Die Migros weicht ihr selbst auferlegtes Alkohol-Verkaufsverbot seit längerem auf. Schon mit dem Kauf von Discounter Denner 2007 fand der orange Riese 2007 eine Lösung, um das Verkaufsverbot zu umgehen. Im Tessin betreibt der Grosskonzern eine Wein- und Spirituosenkette, zudem bietet Migrolino Alkohol an – und überhaupt können im Onlineshop der Migros Biere, Weine und Spirituosen bestellt werden. Allein die Suche nach Wein zeigt fast 650 Treffer an.
Nur in Migros-Filialen gibts weiterhin keinen Alkohol zu kaufen, treu nach der vom Firmengründer Gottlieb Duttweiler (1888-1962) propagierten Abstinenz. Doch sämtliche Migros-Konkurrenten verkaufen Alkohol, und mit dem Zuzug der deutschen Discountketten Aldi und Lidl ist der Druck auf den einstigen Platzhirschen noch gestiegen. Damit verzichtet die Migros freiwillig auf Marktanteile.
Offenbar will die Migros schon an der nächsten Delegiertenversammlung im November die Alkoholfrage stellen. Wie die «Sonntagszeitung» unter Berufung auf verschiedene Quellen berichtet, sei es ein «grosses Anliegen gewisser Genossenschaftsleiter, Alkohol verkaufen zu können».
Konkurrenz im Vorteil
Demnach haben mehrere Migros-Delegierte einen entsprechenden Antrag auf die Traktandenliste setzen lassen. Am 6. November wird darüber entschieden, ob es zu einer Urabstimmung zur Alkoholfrage kommt. Gemäss Statuten des Grossverteilers dürfen die Migros-Supermärkte keinen Alkohol und Tabak verkaufen. Für Tabak soll das Verkaufsverbot weiter gelten. Doch bezüglich Alkohol kippe die Stimmung auch in den Führungsetagen zunehmend ins Pro-Alkohol-Lager.
Die Migros begeht eine schwierige Gratwanderung damit, dass Alkohol bereits die eigenen Kassen klingeln lässt, obwohl Alkohol offiziell nach wie vor nicht verkauft wird. Der ehemalige Migros-Chef Herbert Bolliger (68) stellte klar: «Keinen Alkohol zu verkaufen, ist Teil der Migros-Identität. Würden wir das nun tun, wäre das tödlich für das Vertrauensverhältnis zu den Kunden. An der Identität der Migros darf man nicht schrauben.» Sein Nachfolger Fabrice Zumbrunnen (51) gab sich dazu Ende 2020 schon zurückhaltender: Das Thema sei Sache der Delegiertenversammlung und Genossenschafter, nicht der Geschäftsleitung.
Über Umwege verkaufter Alkohol werde von «Partnern» verkauft, versichert ein Hinweis der Migros. Doch die Regale mit einem eigenen Alkoholangebot füllen zu können, dies würde es dem orangen Riesen erlauben, offen eine lange verschmähte Produktlinie anzubieten, um nicht noch mehr Kundenanteile an die Konkurrenz zu verlieren. Frischwaren und Bioprodukte gibts heute bei allen. Wenn dann noch Alkohol auf dem Einkaufszettel seht, wählt wohl so mancher Kunde den ganzen Einkauf bei Rivalen. (kes)