Die Gleichstellungsbeauftagte Helena Trachsel über Mütter und Geld
«Frauen sollten von ihren Partnern Kinderbetreuungslohn verlangen»

Helena Trachsel, Leiterin der Fachstelle für Gleichstellung, empfiehlt den Frauen, von ihren Partnern mindestens dreissig Franken pro Stunde zu fordern.
Publiziert: 13.05.2019 um 08:38 Uhr
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Aktualisiert: 13.05.2019 um 15:44 Uhr
Helena Trachsel, Leiterin Fachstelle für Gleichstellung, kämpft für Lohngleichheit und faire Bedingungen zwischen Frau und Mann.
Foto: Thomas Meier
Barbara Lukesch

Helena Trachsel, wie gehen Frauen mit Geld um?
Viele Frauen übernehmen keine oder zu wenig Verantwortung für ihre Finanzen. Doch für eine moderne, gut qualifizierte Frau ist das Wissen über den Wert ihrer Arbeit, über Löhne, die Kontinuität ihrer Laufbahn und des Versichertseins Teil ihrer Professionalität. Es unterstützt sie auch dabei, ihre Zukunft ökonomisch abzusichern, wenn sie Kinder bekommt. Das heisst: Entweder teilt sie sich dann mit ihrem Partner die Erwerbs-, Haushalts- und Betreuungsarbeit, oder sie bleibt daheim und lässt sich die dort geleistete Arbeit von ihrem Mann bezahlen, inklusive AHV und Pensionskasse.

Sie propagieren also einen Hausfrauen- und Kinder­betreuungslohn?
Ich empfehle Frauen, von ihren Partnern in dieser Lebensphase mindestens dreissig Franken pro Stunde zu fordern, je nach Einkommen auch etwas mehr. Und – entscheidend: Sie sollen unbedingt in der Sozialversicherung bleiben, denn Beitragslücken rächen sich ­eines Tages.

Sie verlangen viel von den Frauen, deren Verhältnis zu Geld – gemäss Ihrer eigenen Aussage – ein schwieriges ist.
In den Workshops, die wir in Berufs- und Hochschulen, aber auch in Unternehmen abhalten, stelle ich tatsächlich fest, dass Frauen das Thema Lohn am liebsten unter den Teppich kehren würden. Sie begegnen ihm – wenn überhaupt – mit einer Mischung aus Nicht­wissen und Desinteresse. Faire Löhne? Lohngleichheit? Das interessiert sie wenig, Hauptsache, die Arbeit gefällt ihnen und bietet die Möglichkeit, Beruf und Privatleben zu vereinbaren. Um Lohnverhandlungen machen sie einen grossen Bogen, weil sie es sich nicht zutrauen, mehr Geld zu fordern.

Mit welcher Begründung?
Das könnte ja arrogant, überheblich, gierig, undankbar, ja letztlich wohl auch unweiblich wirken. Schliesslich haben unsere Gesetzgebung, die auf den Mann als Ernährer und Familienoberhaupt ausgerichtet ist, und die darauf basierenden Lohn- und Versicherungssysteme Frauen seit jeher in die Rolle der unbezahlten Dienstleis­terin von Haus- und Betreuungs­arbeiten gedrängt. Gleichzeitig gab man den Frauen zu verstehen, dass sie von Geld sowieso nichts verstehen und das schwierige Thema doch besser ihrem Mann überlassen sollten. Eine solche Haltung weckt natürlich Gefühle von Inkompetenz und damit Scham, denen sich viele Frauen zu entziehen versuchen, indem sie dem Thema mit Desinteresse begegnen.

Entsprechend defensiv treten Frauen auch gegenüber ihren Partnern auf, wenn es darum geht, die beidseitige Erwerbstätigkeit während der Familienphase zu planen.
So ist es. Über neunzig Prozent räumen in unseren Beratungen ein, mit ihren Männern noch nicht darüber gesprochen zu haben, wie sie die Verantwortung für Erwerb und Betreuung aufteilen wollen. In vorauseilendem Gehorsam bleiben sie beim ersten Kind entweder ganz zu Hause oder übernehmen so kleine Teilzeitpensen, dass sie ihre Karriere­chancen beeinträchtigen und damit in finanzielle Abhängigkeit geraten.

Der Mann als Ernährer der ­Familie, während sich die Frau zu Hause um alles kümmert – sind die alten Rollenbilder derart resistent?
Leider ja. Es ist wirklich besorgniserregend, wie viele Frauen sich ungeachtet aktueller Scheidungsraten von bis zu 50 Prozent auf eine Situation einlassen, die sie später oft mit Armut büssen. Da stelle ich einen gewissen Mangel an Ehrgeiz, aber auch an Fantasie fest.

Fantasie?
Frauen haben offenbar viel zu selten eine klare Vorstellung davon, wie erfüllend ihr Leben sein könnte, wenn sie eine attraktive beruf­liche Aufgabe hätten, finanziell ­eigenständig wären und dadurch 
in einer Beziehung auf ­Augenhöhe verkehren könnten. Es müsste doch hochattraktiv für jede Frau sein, von sich sagen zu können: Egal, was morgen passiert, ich ­stehe auf eigenen Füssen.

Frauen sind immer noch mit ­einer geschlechtsspezifischen Lohndiskriminierung konfrontiert. Mit welchen Reaktionen müssen sie rechnen, wenn sie für ihre Arbeit mehr Geld verlangen?
Vielleicht stossen sie auf Widerstand. Vielleicht sitzen ihnen auch zwei höherrangige Männer gegenüber und versuchen sie einzuschüchtern. Solche Situationen sind zweifellos anspruchsvoll und erfordern Mut. Umso wichtiger ist es, dass sich Frauen vorher informieren über die Löhne, die man 
in ihrer Branche beziehungsweise ­Firma zahlt. Sie sollen bei Bedarf auch zu Beratungsstellen wie unserer kommen und sich Unterstützung holen. Neulich suchte eine junge Praktikantin bei uns Rat, die herausgefunden hatte, dass ein Mann in einer identischen Position monatlich 1400 Franken mehr bekam als sie. Ihre Forderung nach gleichem Lohn stiess trotzdem auf taube Ohren. Im Verlaufe des Gesprächs merkte sie, dass ihr Gegenüber offensichtlich noch nie etwas vom Gleichstellungsgesetz gehört hatte. Da war es sehr nützlich, dass sie sich informiert hatte und ­darüber ­Bescheid wusste.

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