Herr Berninghaus, gefällt es Ihnen bei der Migros nicht mehr?
Dieter Berninghaus: Doch, die Migros ist das beste Unternehmen, in dem ich je gearbeitet habe.
Warum gehen Sie dann?
Ich bin an einem Punkt, an dem ich nochmals etwas Neues machen muss. Nach 25 Jahren als Angestellter will ich Unternehmer werden und in einem internationalen Umfeld arbeiten.
Sie wurden an Weihnachten Vater von Zwillingen. Wollen Sie einfach aus der operativen Tretmühle heraus?
Nein, ich habe nicht das Gefühl, dass ich hier in einer Tretmühle stecke. Als Chef Handel bei der Migros hatte ich den besten Job im Schweizer Detailhandel.
In zwei Jahren tritt Migros-Chef Herbert Bolliger zurück. Haben Sie Ambitionen auf die Nachfolge?
Nein, das ist kein Thema. In meiner Funktion hatte ich sehr wenig administrative Arbeit. Als Migros-Chef wäre das anders. Das liegt mir nicht. Zum Glück ist Herbert Bolliger aber noch zwei Jahre da.
Sie können ja zurückkehren. Immerhin haben Sie ja seit neustem den Schweizer Pass. Als Migros-Chef brauchen Sie ihn.
Das ist ein absurder Gedanke. Ich bin Schweizer geworden, weil hier inzwischen meine Heimat ist. Mit dem Job hat das nichts zu tun.
Was reizt Sie am Unternehmertum?
Wir stehen in einer Zeit extremer Umbrüche. Die Digitalisierung krempelt alles um. Da will ich weiter dabei sein und meine Erfahrung und mein Netzwerk einbringen. Mit 51 fühle ich mich jung genug dazu.
Haben Sie keine Angst zu scheitern? Sie haben fünf Kinder und geben einen sicheren Job auf.
Biologisch fühle ich mich topfit und jung. Wenn ich den Schritt machen will, muss ich ihn jetzt machen. Die Verantwortung steigt, je älter die Kinder werden.
Sie haben eine fulminante Karriere hinter sich, waren mit 38 Rewe-Chef. Dann kam der Absturz durch eine Steueraffäre. In der Schweiz schafften Sie es wieder in eine Topposition. Welche Lehre ziehen Sie aus dem Auf und Ab?
Dass man versuchen muss, immer mit den besten Leuten zu arbeiten. Und dass man sich selbst nicht zu wichtig nehmen darf. Die Schweiz hat mich gelehrt, bescheiden zu sein, den Konsens zu suchen und zuzuhören. In einer komplexer werdenden Welt sind dies wichtige Eigenschaften. Die Zeit der One-Man-Shows ist vorbei.
Sind Ihre Kinder auch so ehrgeizig wie Sie?
Ja, allerdings eher im Sport als in der Schule. Im Wakeboarding, Surfen und Fussball messen wir uns.
Können Sie noch mithalten?
Logisch. Surfen ist meine Leidenschaft.
Der Detailhandel steckt in einer Krise. Verlassen Sie ein sinkendes Schiff?
Den richtigen Zeitpunkt gibt es nicht. Aber die Migros ist hervorragend aufgestellt. Bei der Digitalisierung gehört sie zu den fünf führenden Händlern Europas. In den traditionellen Geschäftsfeldern wie Warenhaus und Möbel spüren aber auch wir die Krise. Das wird auf absehbare Zeit so bleiben. Es ist naiv zu glauben, die Krise sei in zwei oder drei Jahren vorbei.
Was ist Ihr Rezept dagegen?
Kosten senken, das Tempo erhöhen und massiv in den digitalen Umbau investieren. Die Digitalisierung ist keine kurzfristige Mode-Erscheinung, sondern ein langfristiger Trend. Wer den verpasst, bleibt auf der Strecke.
Wie viel Geld investiert die Migros dort?
Auf Gruppenebene dreistellige Millionenbeträge. Das muss auch in Zukunft der Investitionsschwerpunkt sein.
Die Migros ist gut beim Investieren. Bei Effizienz und Tempo ist die genossenschaftliche Struktur eher ein Hindernis.
