Einen Vorgeschmack auf die Hürden im Rennen um einen Job bekommen heute bereits 14-Jährige. Wer nach der Volksschule eine Lehre beginnen will, muss sich spätestens in der zweiten Oberstufe auf eine, oder besser mehrere, Schnupperlehren bewerben. Dabei kommen die sogenannten Digital Natives auf die Welt – denn Arbeitgeber erwarten bereits von den Stiften in spe Ausserordentliches. «Bei einer Schnupperlehre gehört ein digitales Bewerbungsdossier dazu», sagt Urs Casty.
Der Gründer und Chef der Lehrstellenplattform Yousty.ch erklärt: «Die Unternehmen wünschen sich die Unterlagen von den Schülern, weil sie das Schnuppern zumeist als Vorselektion für eine Lehrstelle nutzen.» Casty muss es wissen. Denn über Yousty.ch laufen rund 80 Prozent der Lehrstellen-Bewerbungen in der Schweiz. Laut Casty ist es zudem nicht aussergewöhnlich, dass bereits für die Schnupperlehre ein Test vorgelegt werden muss.
Jugendliche schwimmen beim Anschreiben
Der Bewerbungswahnsinn nimmt seinen Lauf: Geht es dann um die Lehrstellenbewerbung, müssen die Jugendlichen noch einen Zacken zulegen. In das Dossier gehören ein digitales Anschreiben, ein Lebenslauf und Zeugnisse – und manchmal auch noch ein Motivationsschreiben und ein Test. Die Krux liegt im Detail. Medien- und Informatik-Kompetenzen lernten die heutigen Teenager bereits im Unterricht, weiss Casty. Doch das Strukturieren des Lebenslaufs bereite ihnen Schwierigkeiten. Auch wüssten sie oft nicht, was ein Anschreiben oder Motivationsschreiben beinhaltet.
Auch wenn sich Jugendliche wie Profis auf Social Media darstellen, fällt es ihnen laut Casty nicht in den Schoss, sich digital gut zu bewerben. Ähnlich erleben es die Berufsinformationszentren des Kantons Zürich täglich, wie der stellvertretende Leiter des Amts für Jugend und Berufsberatung Zürich, Philipp Dietrich, sagt. «Das Erstellen einer elektronischen Bewerbung ist keinesfalls eine Selbstverständlichkeit für Jugendliche», sagt er. Die Beratung für solche Anliegen und wie man sich via Online-Formulare und Bewerbungs-Webseiten von Firmen vorstellt, werde stets aufwendiger.
Social-Media-Wissen erhöht Chancen
Nicht nur angehende Lehrlinge, sondern auch viele Erwachsene müssen einen grossen Effort leisten, damit ihre Bewerbung auf dem aktuellen digitalen Stand ist. Nicola Melillo, Leiter des regionalen Arbeitsvermittlungszentrums (RAV) Chur, betont: «Auch für nicht hochspezialisierte Stellen wird heute ein lückenloser, marktgerechter Lebenslauf verlangt.» Der Standard im Bewerbungsprozedere sei gestiegen. Ohne Top-Lebenslauf habe man heutzutage kaum bis gar keine Chancen, auf ein Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden. Laut Melillo kommt man ohne professionelle Beratung fast nicht mehr zum Zuschlag.
Er glaube nicht, dass sich junge Leute heute besser verkauften als früher, jedoch vielfältiger. Tatsache sei, wer sich gut mit sozialen Medien auskenne und diese auch nutze, habe mehr Chancen, ein Stellenangebot zu finden. Online-Präsenz sieht auch Anita Schlauri vom Amt für Wirtschaft und Arbeit St. Gallen als Erfolgsfaktor.
Die Job-Bewerbung – das härteste Casting der Schweiz! Für die gestiegenen Anforderungen an die Bewerbungsdossiers gebe es heutzutage individuelle und zielgerichtete Unterstützung durch Job-Coaches, sagt Schlauri. Mit diesen können auch Bewerbungsgespräche und das Präsentieren von eigenen Kompetenzen geübt werden.
Bewerben heisst «Sich-Verkaufen»
Hilfe gibts auch im Kanton Schaffhausen durch das Arbeitsamt. «Mit Hochqualifizierten machen wir beispielsweise professionelle Bewerbungsvideos», sagt Amtsmitarbeiter Vivian Biner. Die Unternehmen schätzten solche Videos. Es gab auch einen Versuch, Bewerber mit Migrationshintergrund in der Kleidung der jeweiligen Jobs zu fotografieren – also gekleidet als Koch für eine Stelle als Koch. Bei den Arbeitgebern sei das sehr gut angekommen – leider sei es aber zu aufwendig gewesen, um das immer anzubieten.
Für die höheren Anforderungen an Stellenbewerber sieht Julia Casutt vom Amt für Wirtschaft und Arbeit Zürich einen klaren Grund: Sie hätten sich parallel zu den gestiegenen Anforderungsprofilen der offenen Stellen in die Höhe entwickelt. Entscheidend sei, dass die Kandidatinnen und Kandidaten verstünden, dass Bewerben «Sich-Verkaufen» heisse.