Auf einen Blick
Die Migros hat diese Woche die Welt der Schweizer Bio-Fans erschüttert. Der orange Riese sieht für den Betrieb seiner Alnatura-Läden keine Zukunft mehr. Was mit den 25 Bio-Supermärkten passiert, ist noch unklar. Brancheninsider bezweifeln, dass die Filialen eine Zukunft haben – so bangen rund 300 Alnatura-Angestellte um ihren Job.
Zur Erinnerung: Vor Alnatura hat es die Reformhaus-Kette Müller erwischt. Sie verkaufte ebenfalls Bio-Produkte und ging 2023 Pleite. 37 Filialen verschwanden damit schlagartig.
Was ist los im Schweizer Bio-Markt? Warum das Bio-Beben?
Umsätze im Fachhandel haben sich stabilisiert
Der Bio-Markt in der Schweiz besteht einerseits aus dem Detailhandel mit Migros, Coop und den Discountern. Die Supermärkte erhöhen stetig den Anteil Bio am Sortiment. Das deutsche Billig-Bio von Alnatura gibt es etwa bei der Migros immer häufiger im Regal oder seit Anfang Jahr auch bei der Dorfladenkette Volg.
Andererseits gibt den kleinflächigen Bio-Fachhandel, der voll auf Produkte ohne Einsatz von Pestiziden und ökologische Tierhaltung setzt. Wie der Bioladen Viva Natura in Schaffhausen. «Viele Kunden machen ihren Wocheneinkauf bewusst bei uns», sagt Inhaber Hansi Sommer (57) zu Blick. Es gäbe aber auch Kunden, die ihren grossen Wocheneinkauf im Detailhandel machen – und im Bioladen noch zwei bis drei spezifische Produkte als Ergänzung kaufen. Denn Bio ist und bleibt teurer als konventionelle Produkte.
Sommer ist als Präsident der Genossenschaft Vielgrün, ein Verbund von insgesamt 54 unabhängiger Bioläden, ein Kenner der Branche. Die Vielgrün-Läden sind komplett eigenständig. Er betont: Die Kundschaft komme nicht wegen der Preise in den Bioladen – sondern wegen der guten Qualität und der kompetenten Beratung. «Die Kunden schätzen diesen Kontakt.»
Zahlen von Bio-Suisse zeigen: 2020 stieg der Umsatz mit Bio-Produkten noch sprunghaft auf 3,8 Milliarden Franken an. Grund dafür war die Pandemie. «Während Corona hatten wir in den Bioläden bis zu 90 Prozent mehr Umsatz. Ende 2022 sind diese Kunden schlagartig wieder verschwunden», erklärt Sommer.
Ernüchterung macht sich breit: Der Umsätze im Fachhandel fallen auf das Niveau von 2019 zurück. Ende 2022 brach die Mitgliederzahl der Genossenschaft Vielgrün nach einigen Geschäftsaufgaben auf 20 ein. Heute sind es 54 Mitglieder. In der Zwischenzeit haben sich die Umsätze stabilisiert. «Die Läden sind mit den Umsätzen zufrieden und wieder optimistischer», so Sommer.
Ein Beispiel aus Winterthur unterstreicht die Treue der Bio-Kundschaft. Der Bioladen Rägeboge fürchtete einen Umsatzeinbruch, als eine Alnatura-Filiale im benachbarten Neuwiesen-Zentrum eröffnete. Doch das Gegenteil geschah: Der Umsatz stieg. Dass sich der Fachhandel neben der starken Konkurrenz aus dem Detailhandel seit Jahren stabil halten konnte, sieht Sommer als beachtlichen Erfolg.
Nachfrage im Detailhandel ungebrochen
Bio Suisse bestätigt den Detailhandel als wichtigsten Absatzkanal von Bio-Produkten. «Seit 2020 konnten wir den Umsatz halten und sogar leicht steigern», so Bio Suisse auf Anfrage. 2023 lag dieser bei 4 Milliarden Franken, aktuellere Zahlen liegen nicht vor.
«Bio-Produkte sind bei uns so gefragt wie noch nie», heisst es bei Coop. Die rund 9000 Bio-Artikel machen 15 Prozent des Sortiments aus. Damit erwirtschaftete Coop 2024 1,8 Milliarden Franken von insgesamt 12,1 Milliarden Umsatz.
Auch im Regal bei den Discountern sieht man Bio häufiger. Bei Aldi ist ein Fünftel der rund 1800 Artikel in Bio-Qualität. Bei Lidl stehen insgesamt 350 Bio-Artikel in den Regalen – bei insgesamt rund 2000 Produkten. Beide bauen das Bio-Sortiment kontinuierlich aus, der Umsatz wächst. Bei Denner bleibt die Nachfrage stabil – doch die Kunden schauen zurzeit mehr wieder auf den Preis. Bei Volg sind Bio-Produkte dagegen eine Nische: Die rund 200 Artikel trugen bisher 3 Prozent zum Gesamtumsatz bei.
Lieber regional als bio
Eine Umfrage des Bundesamts für Statistik zeigt: Beim Kauf von Gemüsen und Früchten achten die Konsumenten eher auf Saisonalität oder Regionalität statt auf Bio. Dabei hat eine Bio-Tomate aus Spanien, die mit dem Schiff in die Schweiz transportiert wird, eine bessere CO₂-Bilanz als eine konventionelle Tomate aus der Region. Denn letztere ist im Gewächshaus gewachsen und wird im Kühllager frisch gehalten.
«Migros setzt stark auf ihr Regio-Programm und konkurrenziert damit natürlich Bio», sagt Stefan Flückiger (64) von Faire Märkte Schweiz. Die Migros selbst spürt gemäss eigenen Angaben jedoch keine deutliche Verschiebung von Bio zu Regionalität. Bei Coop hat das Thema Region an Bedeutung gewonnen.
Falls die Alnatura-Filialen aufgegeben werden, sieht Flückiger den Schaden angerichtet. Der Experte: «In vielen Gemeinden wurde mit Alnatura die kleinen Bioläden aus dem Markt gedrängt, was sich nicht rückgängig machen lässt». Fach- und Detailhandel funktionieren bei Bio – auch nebeneinander. Grosse Ketten wie Alnatura oder die Müller Reformhäuser sind offenbar kein Bedürfnis der Bio-Kundschaft.