Genossenschaften sind die Hätschelkinder der Politik. «Die Genossenschaft bildet auf betrieblicher Ebene ein Gegenmodell zur Aktiengesellschaft», doziert die SP in ihrem Parteiprogramm. Und fordert staatliche Förderung: Der Bund solle Firmen ohne Nachfolger aufkaufen und sie in Genossenschaften umwandeln.
Dem Glauben an die moralische Überlegenheit von Genossenschaften hängen nicht nur Linke an. Hier die guten, auf demokratischer Mitsprache basierenden Selbsthilfeorganisationen. Dort die bösen kapitalistischen Unternehmen, die nur der Gier ihrer Manager und Aktionäre dienen.
Der Fall Raiffeisen und Vincenz fördert nun aber eine andere Realität zutage. Er zeigt, dass Grossgenossenschaften ein Kontrollproblem haben. Die Einzelmitglieder sind zu schwach, um dem Management auf die Finger zu schauen. Es fehlen starke Aktionäre und unbarmherzige Finanzmärkte, welche Misswirtschaft und Machtmissbrauch abstrafen.
Als CEO dominierte Pierin Vincenz (62) Raiffeisen nach Belieben. Der Verwaltungsrat nickte jahrelang alles ab, was der Chef wollte. Als schliesslich die Staatsanwaltschaft einmarschierte, rannten all die hoch bezahlten Professoren, Ex-Politiker und Anwälte davon. Neun von elf erklärten ihren Rücktritt – nachdem sie zuvor noch ihren Lohn erhöht hatten.
Bis jetzt ist Raiffeisen ein Einzelfall. Dennoch zeigt ein Blick auf andere Grossgenossenschaften: Machtballung ist keine Raiffeisen-Spezialität.
Loosli ohne Konkurrenz
Ein Beispiel ist Coop. Dort liegt die Macht nicht nur bei CEO Joos Sutter (54), sondern auch bei Verwaltungsratspräsident Hansueli Loosli (65). Der Aargauer ist gleichzeitig Präsident von Bell, Transgourmet und Coop Mineralöl, den drei wichtigsten Tochtergesellschaften des Konzerns.
Interne Konkurrenz muss Loosli keine fürchten. Die regionalen Genossenschaften wurden längst aufgelöst. Aufgrund seiner Erfahrung und seiner Nähe zum operativen Geschäft findet sich im Verwaltungsrat niemand, der ihm das Wasser reichen könnte.
Doppelter Präsident bei Mobiliar
Auch bei der Versicherung Mobiliar steht mit Urs Berger (67) eine übermächtige Figur an der Spitze. Berger ist sogar doppelter Präsident: Er steht sowohl dem Verwaltungsrat der Genossenschaft als auch dem Aufsichtsgremium der Mobiliar Holding vor.
Wie Loosli bei Coop rutschte er nahtlos vom CEO-Posten an die Spitze des Verwaltungsrates – eine Konstellation, die bei börsenkotierten Firmen ungern gesehen wird. Zusammen mit CEO Markus Hongler (60) bildet er ein kongeniales Duo: Hongler transformiert den Versicherer, Berger hebt und senkt den Daumen.
Bergers Doppelmandat stelle eine stringente und effiziente Führung sicher, betont die Mobiliar. Der Präsident könne im Alleingang keine Entscheidungen treffen. Zudem sei der Verwaltungsrat der für das Versicherungsgeschäft zuständigen Holding mit ausgewiesenen Fachleuten besetzt.
Regionale Migros-Autonomie
Anders ist die Situation bei der Migros. Dort hat der Präsident der Generaldirektion des Migros-Genossenschaftsbundes am meisten Macht. Fabrice Zumbrunnen (48) wird aber ebenso wie sein Vorgänger Herbert Bolliger (64) von einer 22-köpfigen Verwaltung in Schach gehalten. Sie ist zur Hälfte mit Profis besetzt, die das Geschäft von Grund auf kennen. Zudem geniessen die regionalen Migros-Genossenschaften grosse Autonomie.
Was bedeutet die Machtfülle bei Coop und Mobiliar? Braut sich ein neuer Fall Raiffeisen zusammen? Die besten Garanten, dass dies nicht passiert, sind die beiden Supergenossen selber.
Loosli ist ehrgeizig und zupackend, abgehoben ist er aber nie. Er achtet peinlich genau auf eine saubere Trennung der Kompetenzen. Auch ganz oben ist er im Herzen der «Gmüesler» geblieben, der Gemüsehändler seiner Anfänge, der sehr gut weiss, was ihm zusteht – und was nicht.
Der Charakter entscheidet
Und über Urs Berger gibt es die folgende Anekdote. Die Führungsspitze der Krankenkasse KPT – auch sie eine Genossenschaft – wollte sich vor Jahren die geplante Fusion mit der Sanitas vergolden. 50 Millionen an Reserven sollten verteilt werden. Alle stimmten dem Plan mit glänzenden Augen zu. Nur einer nicht: Verwaltungsrat Urs Berger liess das anrüchige Geschäft auffliegen.
Loosli und Berger stehen moralisch jenseits aller Zweifel. Der Vergleich mit der Raiffeisen verbietet sich also. Mächtige Macher an der Spitze von Genossenschafts-Giganten sind sie aber alleweil.