Das grosse Interview mit Ex-Novartis-Chef Daniel Vasella
«Als ich in der Kritik stand, wurde ich gemieden»

Daniel Vasella (63) meldet sich zurück! Der langjährige Novartis-Chef spricht über die grössten Gefahren für einen CEO, über Millionensaläre, die seinen Ruf beschädigt haben – und was er davon hält, dass die aktuelle Novartis-Führung einiges ­anders macht als er.
Publiziert: 13.05.2017 um 23:50 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 09:40 Uhr
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«Die grössten Gefahren für einen Chef sind Macht, Schmeichelei, Geld und Sex»: Ex-Novartis-Chef Daniel Vasella.
Foto: Philippe Rossier
Christian Dorer (Interview), Philippe Rossier (Fotos)

Treffpunkt ist das Restaurant Waldheim in Risch ZG, unweit von Daniel Vasellas Wohnort. Er fährt in seinem Tesla vor, entspannt und gut gelaunt. Mit dichtem Bart ist er kaum wiederzuerkennen. Vor etwas mehr als vier Jahren ist er als Verwaltungsratspräsident von Novartis zurückgetreten – unter nationaler Aufwallung: Er hatte für ein Konkurrenzverbot 72 Millionen Franken Abfindung erhalten. Er wollte spenden, verzichtete aber unter Druck auf das Geld. Danach trat Vasella nicht mehr öffentlich in Erscheinung. Er lebte drei Jahre lang in den USA, kehrte dann an den Zugersee zurück.

SonntagsBlick: Herr Vasella, vermissen Sie das Rampenlicht?
Daniel Vasella:
Im Gegenteil! Es ist angenehm, nicht erkannt zu werden. Es lebt sich ruhiger.

Viele Persönlichkeiten, die lange in der Öffentlichkeit standen, fallen nach dem Abgang in ein Loch. Wie ist es Ihnen ergangen?
Mir war immer bewusst, dass berufliche Rolle und persönliche Identität sich zwar beeinflussen, jedoch zwei verschiedene Dinge sind. Man darf die Identität nicht von der Rolle abhängig machen. Auch ist es einfacher abzutreten, wenn man beruflich noch gewisse Tätigkeiten hat, in meinem Fall als Verwaltungsrat und Coach. Aber klar: Die Pensionierung ist für jeden ein grosser Einschnitt. Besonders wenn man zuvor wegen des Berufs Familie und Freunde vernachlässigt hat.

Sie auch?
Nein. Ich habe mir immer Freiräume für die Familie genommen. Das war ein wichtiges Anliegen von mir und meiner Frau. Mit Freundschaften war es schwieriger: Meist bleiben nur die alten. In einer Topfunktion ist es kaum möglich, neue Freundschaften aufzubauen.

Wie viele Leute haben sich von ­Ihnen abgewandt, als Sie nicht mehr wichtig waren?
Bei Politikern war das auffällig. Als ich im Hoch war, wollten sich alle mit mir zeigen. Als ich in der Kritik stand, wurde ich gemieden.

Sie coachen Führungskräfte. Was zeichnet einen guten CEO aus?
Es gibt kaum eine Person, die jedes Unternehmen zu jeder Zeit optimal führen könnte. Geht es um Krisenbewältigung, Transformation oder Wachstum? Da sind verschiedene Eigenschaften gefragt. Immer aber gilt: Ein CEO muss konzeptuell und strategisch denken können, handlungsorientiert und kreativ sein. Es braucht ebenso Mut wie Um- und Vorsicht. Man muss sich durchsetzen können, aber gleichzeitig feinfühlig und integer sein. Viele widersprüchliche Kompetenzen also, um die Richtung anzugeben, eine gemeinsame Ausrichtung zu schaffen und die Umsetzung zu sichern.

Was sind die grössten Fehler, die ein Chef machen kann?
Das ist selten der Fokus in meinen Coachings. Wichtiger ist, sich darauf zu konzentrieren, was man gut macht und wie man sich weiterentwickeln kann. Jeder hat Schwächen, keine Frage, er muss sie erkennen und im Team ausgleichen. Wenn zum Beispiel ein CEO in den Finanzen nicht so gut ist, braucht er einen richtig guten Finanzchef. Natürlich ist es falsch, den kurzfristigen Profit etwa auf Kosten der Forschung zu maximieren. Dies geht auf Kosten ­eines nachhaltigen Wachstums.

Oft entwickeln sich kleine Dinge zum Flächenbrand. So wie bei United Airlines, als der Chef seine Leute verteidigte, die einen Passagier aus dem Flugzeug schleiften.
Ein Chef muss merken, wenn sich eine Krisensituation entwickelt – bevor die Krise da ist. In diesem Fall stellt sich die Frage, ob man sich hinter den Angestellten oder den Kunden stellt. Fehler muss man rasch eingestehen und sich entschuldigen, ohne die Angestellten anzuschwärzen.

