Die Börse boomt seit Jahren, doch die Arbeitnehmer kommen zu kurz
Reiche sahnen ab, Angestellte sind sauer

Die Konjunktur zieht an, aber die Löhne nicht. Während Kapitalgeber profitieren, werden Arbeitnehmer kurz gehalten. Jetzt müssen die Löhne deutlich steigen.
Publiziert: 13.12.2017 um 23:33 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 05:58 Uhr
Harry Büsser
Professor Franz Jaeger: «Es darf nicht sein, dass die obersten Löhne zwei- oder dreimal stärker steigen als die anderen Saläre. Diese Entwicklung bereitet mir Sorgen.»
Foto: Fabienne Bühler

Die Wirtschaft wächst, die Arbeitslosenrate ist tief, und trotzdem erhalten die Arbeitnehmer kaum Lohnerhöhungen. In der Schweiz ist das seit Jahren zu beobachten – und so geht es weiter, wie das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) prognostiziert: Obwohl die Wirtschaft im Jahr 2018 um zwei Prozent wachsen und die Arbeitslosenrate leicht auf drei Prozent fallen soll, wird nicht einmal mit einem Prozent Lohnerhöhung gerechnet.

Das ist ein Schlag ins Gesicht der Arbeitnehmer. Viele von ihnen sind zunehmend unzufrieden. So auch die Altenpflegerin Susanne Vasserot: «Es gibt einfach nie eine Lohnerhöhung.» Franz Jaeger, ehemaliger Nationalrat und Professor für Ökonomie an der Universität St. Gallen, sagt darum: «In der nächsten Zeit, wenn der konjunkturelle Aufschwung kommt, ist es sinnvoll, dass auch die Löhne erhöht werden.» Damit meint er vor allem die einfachen Lohnempfänger, denn: «Es darf nicht sein, dass die obersten Löhne zwei- oder dreimal stärker steigen als die anderen Saläre. Diese Entwicklung bereitet mir Sorgen», so Jaeger. 

Mehr für Kapitalgeber, aber nicht für Lohnempfänger

Während die Löhne in den vergangenen Jahren kaum gestiegen sind, schossen die Börsenkurse nach oben.
Foto: Infografik

Verschärfend kommt hinzu: Während die einfachen Arbeitnehmer bisher kaum vom Aufschwung profitierten, haben Kapitalgeber fette Gewinne eingefahren. Sie bekamen Dividenden und höhere Kapitalausschüttungen. Wie gut es für die Kapitalgeber läuft, lässt sich vereinfacht an den Börsengewinnen ablesen: Allein in den vergangenen zwölf Monaten gewannen Investoren an der Börse 20 Prozent, gemessen am Schweizer Aktienmarktindex SPI. Während Kapitalgeber profitierten, traten Lohnempfänger nahezu an Ort (siehe Grafik).

Dass die Börse boomt, ist nicht nur dem Wirtschaftswachstum, sondern auch den Nationalbanken zu verdanken. Hierzulande der Schweizerischen Nationalbank (SNB). Weil sie die Zinsen tief hält, steigen an der Börse die Kurse. Indirekt fördert die SNB damit die Ungleichheit in der Schweiz. «Die Geldpolitik der Nationalbanken hat auch Nebenwirkungen. Man kann nicht abstreiten, dass die reichsten Schweizer über die Börsenkurse davon profitiert haben», sagt George Sheldon, emeritierter Professor für Arbeitsmarktökonomie an der Universität Basel.

Nur ein Schnitzel, aber Rekordjagd bei Gemälden

George Sheldon sagt, die reichsten Schweizer hätten über Börsenkurse von der SNB-Geldpolitik profitiert.
Foto: KEYSTONE

Der Vergleich von Börsengewinnen und Lohnwachstum ist nicht der einzige, der zeigt, dass die einfachen Arbeiter in den vergangenen Jahren faktisch verloren haben. Noch deutlicher macht es ein Vergleich zwischen der Wertentwicklung eines durchschnittlichen Güterkorbes und der Preisentwicklung von Luxusgütern. Wenn die einfachen Arbeitnehmer mehr Lohn erhalten, steigt die Nachfrage nach Konsumgütern – dadurch steigt der Preis des durchschnittlichen Güterkorbes. Das wird dann Inflation genannt. Aber genau die gibt es derzeit in der Schweiz nicht (siehe Grafik).

