Als Hotelpionier Reto Wittwer (66) im Oktober 2014 nach fast 20 Jahren an der Spitze der Kempinski-Gruppe überraschend in den Ruhestand ging, sorgte sein abrupter Abgang weitherum für Verwunderung. Das Unternehmen beschwichtigte – und lobte den gebürtigen Zürcher überschwänglich: «Der Aufsichtsrat dankt Reto Wittwer dafür, dass er einen so grossen Teil seiner Karriere der Gruppe gewidmet hat. Wir hoffen, dass er uns trotz seines verdienten Ruhestands auch in seiner neuen Rolle als Präsident emeritus weiterhin eng verbunden bleibt.»
Über die genauen Gründe für den vorzeitigen Abgang des CEO – sein Vertrag wäre erst in diesem Jahr ausgelaufen – schwiegen beide Seiten eisern. Bis jetzt.
Strafanzeige erstattet
Vergangenen Montag erstattete die Kempinski-Gruppe Strafanzeige bei der Genfer Generalstaatsanwaltschaft gegen ihren ehemaligen operativen Chef. Die Vorwürfe wiegen schwer: Wittwer wird «verdächtigt, in betrügerischer Absicht Gelder aus dem Unternehmen geschleust und dabei alle internen Kontrollmechanismen umgangen zu haben». Und, was besonders verwerflich klingt, dies auch «zu Zeiten, in denen Kempinski zu Budgetkürzungen und drastischen Einsparungen bei den Personalkosten gezwungen war».
Gegenüber dem deutschen Online-Magazin «Hospitality Inside» wird der neue CEO Alejandro Bernabé noch konkreter: Bei der Deliktsumme gehe es um «mehr als sechs Millionen Schweizer Franken». So sollen Provisionen, die Kempinski für die Vermittlung von Projektpartnern in Afrika und im Nahen Osten gezahlt hat, an die Empfängergesellschaft Reincke’s Son Ltd. mit Sitz auf den British Virgin Islands geflossen sein.
Solche Provisionen sind nicht ungewöhnlich. Trotzdem hat die Sache einen Haken: Wittwer soll an der Empfängergesellschaft beteiligt sein – ein Teil des Geldes könnte so also in seine eigene Tasche geflossen sein.
Neben der Strafanzeige geht das Unternehmen auch zivilrechtlich gegen Wittwer vor. Man wolle nicht nur Gerechtigkeit, sondern auch die sechs Millionen zurück, heisst es bei Kempinski.
Wann das Verfahren eröffnet wird, ist noch nicht bekannt, die Generalstaatsanwaltschaft nimmt die Ermittlungen erst auf. Wittwer will von den Vorwürfen gegen ihn nichts wissen. Er bezeichnet sie gegenüber «Hospitality Inside» als «diffamierend und vor allem faktisch unrichtig». Er kündigt an, «mit allen juristischen Mitteln» gegen die Anschuldigungen vorzugehen.
Dass die Kempinski-Gruppe ein Jahr mit der Strafanzeige zugewartet hat, hat einen einfachen Grund: So lange hatte eine unabhängige, internationale Investigationsfirma den Fall untersucht.
Dass aber auch Wittwer so lange zu seinem Ausscheiden geschwiegen hat, war keineswegs freiwillig: Er habe eine einjährige Schweigepflichtserklärung unterschreiben müssen, die am 1. November ausgelaufen ist.
Showdown in Abu Dhabi
Wie es zu diesem Vertrag gekommen sein soll, klingt abenteuerlich: Auf einer Promotionstour für einen Film, den Kempinskis Aufsichtsratsvorsitzender Michael D. Selby produziert hatte, kam es im Luxushotel Emirates Palace in Abu Dhabi zum Showdown.
Plötzlich sei er, Wittwer, von Selby in einen Raum gebeten worden, in dem bereits Mitglieder des Aufsichtsrates und Anwälte auf ihn warteten. Wittwer wurde gefeuert – und davongejagt wie ein gemeiner Dieb. Nach eigenen Aussagen wurde er gezwungen, einen Knebelvertrag zu unterschreiben. Sonst, so habe ihm Selby gedroht, würde er in Abu Dhabi festgehalten und der Scharia unterworfen werden.
Gegen die Vorwürfe will sich Wittwer nun mit aller Macht wehren. So oder so ist das Image des früheren Luxushoteliers aber bereits schwer angeschlagen. So hätte der Mann, der 2013 vom Wirtschaftsmagazin «Bilanz» noch zum «mächtigsten Schweizer Luxushotelier der Welt» gekürt wurde, vergangenen Donnerstag an der Hotelfachschule Lausanne einen Preis für sein Lebenswerk entgegennehmen sollen. Doch nach der Strafanzeige zog die Hotelfachschule die Auszeichnung zurück.
Doch das sei für Wittwer nicht das Schlimmste. Dass seine Brüder und Kinder nun Hohn und Spott ausgesetzt seien, sei für ihn ein Grund, jetzt zu kämpfen.