Impfen lohnt sich nicht – jedenfalls nicht für die Pharmaindustrie. Viel einträglicher sind Investitionen in Krebsforschung und Gentherapien: Binsenweisheiten, die in Corona-Zeiten überholt sind. Überall auf der Welt sind » und Biotechfirmen in den Wettlauf nach einem Corona-Impfstoff eingestiegen. Und lange bevor die erste Dosis überhaupt in Reichweite kommt, ist ein Streit zwischen den Staaten ausgebrochen: Welches Volk erhält den Stoff zuerst?
Nora Kronig ist Leiterin der Abteilung Internationales beim Bundesamt für Gesundheit (BAG). Sie soll dafür sorgen, dass sich die Schweiz in diesem Kampf behaupten kann – und hat dabei drei Ziele: «Wir wollen die Forschung und Entwicklung fördern, der Schweizer Bevölkerung so schnell wie möglich einen Impfstoff sichern und zu einer weltweit gerechten Verteilung beitragen.»
300 Millionen Franken hat der Bundesrat dafür zur Verfügung gestellt. 40 Millionen wurden bereits an internationale Organisationen gesprochen.
Produktion als grösste Herausforderung
Weltweit arbeiten rund 150 Forschungseinrichtungen an der Entwicklung eines Corona-Impfstoffs. Nun soll die Arbeitsgruppe «Impfstoff Covid-19» dafür sorgen, dass die Schweiz auf das richtige Pferd setzt. «Wir wissen nicht, welche Technologie am Ende Erfolg hat», sagt Nora Kronig. «Darum gehen wir mehrgleisig vor.» Die grösste Herausforderung sei die Produktion. «Aber auch das Tempo ist entscheidend. Wer mit seinem Produkt am schnellsten ist, gewinnt.»
Am weitesten ist Moderna. Die US-Firma arbeitet mit der sogenannten mRNA-Technologie. «Sie wurde bereits in vielen anderen Anwendungen getestet», sagt Christian Münz (50), Immunologie-Professor an der Uni Zürich. «Deshalb konnte Moderna schon früh mit klinischen Tests am Menschen starten.» Im Juli will sie ihren Impfstoff 150'000 Kandidaten verabreichen. Zu den Spitzenreitern gehört auch der britisch-schwedische Konzern AstraZeneca. Das Unternehmen verspricht eine Milliarde Dosen bis Ende Jahr.
Impfstoff aus der Schweiz möglich
Schweizer Firmen mischen ebenfalls mit. Im Gegensatz zur internationalen Konkurrenz ist aber noch keine von ihnen in der klinischen Testphase. Haben sie überhaupt eine Chance? Kronig: «Es ist möglich, dass in der Schweiz ein funktionierender Impfstoff gefunden wird. Damit ist jedoch die Frage der Produktion noch nicht beantwortet.»
Zwar gibt es auch in der Schweiz passende Produktionsstätten. So soll der Lonza-Konzern in Visp VS den Wirkstoff für Moderna herstellen. Die Impftochter des Pharmagiganten Johnson & Johnson in Bern stünde ebenfalls bereit. Nicht jede Technologie aber funktioniert in jedem Werk. Immunologe Münz ist dennoch überzeugt: «Die Produktion von zehn Millionen Dosen ist in der Schweiz möglich.»
Studie startet im August
Das glaubt auch Stéfan Halbherr (34). «Wir können Millionen von Impfdosen herstellen», verspricht der CEO der Firma InnoMedica in Marly FR. «Die Frage ist lediglich, bis wann und unter welchen Umständen.» Halbherrs Technologie: synthetische Liposomen, die in Kombination mit einem entsprechenden Virusprotein eine Immunreaktion im menschlichen Körper hervorrufen. «So neutralisieren wir das Covid-19-Virus», sagt Halbherr. Im August will er mit der klinischen Studie starten.
Doch Immunologe Beda Stadler (69) sieht da ein Problem: «Die Fallzahlen sinken. Das verunmöglicht klinische Tests am Menschen.» Für ihn ist deshalb klar: «Ohne zweite Welle gibt es keinen Impfstoff.» Zwar könne man jetzt in Ländern wie Brasilien oder Russland testen, wo die erste Welle tobe. «Aber da warten politische und soziale Hürden.» Stadlers Fazit: «Noch kann niemand sagen, ob es überhaupt einen Impfstoff geben wird und wie gut er allenfalls funktioniert.»
Mini-Antikörper aus Krebsforschung
Sind wir bis dahin dem Virus wehrlos ausgeliefert? «Nein», sagt Patrick Amstutz (45), CEO des Biotech-Unternehmens Molecular Partners in Schlieren ZH. Die Firma arbeitet mit Darpins – einer Art Mini-Antikörper, die sie in der Krebsforschung einsetzt. Mit Darpins lässt sich auch das Coronavirus bekämpfen. «Bei einem Impfstoff bildet der Mensch Antikörper gegen das Virus», erklärt Amstutz. «Wir dagegen geben dem Menschen den Wirkstoff direkt.» So können Patienten, die mit dem Virus infiziert wurden, behandelt werden. Amstutz: «Wir blockieren das Virus und verändern so den Krankheitsverlauf.»
Aber Darpins lassen sich auch prophylaktisch einsetzen: Tritt etwa in einem Altersheim ein Corona-Fall auf, können die anderen Bewohner damit vor einer Ansteckung geschützt werden. Denkbar ist ein solcher Einsatz auch in Spitälern oder in der Pflege. Denn: «Eine Injektion sollte während eines Zeitraums von einem bis drei Monaten schützen», so Amstutz.
Verträge bereits vor Abschluss
Könnte die Firma das Medikament auch in grossen Mengen herstellen? «Darpins werden in Bakterien hergestellt», sagt Amstutz. «Deshalb können wir einfacher, schneller und billiger produzieren als andere.» Damit will er bereits im Sommer beginnen. Vertragsverhandlungen mit Firmen in der Schweiz und im Ausland stehen vor dem Abschluss.
Das Rennen läuft. Und es macht deutlich: «In der Pandemie muss man selber herstellen können», sagt Steve Pascolo (49), Forscher an der Uni Zürich. In den 1990er-Jahren gründete der Franzose im deutschen Tübingen die Firma Curevac – und entwickelte als Erster die mRNA-Technologie, mit der Moderna zurzeit für Furore sorgt.
Pascolo: «Mit der Boten-RNA lassen sich alle Viren bekämpfen, nicht nur das Coronavirus.» Deshalb sollte die Schweiz ein Werk bauen, in dem mit dieser Technologie produziert werden könnte, meint der Uni-Forscher.
«Es wäre eine kleine Investition mit grosser Wirkung.» Für Pascolo ist klar: «Die Schweiz braucht eine Impfstofffabrik!»