Der Preis der Güter, die ein durchschnittlicher Haushalte einkauft ist gefallen. Das lässt sich am Landesindex der Konsumentenpreise ablesen.
Foto: Infografik

Anders, wenn die Reichsten mehr bekommen. Dann steigt die Nachfrage nach durchschnittlichen Gütern kaum. Denn auch ein Milliardär wie Christoph Blocher kann nicht mehr als ein Schnitzel essen (so hat es der SVP-Finanzspezialist Hans Kaufmann kürzlich im BLICK auf den Punkt gebracht). Wenn die Reichsten mehr Geld zur Verfügung haben, steigt die Nachfrage nach Luxusgütern, etwa nach Kunst. Dass dort die Preise steigen, könnte daran abgelesen werden, dass der Rekord für das teuerste Gemälde nach oben schiesst. Erst im November wurde ein Gemälde von Leonardo da Vinci aus dem 15. Jahrhundert für sagenhafte 450 Millionen Dollar verkauft! 

Fazit:

Während Reiche sehr stark vom Wirtschaftsaufschwung profitierten, werden die einfachen Arbeitnehmer kurzgehalten. Ein Grund dafür ist ein Machtverlust der Gewerkschaften (siehe Box). Natürlich ist es nicht in allen Branchen möglich, grosse Lohnerhöhungen zu bezahlen. Denn längst nicht alle Firmen prosperieren. Aber für die Schweizer Wirtschaft insgesamt kann es mittelfristig positive Auswirkungen haben, wenn die Löhne deutlicher steigen: «Zufriedene Mitarbeiter sind eine der besten Voraussetzungen für gute Zukunfts- und Wachstumsaussichten der Firmen und der Wirtschaft insgesamt», sagt Jaeger. Lohnerhöhungen gehörten bei der Zufriedenheit der Mitarbeiter dazu.

Warum ziehen die Löhne im Wirtschaftsaufschwung nicht an?

Warum ziehen die Löhne im Wirtschaftsaufschwung nicht an? Ein Grund ist, dass die Gewerkschaften an Einfluss verloren haben. Das lässt sich daran ablesen, dass immer weniger Arbeitnehmer gewerkschaftlich organisiert sind: Waren im Jahr 2006 noch 24 Prozent der Arbeitnehmer Mitglied in einer Gewerkschaft, sind es im Jahr 2016 noch 18,5 Prozent gewesen. Diese Entwicklung zeigt sich in den sinkenden Mitgliederzahlen bei den Gewerkschaften schon länger. Noch im Jahr 1990 waren 443'885 Arbeitnehmer im Schweizerischen Gewerkschaftsbund, im Jahr 2016 waren es noch 357’571 (siehe Grafik). Durch diesen Mitgliederschwund haben die Gewerkschaften bei den Verhandlungen mit den Arbeitgebern an Einfluss und Macht verloren. Sie können ihre Lohnforderungen also weniger  durchsetzen. 

Gewerkschaften verlieren an Einfluss, weil ihre Mitgliederzahlen schwinden.
Infografik

Warum ziehen die Löhne im Wirtschaftsaufschwung nicht an? Ein Grund ist, dass die Gewerkschaften an Einfluss verloren haben. Das lässt sich daran ablesen, dass immer weniger Arbeitnehmer gewerkschaftlich organisiert sind: Waren im Jahr 2006 noch 24 Prozent der Arbeitnehmer Mitglied in einer Gewerkschaft, sind es im Jahr 2016 noch 18,5 Prozent gewesen. Diese Entwicklung zeigt sich in den sinkenden Mitgliederzahlen bei den Gewerkschaften schon länger. Noch im Jahr 1990 waren 443'885 Arbeitnehmer im Schweizerischen Gewerkschaftsbund, im Jahr 2016 waren es noch 357’571 (siehe Grafik). Durch diesen Mitgliederschwund haben die Gewerkschaften bei den Verhandlungen mit den Arbeitgebern an Einfluss und Macht verloren. Sie können ihre Lohnforderungen also weniger  durchsetzen. 

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