Nicolas Thomann (20) begann seine Ausbildung zum Veranstaltungsfachmann ausgerechnet im August – in einer von Corona zerbombten Branche. Auch seinen Lehrbetrieb, die Whitelight Veranstaltungstechnik AG in Burgdorf BE, erwischte die Pandemie mit voller Wucht. Geschäftsführer Philipp Wyss (40): «Im Moment haben wir noch etwa zehn Prozent der üblichen Aufträge.»
Es fehlt an Arbeit – auch für die Lernenden. Für Thomann und seinen Oberstift heisst das: Material beschriften, Lager aufräumen, Büro putzen. Der gelernte Automechaniker hatte sich seine Zweitlehre anders vorgestellt. Doch er ist dankbar, sie machen zu dürfen. Zwei seiner Berufsschulkollegen haben ihren Ausbildungsplatz bereits verloren.
Solange sich Wyss mit Kurzarbeit und kleinen Aufträgen über Wasser halten kann, kommt für ihn die Auflösung der Lehrverträge nicht in Frage. «Wir ziehen das jetzt durch. Wir lassen die Giele nicht hängen!» Seine Branche sei auf gut ausgebildete Fachkräfte angewiesen. «Es ist wichtig, trotz Krise in die Lernenden zu investieren.»
Betriebe sollen weiterhin Lehrstellen anbieten
Damit andere Unternehmen mitziehen, nimmt der Veranstaltungstechniker an der Challenge «Pro Lehrstellen» der Taskforce «Perspektive Berufslehre 2020» teil. Denn trotz Corona sollen möglichst viele Betriebe weiterhin eine Lehrstelle anbieten.
Die Taskforce ist mit der Entwicklung des Lehrstellenmarktes sehr zufrieden. Wie das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation am Dienstag mitteilte, wurden im September schweizweit 76 420 Lehrverträge für 2020 abgeschlossen. Das entspricht gegenüber dem Vorjahreswert sogar einem leichten Anstieg.
Und: Es gibt immer noch offene Lehrstellen für 2020, aufgrund von Covid-19 wurde die Frist für die Lehrvertragsabschlüsse bis Ende Oktober verlängert.
Bei den abgeschlossenen Verträgen gibt es allerdings regionale Unterschiede: In den Regionen Nordwestschweiz, Zürich, Ostschweiz und Lémanique wurden mehr Lehrverträge abgeschlossen, im Mittelland, der Zentralschweiz und dem Tessin etwas weniger.
Krisenresistenter Lehrstellenmarkt
Nicole Meier (38), Ressortleiterin Bildung beim Arbeitgeberverband und ebenfalls Taskforce-Mitglied, sagt zufrieden: «Die duale Ausbildung ist bei den Schweizer Unternehmen tief verwurzelt.» Der Lehrstellenmarkt habe sich als krisenresistent erwiesen.
Das ist laut Bildungsökonom Stefan Wolter (54) eine historische Entwicklung. In den letzten 25 Jahren habe der Lehrstellenmarkt stets auf konjunkturelle Krisen reagiert – bis heute. «Normalerweise sinkt das BIP während einer Rezession kontinuierlich. Aber noch nie wurde eine Krise, wie im Lockdown, von einem Tag auf den anderen ausgerufen», so der Direktor der Schweizerischen Koordinationsstelle für Bildungsforschung. Wolter vermutet, die Unternehmen seien von einer kurzen Krise ausgegangen. «Zudem waren viele Lehrstellen, insbesondere in der Deutschschweiz, vor Ausbruch der Pandemie schon unter Dach und Fach.»
Rückgang tiefer als angenommen
Massnahmen zur Stärkung der Wirtschaft – etwa Kurzarbeit oder Konkursverbot – wirkten sich auch auf den Lehrstellenmarkt positiv aus. Das Seco gab am Montag die aktuelle Konjunkturprognose heraus. Das Staatssekretariat für Wirtschaft sieht für 2020 einen Rückgang des BIP um 3,8 Prozent voraus – im Juni sprach man noch von minus 6,2 Prozent. Damit dürfte auch der von Wolter im Frühjahr prognostizierte Lehrstellenrückgang von bis zu 20'000 Stellen bis 2025 geringer ausfallen.
Genau diese düstere Perspektive indes könnte zu der erfreulichen Entwicklung des Lehrstellenmarktes beigetragen haben, meint Wolter, und «die Jugendlichen dazu bewogen haben, auch eine Lehrstelle in Betracht zu ziehen, welche nicht die erste Wahl darstellte».
Dem Bildungsforscher ist klar: Dass sich der Lehrstellenmarkt in diesem Jahr trotz Krisen als stabil erwiesen hat, ist noch lange keine Garantie für die Zukunft.
Im Moment fehlen alle Anzeichen dafür, dass der Arbeitsmarkt für Stifte 2021 einbrechen wird. Die Zahl der online geschalteten Lehrstellen entspricht den Zahlen des Vorjahres. Laut «LehrstellenPuls» der ETH Zürich gaben im September 84,1 Prozent von mehr als 2700 Lehrbetrieben an, 2021 gleich viele oder mehr Lehrstellen anbieten zu wollen.
Einige Kantone mit mehr Lehrstellen
Auch eine Umfrage von SonntagBlick bei den Kantonen ergab, dass nur bei sechs von 18 Kantonen eine leichte Tendenz zu weniger Lehrstellen bemerkbar ist. Die übrigen Kantone nehmen keine Veränderung wahr – oder sogar eine leichte Steigerung.
«Die epidemiologische Lage, die Kompromissbereitschaft der Jugendlichen und die wirtschaftliche Entwicklung werden für die Zukunft des Lehrstellenmarktes entscheidend sein», sagt Wolter – besonders bei stark von Corona betroffenen Branchen.
Auch Philipp Wyss und Nicolas Thomann bereiten die Unsicherheiten in ihrer Branche Sorgen. Bei den Veranstaltungen könne sich jederzeit alles ändern, sagt Wyss. Der aktuelle Anstieg der Fallzahlen sei das beste Beispiel. «Zunächst sah es im September erstaunlich positiv aus. Wir konnten einige Offerten ausstellen. Doch seit letzter Woche trifft wieder eine Absage nach der anderen ein», so der Veranstaltungstechniker frustriert. Bis zu seinen ersten grossen Einsätzen muss sich Nicolas Thomann also weiter gedulden.
Däumchendrehen allerdings liegt weder dem Lernenden noch seinem Lehrmeister. Die beiden können es kaum erwarten, wieder den Lastwagen zu beladen und zu einem Festival zu fahren. Für seine Lehre würde sich Thomann trotz Corona wieder entscheiden: «Das will ich nicht aufgeben. In der Veranstaltungsbranche steckt mein Herzblut.»