblasen, frische Meeresluft auf der anderen Seite abgesaugt.
Das wichtigste Utensil auf dedemn Null-Covid-Schiff ist «Tracey», ein schwarzer Jeton mit einem weissen Barcode. Diesen Knopf müssen die Passagiere immer bei sich tragen. Denn nur so ist das lückenlose Contact-Tracing gewährleistet, sollte es doch zu einem Corona-Ausbruch kommen.
Beschäftigungstherapie
Die Mini-Kreuzfahrt erfüllt einen doppelten Zweck: Einerseits verschafft der Trip gut betuchten Einwohnern von Hongkong einen hochwillkommenen Tapetenwechsel. Andererseits finden so einige Angestellte in der arg gebeutelten Tourismusindustrie vorübergehend wieder ein Auskommen.
Dreimal die Woche legt die «Genting Dream» ab, sorgt für Beschäftigung bei Besatzungsmitgliedern, die sonst durch die Inselwelt der Karibik cruisen. «Ich bin froh, dass ich wieder im Business bin, doch auf dieser Kreuzfahrt geht es anscheinend mehr ums Entertainment als ums Shoppen», sagt eine etwas unterbeschäftigte Duty-Free-Verkäuferin.
Für viele Passagiere ist der kleine Ausbruch aus dem Corona-Alltag viel zu schnell vorbei, doch immerhin geht es ihnen dadurch etwas besser als den allermeisten ihrer Nachbarn im Corona-Gefängnis Hongkong. (koh)