Wenige Länder sind so digital wie die Schweiz – doch den Takt geben andere vor: Giganten wie Apple, Amazon, Zalando oder Uber pflügen Konsumgewohnheiten in einem horrenden Tempo um. Und reissen sich Geschäftsfelder unter den Nagel, die bisher in Schweizer Hand waren. Das wollen sich die hiesigen Firmen nicht länger gefallen lassen. Zahlreiche Tech-Lösungen sind in letzter Zeit entstanden. Sie wollen keine Nische bedienen, sondern nehmen es mit den ganz Grossen auf. SonntagsBlick nimmt drei Schweizer Projekte unter die Lupe.
Twint
Ursprünglich ein Produkt der PostFinance, ist Twint heute das Handy-Zahlsystem der gesamten Schweizer Finanzbranche. Twint soll verhindern, dass sich Apple Pay und Samsung Pay in der Schweiz ausbreiten können. Den Banken entgehen so wichtige Kundenschnittstellen und letztlich Geld. Bis jetzt boykottieren die Kreditkarten-Herausgeber der Schweizer Banken die Konkurrenz. Verwirrlich: Es gibt nicht eine Twint-App, sondern acht – jede Partnerbank hat ihre eigene. «Die Breite der Eigentümer und Partner ist keine Gefahr, sondern ganz klar ein enormer Vorteil», sagt Twint-CEO Thierry Kneissler (46). Kritischer ist Benjamin Manz (36), Gründer des Finanz-Vergleichsdiensts Moneyland: «Es kochen viele Köche. Da kann der Kunde schnell in den Hintergrund rücken.» Die grosse Herausforderung sei, auf eine kritische Masse zu kommen. «In dem Bereich ist das Silicon Valley Weltmeister.»
Siroop
Der Onlineshop gehört zu gleichen Teilen Swisscom und Coop. Vor allem Letzterer will Boden gegenüber dem Marktleader Galaxus gut machen, der zur Migros gehört. Das Konzept ist grosszügig vom amerikanischen Amazon inspiriert: Unabhängige Läden – derzeit rund 400 – verkaufen ihre Produkte über Siroop gegen Gebühr. Innert zweier Jahre ist das Start-up auf 170 Mitarbeiter angewachsen. Umsatz- oder Verkaufszahlen sind aber geheim. «Wir sind äusserst zufrieden mit den Besucherzahlen und der Entwicklung unserer Plattform», so Si-
roop-Sprecher Tim Hegglin. Ob das reicht, ist allerdings fraglich: «Wer erfolgreich E-Commerce betreiben will, muss den Traffic in kurzer Zeit rasant nach oben treiben», sagt der deutsche E-Commerce-Experte Marcus Diekmann (38). Allesanbieter wie Siroop hätten nur mit einem riesigen Marktvolumen eine Chance. Die Konsequenz: «Man muss den Sprung ins Ausland wagen.» Bleibe Siroop in der Schweiz, könne es nur den Markt abschöpfen, bis Amazon die Schweiz ins Visier nehme. «Amazon wird bald ankommen. Dann wird es knapp für Siroop, aber auch für Galaxus.»
Go-App
Auch die Taxi-App Go ist eine Branchen-Reaktion auf einen amerikanischen Eindringling: Der Fahrdienstleister mischt in Zürich, Basel, Genf und Lausanne das Taxi-Geschäft auf – mit tiefen Preisen und teilweise am Rande der Legalität. Go-Marketing-Chef Roberto Salerno (43) hofft deshalb auf einen Schweizer Taxi-Patriotismus. «Der Zwang, alles Neue aus den USA zu verherrlichen, ist abgeflacht.» Der Vorteil von Go: Konkurrent Uber ist geschwächt. Prozesse und restriktive Taxi-Gesetze in den Städten behindern die Ausbreitung. Vergangene Woche trat der Schweiz-Chef von Uber zurück, während in der Zentrale in San Francisco (USA) Topkader wegen Sexismus am Pranger stehen. Am Freitag wurde bekannt, dass die SBB von einer Zusammenarbeit mit Uber absehen – dafür aber Go in ihre neue Reiseplaner-App einbauen wollen. Dennoch: Preislich ist Uber meist attraktiver als Go. Und auch die Software ist ausgereifter. Die Amerikaner sind auf Volumen angewiesen und werden ihre aggressive Expansion weiter vorantreiben.
Fazit
Schweizer Firmen bündeln für die Gegenoffensive ihre Kräfte. Ob die Millioneninvestitionen aber reichen, um die Tech-Grössen aus Amerika abzuwehren, ist alles andere als sicher. Kooperationen bergen die Gefahr, dass man sich zu sehr mit sich selbst und zu wenig mit dem Kunden beschäftigt. Und die Aggressivität der amerikanischen Internet-Riesen haben die Schweizer noch nicht richtig zu spüren bekommen. Trotzdem: Es ist wichtig, dass der Schweizer Kampfgeist jetzt erwacht ist. Kann man jetzt nicht konsequent kontern, sind die Geschäfte verloren.