Jetzt kommts zum grossen Tourismus-Showdown
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Die Berge gegen das Meer:Wohin reist die Schweiz im Sommer?

Die Berge gegen das Meer
Jetzt kommts zum grossen Tourismus-Showdown

Die Schweizer können reisen. Aber wollen sie auch? Das Duell zwischen Inland-Tourismus und Reisebranche ist in vollem Gang. Das letzte Wort hat die Politik.
Publiziert: 16.05.2021 um 00:59 Uhr
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Aktualisiert: 16.05.2021 um 09:14 Uhr
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Im Juni dürfen Gasthäsuer wohl endlich ihre Innenräume öffnen. Das freut Matthias Althof (54), Besitzer des Gasthauses am Brunnen in Valendas GR. Hier bedient er seine Auffahrtsgäste auf der Terrasse.
Foto: fotoswiss.com/cattaneo
Danny Schlumpf und Eliane Eisenring

Alain Berset (49) strahlte, als er am Mittwoch verkündete: «Die Fallzahlen sinken weiter. Es ist die bestmögliche Situation!» Deshalb fasst die Landesregierung weitere Lockerungen ins Auge. Ab Juni öffnen die Restaurants wohl auch in den Innenbereichen wieder.

Das wiederum beflügelt den inländischen Tourismus: «Die Restaurant-Öffnungen sind entscheidend», sagt Hotelleriesuisse-Präsident Andreas Züllig (62). «Im Tourismus muss die ganze Dienstleistungskette funktionieren. Es braucht das Gesamtangebot.»

Elvira Solèr (44) und Matthias Althof (54) freuen sich über die neu gewonnene Planungssicherheit. Sie führen das Gasthaus am Brunnen in Valendas GR – direkt über der Rheinschlucht. Vor dem 500 Jahre alten Haus steht der grösste Holzbrunnen Europas. Am Auffahrtstag sind alle Zimmer besetzt. Und die Aussichten sind heiter: «Wir sind für den Sommer schon fast ausgebucht», sagt Elvira Solèr.

Auf der Terrasse herrscht reges Treiben. Tina Kraft (44) und ihr Mann Martin (48) sind aus Hüntwangen ZH den Bergweg hochgefahren – in einem Oldtimer mit Jahrgang 1963. Andreas Infanger (59), Stefan Troxler (69) und sein Bruder Hans (76) reisten mit schweren Motorrädern aus Schaffhausen an. «Wir machen eine kleine Tour de Suisse über die Auffahrtstage», sagt Infanger. «Manchmal müssen die Buben eben raus!»

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«Das Reisebedürfnis ist gross»

Raus – das wollen viele Schweizer. «Das Reisebedürfnis ist gross», weiss Martin Vincenz (58), Direktor von Graubünden Ferien. Dem passen sich die Bündner an: Ende Mai lancieren sie den Alpine Circle – eine Tour vom Nationalpark im Engadin über das Landwasser-Viadukt bis in die Rheinschlucht. Dazu gibt es einen digitalen Reisebegleiter. Die Idee dahinter: Alle wollen reisen – aber wie viele Schweizer trauen sich wirklich über die Grenze? Vincenz: «Reisen können Sie auch in Graubünden!»

Conradin De Giorgi (35) ist Chef von Mountain Flair Apartments in St.Moritz GR. Er sagt: «Aktivferien boomen.» Die Gäste seiner 100 Ferienwohnungen im Engadin wollen wandern, biken und fischen. Laut De Giorgi «bewegen sie sich lieber, statt auf einem Liegestuhl ein Buch zu lesen. Und das von einer Wohnung aus, die in der Pandemie ein Gefühl der Sicherheit vermittelt.» Für den Hochsommer sind schon 75 Prozent der Wohnungen gebucht.

«Corona hat die Individualisierung beschleunigt», sagt Jan Mosedale, Tourismusprofessor an der Fachhochschule Graubünden. «Man reist in der eigenen Gruppe und sucht die Natur.» Deshalb würden Ferienwohnungen in den Bergen schon jetzt sehr gut gebucht. Aber auch Campingplätze seien gefragt.

Schweizer Tourismus hofft auf BAG

Mathew Zacharias (46) stimmt dem Touristiker zu: «Wir hatten bereits einen hervorragenden Sommer 2020», so der Geschäftsführer des Giessenparks in Bad Ragaz SG. «Und für die kommende Sommersaison sind nur noch einzelne Plätze frei.» Schon jetzt ist der Giessenpark gut gefüllt. Einige Camper haben das eigene Zelt mitgebracht, andere ihren Wohnwagen. Markus Jenni (71) aus Basel hingegen ist mit leichtem Gepäck angereist: Er hat eine Luxusunterkunft mit Whirlpool auf der Veranda gemietet. «Glamping» heisst der Trend: Raus in die Natur – aber bitte mit Komfort!