Das ist ein beliebtes Vorurteil, aber total falsch. Die Migros hat in den letzten Jahren sehr viele Innovationen hervorgebracht – allein in meinem Departement etwa Migrolino, Digitec und Galaxus oder die Start-ups M-Way und Sharoo. Bei der Migros arbeiten heute die besten Online-Köpfe der Schweiz. Im Vergleich zu uns fahren viele Konkurrenten Fahrrad. Wir sind dagegen im Tesla unterwegs. Aber wir sind noch lange nicht da, wo wir sein müssen.
Wer ist das Vorbild?
Im Food-Bereich sind wir führend. Beim Non-Food macht uns kaum einer der traditionellen Händler etwas vor. Hier müssen wir aber auf die neuen Wettbewerber wie Zalando und Amazon schauen.
Kommt Amazon in die Schweiz?
Ich sehe keine Anzeichen dafür. Aber Amazon macht auch über die Grenze hinweg guten Umsatz.
Das Möbelgeschäft Interio ist seit Jahren eine Leidensgeschichte. Wie wollen Sie die beenden?
Interio hat heute das schärfste Profil seit 20 Jahren. Inhaltlich und konzeptionell war Interio nie so gut wie heute. Aber der Markt ist katastrophal. Grosse deutsche Möbelhäuser liefern ihre Ware in alle Landesgegenden. Deshalb reicht es nicht für schwarze Zahlen, auch dieses Jahr nicht.
Müssen Sie auch bei Ex Libris über die Bücher?
Nein, was da teilweise behauptet wird, ist schlicht falsch. Ex Libris hat einen Online-Anteil von mehr als 50 Prozent. Das kann kein anderer stationärer Händler vorweisen. Ex Libris ist in Sachen Digitalisierung für die ganze Gruppe ein Kompetenzzentrum. Aber die Preise bei Games, Film und Musik sind so stark gefallen, dass es gar nicht möglich ist, den Umsatz zu halten. Wir haben aber Marktanteile gewonnen.
Ist Ex Libris profitabel?
Nein, aber das Geschäft kratzt an der Nulllinie.
Eine Baustelle ist Globus.
Stimmt, 2015 war das härteste seit mindestens zehn Jahren. Wir haben dies für einschneidende Veränderungen genutzt. Nun müssen Online und Offline vernetzt werden. Hier haben wir bis jetzt die Hausaufgaben nicht gemacht. Auch die Marke muss geschärft werden, Globus muss wieder cooler und aufregender werden. Deshalb holen wir Reto Waidacher als Einkaufschef von Interio zu Globus.
Auch der Discounter Denner dümpelt vor sich hin.
Keineswegs. Denner hat in den letzten Jahren immer Marktanteile gewonnen und seine Position gegen Aldi und Lidl super verteidigt. Das ist das Verdienst von Mario Irminger und seinem Team.
Wird er Ihr Nachfolger?
Diese Entscheidung muss Herbert Bolliger treffen, nicht ich.
Coop lanciert mit Siroop eine neue Internetplattform. Der Konkurrent hat die geballte Technologie-Power von Swisscom im Rücken. Büsst Migros ihren Vorsprung bald ein?
Wir nehmen jeden Angriff ernst, aber ich bin überzeugt, dass wir unseren Vorsprung sogar noch ausbauen werden. Bei Digitec und Galaxus wollen wir den Umsatz in den nächsten Jahren um mehrere Hundert Millionen steigern.
Coop-Chef Joos Sutter bietet der Migros an, Waren über Siroop zu verkaufen. Soll die Migros da mitmachen?
Nein. Dafür gibt es keinen Grund.
Was ist schlimmer – der starke Franken oder die Digitalisierung?
Kurzfristig ist der Einkaufstourismus die grösste Herausforderung. Langfristig hat die Online-Transformation aber einen viel grösseren Einfluss. Mindestens 20 Prozent des Non-Food-Einkaufs werden in den nächsten drei Jahren in den Online-Bereich abwandern. Das ist die wahre Revolution.
Wie viele Jobs wird das kosten?
Die Technologie wird Arbeitsplätze ersetzen, dafür entstehen neue, etwa in der Beratung. Der Schweizer Konsument hat hohe Ansprüche. Es wird auch in der Zukunft gute Leute in den Läden brauchen.
Worauf freuen Sie sich am meisten, wenn Sie Mitte Jahr hier hinausgehen?
Auf das Gefühl der totalen Eigenverantwortung.