Wie gross ist die Gefahr, dass sich ein Chef nur noch mit Jasagern umgibt?
Das hängt vom Führungsstil ab. Führt jemand partizipativ oder autoritär, straft er ab und belohnt nicht nach Leistung? Die grössten Gefahren für einen Chef sind Macht, Schmeichelei, Geld und Sex.

Sex?
Ja, klar. Es gibt immer wieder Chefs, die an Affären scheitern.

Wie kommt das?
Die menschlichen Bedürfnisse sind nun mal da. Wenn man dauernd unterwegs ist, dauernd arbeitet, stellt sich die Frage, wo man Zuneigung und Zärtlichkeit erhält. Das kann dazu führen, dass man eine Liebschaft innerhalb der eigenen Firma eingeht. Der Chef fühlt sich begehrt, meint, er sei wahnsinnig toll – und merkt nicht, dass dies nur seiner Funktion gilt.

Haben Sie das in Ihrem Umfeld auch erlebt?
Wir wiesen immer darauf hin, dass es kein Problem ist, wenn sich Menschen im Betrieb kennenlernen und eine Beziehung eingehen. Aber es darf nicht zwischen Chefs und Untergebenen sein. Wenn sich Paare melden, kann man das Problem ­lösen. Wenn das aber jemand verschwieg oder leugnete, trennten wir uns vom Vorgesetzten.

Sie waren 17 Jahre lange der König von Novartis. Wer war da noch ehrlich zu Ihnen?
Das ist ein irreführendes Bild. Ich hatte integre und vertrauenswürdige Kollegen. Aber natürlich bekam ich nicht alles mit. Und ich erwartete auch nicht, dass sich alle trauten, mir die Leviten zu lesen. Es gab aber Instrumente wie anonyme Feedbacks, die hilfreich waren. Zudem hatte ich das Glück, mit dem Vizepräsidenten des Verwaltungsrats ­einen Vertrauten zu haben, der mir gegenüber wohlwollend-kritisch war und mit dem ich alles besprechen konnte.

Sie sind noch heute Ehren­präsident von Novartis.
Das ist keine Funktion, nur Ehre (lacht).

Haben Sie Ihre Aktien behalten?
Ja, fast alle.

Sie glauben also an Novartis unter der jetzigen Führung?
Grosskonzerne durchlaufen Zyklen. Mein Investitionshorizont ist langfristig. Ich glaube, dass Novartis langfristig Erfolg haben wird.

Unter Ihrer Ägide fand die Übernahme von Alcon statt – mit rund 50 Milliarden Franken die grösste Übernahme in der Schweiz. Alcon entwickelte sich nicht wunschgemäss, steht heute gar zum Verkauf. Ein Fehler von Ihnen?
Wenn man wüsste, wie eine Firma in der Zukunft geführt wird, müsste man diesen Schluss ziehen.

Alcon wurde schlecht geführt?
Bei der Übernahme war Alcon sehr profitabel und wuchs dynamisch. Das ist heute leider nicht mehr der Fall.

Ihre Vision von Novartis war die eines Superkonzerns. Ihre Nachfolger konzentrieren sich auf das Kerngeschäft, stossen ganze Divisionen ab. Lagen Sie falsch?
Es gibt viele Grosskonzerne, die breit aufgestellt sind und Erfolg haben – etwa John­son & Johnson. Eine Firma kann in verschiedenen Feldern tätig sein, sie muss aber in allen kompetent sein. Wenn man ein neues Geschäft wie das Impfstoffgeschäft aufbaut, braucht es Geduld. Es dauert Jahre, bis man mit marktreifen Produkten profitabel wird.

Sind verkaufte Divisionen nun profitabel, muss Sie das schmerzen.
Das ist ärgerlich, ja.

Sie hielten die Divisionen an der langen Leine, Novartis-CEO Joe Jimenez hat nun vieles zentralisiert und Milliarden eingespart. Wieso haben Sie dieses Potenzial nicht genutzt?
Weil ich an den Vorteil dezentraler Organisationen glaube. Man muss den Mitarbeitenden Verantwortung geben. Je grösser ein Konzern, desto mehr Verantwortung muss man verteilen. In der Firmengeschichte gab es bereits eine Phase, in der ein grosses Zentrum Dienstleistungen erbrachte. Zu Beginn spart man Geld. Später steigen die Ausgaben wegen Bürokratie, Doppelspurigkeiten und Ineffizienz. Zudem entfernt man sich vom Kunden vor Ort. Nichtsdestoweniger hoffe ich, dass es diesmal anders sein wird. Letztlich zählen die Resultate.

Sie verdienten zeitweise um die 40 Millionen Franken. Der jetzige CEO verdient zehn, der Präsident drei Millionen. Das zeigt doch: Ihr Salär war überrissen.
Wie dieser Betrag von gewissen Aktivisten berechnet wurde, habe ich nie verstanden. Aber es stimmt: Die Löhne waren höher. Die Diskussion wird aber auch heute bei den tieferen Löhnen genau gleich geführt.