Die bestmögliche Situation also für den Binnentourismus? Nicht ganz. «Wenn die Grenzen offen sind, werden in diesem Sommer viele Schweizer ins Ausland reisen», sagt Christian Laesser (58), Tourismusprofessor an der Uni St. Gallen. «Ich wette darauf, dass die Schweiz dieses Jahr leerer wird als letztes Jahr.» Schlussendlich hänge aber alles von den Reisebedingungen ab. Für die hiesige Reisebranche sei die sich immer wieder ändernde BAG-Liste ausgesprochen mühsam: «Sie ist eigentlich das grösste Geschenk an den Binnentourismus», so Laesser. «Denn sie schreckt die Leute vorerst davon ab, ins Ausland zu reisen.»

Doch jetzt öffnen Ferienländer wie Griechenland und Spanien ihre Tore. Sie setzen alles daran, die Touristen zurückzugewinnen. Das merken auch die Reisebüros in der Schweiz: Die Buchungen ziehen an. Kuoni verzeichnet eine Steigerung von zehn Prozent – pro Woche. Besonders gefragt sind die Nachbarländer und der Mittelmeerraum. Das freut Philippe C. Erhart (69), Chef von Universal Mallorca Ferien. Der Reiseanbieter betreibt 14 Hotels auf der Baleareninsel. 2020 ist sein Umsatz um 90 Prozent eingebrochen. Doch dieses Jahr ists anders: «Die Impfkampagne läuft auf vollen Touren», sagt Erhart. «Sobald das Impfzertifikat da ist, geht es los.» Letztlich liege es an der Politik, ob sie das Reisen erleichtere oder nicht. Für Erhart ist klar: «Wir jammern nicht. Wir greifen an!»

BAG-Liste verunsichert

Auch Walter Kunz (60), Geschäftsführer des Schweizer Reise-Verbands, betont die Rolle der Behörden. Er verlangt, dass Geimpfte ohne Restriktionen reisen können. Nationalrat Thomas Hurter (56), Präsident des Luftfahrtverbands Aerosuisse, stösst ins gleiche Horn: «Wir fordern freies Reisen für Geimpfte – ohne Tests und ohne Quarantäne.» Die Quarantäne sei der Hauptkiller. «Die BAG-Liste sorgt für dauernde Unsicherheit.»

56 von 93 Maschinen der Swiss-Flotte sind heute in der Luft. Im Sommer sollen es 74 sein. Doch ob sie wirklich fliegen, hat nicht zuletzt der Bundesrat in der Hand. «Er hat bis heute zum Reisen nichts Konkretes gesagt», so Hurter. «Dabei braucht unsere Branche bis zu zwei Monate Vorlaufzeit. Wir können den Betrieb nicht einfach über Nacht hochfahren.» Für Hurter ist klar: «Wenn man sie lässt, werden die Schweizer reisen.»

Das sei der grosse Unterschied zum letzten Sommer, sagt Jürg Stettler (55), Tourismusprofessor an der Hochschule Luzern: «Damals war Reisen fast nicht möglich. Davon hat der Inlandstourismus enorm profitiert.»

In diesem Sommer sind die Grenzen offen. «Allerdings gibt es viele offene Fragen. Die Situation ist unberechenbar.» Was Stettler aber jetzt schon beobachtet: «Sobald eine Destination erreichbar ist und einigermassen verlässlich wirkt, nehmen die Buchungen sofort Fahrt auf.» Stettler rechnet mit einem guten Sommer für den Schweizer Tourismus – ausser es werden sämtliche Badedestinationen frei. «Dann gewinnt das Meer gegen die Berge!»

Städtetourismus leidet besonders

Ausländische Touristen könnten die entflohenen Einheimischen jedenfalls nicht ersetzen, sagt Stettler: «Auch viele Deutsche werden dann wohl wieder ans Mittelmeer fahren und nicht im Bündnerland den Blinker setzen.» Elvira Solèr vom Gasthaus am Brunnen würde das nicht kümmern. Ihre Gäste kommen auch in diesem Sommer wieder nach Valendas. «Die Berge gewinnen», sagt die Gasthausbesitzerin.

Weniger zuversichtlich gibt sich Thomas Dübendorfer (56). Der Chef des Boutique Hotels Bellevue und der Alplodge in Interlaken BE ist auch auf ausländische Gäste angewiesen. Im letzten Jahr ist der Umsatz seines Hotels um 70 Prozent eingebrochen. Er musste die Hälfte des Personals entlassen. Die Kurzfristigkeit der Reservationen ist für ihn belastend: «Wir sind wie Fischer, die eine Rute raushalten und hoffen, dass etwas anbeisst. Aber wir wissen nicht, ob es für das Abendessen reicht.»

Besonders dramatisch dürfte das Jahr abermals für den Städtetourismus werden. Die internationalen Gäste würden frühestens 2023 wieder kommen, meint Hotelleriesuisse-Präsident Andreas Züllig: «Die Stadthotels müssen erneut mit einem massiven Einbruch rechnen.»

Die Stadt hat also schon verloren. Alles läuft auf einen Showdown zwischen dem Meer und den Bergen hinaus.
Wer gewinnt? Das entscheidet das Virus – und die Politik.

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