Die Mär vom Grexit
Warum die Griechen den Euro nicht aufgeben

Morgen müssen Alexis Tsipras (40) und sein Finanzminister Yanis Varoufakis (54) bei den Staats- und Regierungschefs der 19 Euro-Staaten antraben. Sie werden den Euro nicht aufgeben.
Publiziert: 21.06.2015 um 19:44 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2018 um 02:26 Uhr
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Nein, das wird kein Banküberfall. Hier kommt der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis mit dem Töff. Marke BMW und hochmotorisiert.
Foto: Keystone
Von Guido Schätti und Martina Wacker

Am Freitag wurde der Weltuntergang nochmals vertagt. Nun ist er auf Montag angesetzt. Dann findet die nächste Verhandlungsrunde zwischen der griechischen Regierung und der EU statt. Regierungspräsident Alexis Tsipras (40) und sein Finanzminister Yanis Varoufakis (54) müssen bei den Staats- und Regierungschefs der 19 Euro-staaten antraben. Dann heisst es erneut: Weitere Finanzhilfe gibt es nur, wenn Griechenland den Staat abspeckt.

Für Martin Neff (54), Chefökonom der Raiffeisen-Bank, steht der Ausgang der Verhandlungen schon fest: «Ich gehe davon aus, dass es zwischen Griechenland und der EU keine Einigung geben wird.» Weil beide sonst das Gesicht verlieren würden, könne weder die EU noch die griechische Regierung einlenken. Die Folge: «Griechenland geht Ende Monat Bankrott. Das Land wird aus dem Euro ausscheiden und wieder die Drachme einführen», sagt Neff. Auch die Griechen selbst machen sich aufs Schlimmste gefasst. Allein am Freitag sollen sie zwei Milliarden Euro von ihren Bankkonten abgehoben haben.

Griechen brauchen Geld

Doch ist der Austritt aus dem Euro wirklich unvermeidbar? Dass Griechenland ohne weitere Hilfen nicht überlebensfähig ist, daran gibt es keinen Zweifel. Am 30. Juni steht ein Kredit des Internationalen Währungsfonds (IWF) in der Höhe von 1,5 Milliarden Euro zur Rückzahlung an. 3,6 Milliarden Euro für die Europäische Zentralbank (EZB) werden am 20. Juli fällig. Bis Ende Jahr kommen weitere sieben Milliarden hinzu. Ohne neue Geldspritzen schafft Griechenland das nicht.

Dennoch wird sich das Land kaum aus dem Euro drängen lassen. Denn selbst bei einem Staatsbankrott ist der Austritt aus der Währungsunion nicht zwingend. «Es gibt keinen Automatismus, dass Zahlungsunfähigkeit zu einem Grexit führt», sagt Anastassios Frangulidis (46), Chefökonom der Zürcher Kantonalbank (ZKB). Der Austritt aus dem Euro ist in den Maastrichter Verträgen nirgends geregelt. Weder die Deutschen noch die EU können die Griechen aus der Eurozone werfen. Sie müssten schon selber gehen.

Gefährliche Folgen

Und das werden sie nicht. Die Kosten wären zu hoch, die Folgen zu unberechenbar und gefährlich – nicht nur für die Griechen, sondern für ganz Europa. Die Gläubiger – allen voran die EZB sowie die Banken Deutschlands und Frankreichs – müssten sich mindestens 50 Pro- zent ihrer Schulden von rund 330 Milliarden Euro ans Bein streichen. Durch einen Dominoeffekt würden gleichzeitig die Zinskosten der anderen Südländer ansteigen: «Ein Grexit würde die gesamte Währungsunion gefährden», sagt Frangulidis. «Niemand kann ein Interesse daran haben.»

Die Griechen wissen das. Und sie wissen, dass es auch die Deutschen wissen. Finanzminister Varoufakis ist ein international anerkannter Spezialist für Spieltheorie, eine Disziplin, die sich damit beschäftigt, wie sich Menschen in kniffligen Entscheidungssituationen verhalten. Unter anderem, wie sie in Fallen tappen, um die eigene Haut zu retten. Weil Varoufaktis das durchschaut, lässt er sich von der EU nur schwer unter Druck setzen. Das Spiel mit Zuckerbrot und Peitsche, das die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (60) und ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble (72) so gerne spielen, wirkt bei ihm nicht. Er weiss so gut wie seine Kontrahenten: Wenn Griechenland scheitert, ist das Projekt Europa auf Jahrzehnte hinaus beschädigt.

Übernimmt EZB die Schulden?

Wie könnte eine Lösung ohne Grexit aussehen? Auch das hat Varoufakis untersucht: Die von Deutschland diktierte Reformpolitik ist für ihn die falsche Medizin. Seit sieben Jahren wütet die Schuldenkrise in Europa, eine Lösung ist noch immer nicht in Sicht. Über die wahren Probleme oder sinnvolle Lösungen wird nicht geredet. Auch am Gipfel am Montag ist der Schuldenerlass kein Thema.

Varoufakis hat das analysiert, lange bevor er in die Politik eintrat. Im Buch «Der globale Minotaurus» beschreibt er, was die Ursachen der Eurokrise sind und wie sie zu lösen wären. Sein Vorschlag: Die EZB übernimmt von allen Mitgliedstaaten sämtliche Schulden, die jenseits der Maastricht-Obergrenze von 60 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung liegen. Gleichzeitig startet die Europäische Investitionsbank (EIB) ein Wachstumsprogramm, um die Wirtschaft in Schwung zu bringen.

Zinsen senken und Rüchzahlungsfristen strecken

Varoufakis weiss allerdings auch, dass die Deutschen seinem Plan niemals zustimmen werden. Zu stark profitieren sie von ihrer Rolle als Zahlmeister Europas. «Wenn die Eurokrise schnell und einfach gelöst würde», schreibt er, «würde Deutschland seine enorme Verhandlungsmacht einbüssen, die eine schwelende Krise der Berliner Regierung gegenüber Frankreich und den Defizitländern verleiht.» Merkel und Schäuble wären nur noch eine Stimme unter vielen.

Illusionen wird sich Varoufakis also kaum machen. Er wird aber bis zum Äussersten gehen – deshalb sein breitschultriger Auftritt. Er will Deutschland dazu zwingen, eine Entscheidung zu treffen, die über eine weitere Vertagung der Krise hinausgeht. Und das kann nur heissen: Die Schulden werden zu einem Teil erlassen.

Einem lupenreinen Schuldenschnitt dürften die Deutschen aus politischen Gründen zwar nicht zustimmen, glaubt ZKB-Ökonom Frangulidis. Doch die Rückzahlung der Kredite könnte um Jahre in die Zukunft verlegt und die Zinsen gesenkt werden. Das hätte den gleichen Effekt, lässt sich den Wählern aber besser verkaufen.

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