Millionensaläre sind bis heute gesellschaftlich nicht akzeptiert.
Dies trifft zumindest in Europa zu. Die weltweite Rekrutierung von Führungskräften führte in den 90er-Jahren zu höheren Löhnen, die dem US-Niveau angeglichen wurden. Dort sind Löhne von 30 Millionen auch heute keine Seltenheit. Der CEO von Google erhielt im letzten Jahr gar 200 Millionen. Für die Investoren ist wichtig: Sind die Löhne wirklich resultatabhängig, wie hoch sind Personalkosten, gemessen an Umsatz und Gewinn? Je nach Industrie gibt es grosse Unterschiede.

Ihr Argument war stets: Millionensaläre sind, gemessen an den Mil­liardengewinnen, nicht viel. Aber führen hohe Löhne nicht zum Bruch zwischen Volk und Elite?
Solche Löhne brechen mit Normen und sind deshalb schwer nachvollziehbar. Die Problematik wird verschärft, wenn trotz schlechter Resultate hohe Löhne bezahlt werden. Und dann ist es auch ein wunderbares Medienthema, das immer wieder geschürt wird. Man dachte immer, dass Transparenz zu tieferen Löhnen führt – das Gegenteil war der Fall.

Sie sind gegen Lohntransparenz?
Es würde weniger Vergleiche geben und kein gegenseitiges Hochschaukeln. Früher wurden die Löhne in ­einem kleinen Kreis des Verwaltungsrats definiert. Es gab mehr Selbstverantwortung, auch wenn der Lohnbezüger seinen Lohn nie selber bestimmt hat. Heute werden Löhne im Verwaltungsrat extensiv diskutiert und Berater beigezogen. Schliesslich macht der Verwaltungsrat den Aktionären einen Vorschlag und die Aktionäre entscheiden.

Bei Ihrem Rücktritt erhielten Sie 72 Millionen Franken für ein Konkurrenzverbot, was für Empörung sorgte. Wie beurteilen Sie die Sache vier Jahre danach?
Es war unangenehm, auch wenn ich eine dicke Haut habe. Einfacher wäre gewesen, hätte ich von Anfang an auf die Vergütung verzichtet, statt den Betrag spenden zu wollen. Im Nachhinein ist man meist klüger.

Man machte Sie für das Ja zur Abzocker-Initiative verantwortlich.
Diesen Erfolg darf man dem Initianten des Gesetzes nicht nehmen.

Sie lebten danach drei Jahre lang in den USA. Wie sehen Sie die Schweiz mit etwas Abstand?
Wir leben in einem sehr privilegierten Land! Es ist einfach unglaublich schön hier. Zudem ist die Schweiz politisch stabil, relativ sicher, hat ein gutes Ausbildungssystem und ist steuerlich attraktiv. Die Schweiz soll sich auf ihre Stärken fokussieren, ihre Eigenständigkeit bewahren und nicht einfach unbesehen alle Regulatorien von der EU übernehmen.

Der Schweiz bleibt oft gar nichts anderes übrig.
Wieso?

Damit Grosskonzerne wie Novartis freien Handel betreiben können.
Das ist nicht zwangsmässig verbunden. Die vielen Gesetze und Regelwerke der EU, welche die Schweiz übernimmt, haben auch einen Preis. Alles wird komplizierter.

Sie haben in Uruguay eine Farm gekauft. Passion oder verspätete Midlife-Crisis?
Das ist ein Kindheitstraum von mir. Meine Frau und ich fahren zwei, drei Mal pro Jahr dorthin.

Was hält eigentlich Ihre Frau ­davon, dass Sie nun mehr Zeit ­haben?
Die Phase, in der die Kinder ausziehen, bringt für alle Paare eine Neuorientierung. Das war auch bei uns so. Die Kinder sind immer noch sehr wichtig, stehen aber nicht mehr derart im Zentrum wie früher. Das hat meine Frau und mich noch näher zusammengebracht.

Wie oft sehen Sie Ihre Kinder?
Wenn ich zu Hause bin mehrmals pro Woche. Mit meinen Kindern ­teile ich zahlreiche Leidenschaften. Wir ziehen auch die Partner meiner Kinder mit in das Familienleben ein. Das ist wunderbar!

Was wollen Sie in Ihrem Leben noch gemacht haben?
(Denkt nach.) Das überlege ich mir immer wieder. Ich bin in einer sehr zufriedenen Phase. Das Wichtigste ist, dass es meiner Familie gut geht. Wenn ich mal ein Grosskind hätte, wäre das etwas sehr Schönes. l

5 schnelle Fragen

CEO oder Verwaltungsratspräsident?
CEO, weil es spannender ist.

Helikopter oder Motorrad?
Motorrad. Ist einfacher und braucht weniger Vorbereitungszeit.

Bart oder Rasur?
Bart.

Glück oder Geld?
Glück.

Zugersee oder New York?
Zugersee, der ist viel schöner.

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