Gut für die Schweiz
Für SVP-Nationalrat Lukas Reimann würde ein Brexit neue Wege für ein EU-Freihandelsabkommen öffnen, an dem nebst Grossbritannien auch die Schweiz beteiligt sein könnte. Für Reimann ist klar: «Die Efta würde gestärkt, die Folgen der neuen Beziehungen wären mehr Souveränität und Verhandlungsmacht der Schweiz.»
Reimann hofft weiter auf Reformdruck: «Sagt Grossbritannien Ja zum Brexit, wird die EU gezwungen, fällige Reformen in Angriff zu nehmen.» Und wenn die EU demokratischer werde, könne dies nur positiv sein – auch für die Schweiz: «Denn ich bin überzeugt, dass eine Reform die EU wirtschaftlich stärken würde, woran wir schliesslich ebenfalls Interesse haben.»
Für den Zürcher FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann wäre der Brexit ein Ausweg aus der «bilateralen Sackgasse». Ohne Rahmenabkommen seien neue Marktzugänge blockiert. Verliesse Grossbritannien allerdings die EU, könnte dies der Schweiz grössere Unabhängigkeit verschaffen.
Die Zeit, in welcher London mit der EU über die neue Beziehung verhandle, könnte eine Chance für die Schweiz darstellen, findet Portmann. Es sei durchaus möglich, dass Unternehmen, die ausserhalb des EU-Binnenmarktes mit Grossbritannien freien Handel betreiben wollen, ihren Sitz in die Schweiz verlegen würden.
Schlecht für die Schweiz
Nach einem Brexit wird die EU kaum noch Interesse an Verhandlungen mit der Schweiz haben. Vor allem wenn es in weiteren Ländern zu Austrittsbestrebungen komme, sagt EU-Experte Thomas Schäubli von Wellershoff & Partners. Und: «Der Schweizer Fahrplan zur Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative ist ohnehin ambitioniert.» Ein Brexit würde ihn abrupt stoppen.
Wenn die Briten auch den bilateralen Weg wählten, werde alles komplizierter, ist Schäubli überzeugt. «London und Bern haben so unterschiedliche Interessen, dass sie kaum geeint mit der EU verhandeln können.» Dann stünden Dreiecksverhandlungen an – «verhandlungstechnisch ein Albtraum».
Aus der Sicht von ZKB-Chefökonom Anastassios Frangulidis würde hierzulande ein Brexit kurzfristige Marktverwerfungen und damit weiteren Aufwertungsdruck auf den Schweizer Franken auslösen. Die Nationalbank habe betont, dass sie dann Massnahmen prüfen müsste (siehe rechts). Weitere, massivere Währungsinterventionen wären wahrscheinlich.
Laut Frangulidis könnte der Brexit die Verhandlungen mit der Schweiz zur Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative weiter verlangsamen: «Damit würde die Phase der Unsicherheit verlängert, was auch die Wirtschaft zu spüren bekäme.»
Für die Nationalbank würde es teuer
Sollten die Briten nächste Woche aus der EU austreten, käme dies die Schweiz teuer zu stehen. Die Aktienmärkte und das Pfund würden verlieren, der Franken ginge durch die Decke.
«Bei einem Ja ist mit Turbulenzen an den Märkten zu rechnen», sagte Thomas Jordan (53), Präsident der Schweizerischen Nationalbank (SNB), gestern in Bern. «Wir würden unsere Politik anpassen.» Die SNB müsste massiv Fremdwährungen kaufen, um den Druck vom Franken zu nehmen. Zuständig für die Käufe ist das Departement III von Andréa Maechler (47). Sie ist gewappnet: «Wir verfolgen die Märkte rund um die Uhr.»
Ob die SNB nach einem Ja der Briten sofort die Zinsen senken würde, lässt Jordan offen. Er betonte, dass die SNB Spielraum habe. Bis jetzt gebe es keine Anzeichen, dass die Leute ihr Geld bei den Banken abheben und zu Hause horten würden. Bis auf weiteres lässt die SNB den Zins bei minus 0,75 Prozent.
Stimmen, die sich vom Brexit einen Vorteil für die Schweiz versprechen, stellt sich Jordan entgegen: «Es läge im Interesse der Schweiz, wenn Grossbritannien in der EU bleiben würde.»
Denn die Unsicherheiten nach einem Ja der Briten würden auch der Schweizer Exportwirtschaft schaden. Die Notenbank hält einen Verbleib der Briten in der EU für wahrscheinlicher als einen Austritt. In den letzten Tagen sei die Wahrscheinlichkeit für den Brexit aber gestiegen, so Jordan.
Vor allem Bankaktien stehen deshalb unter Druck. Auch UBS und CS verloren gestern an der Börse. Unabhängig vom Brexit fordert die SNB von ihnen dickere Eigenkapitalpolster. Gemäss ihrem Stabilitätsbericht fehlen UBS und CS zusammen heute 70 Milliarden Franken, um die gesetzlichen Anforderungen bis 2020 zu erfüllen.
Das Geld müssen sich die Banken in Form von Anleihen beschaffen, die bei einer Krise zu Eigenkapital werden. «Das ist eine Herausforderung für die Banken, aber es ist nötig», sagt Fritz Zurbrügg (56), Nummer zwei bei der SNB.