Ein Unglück kommt selten allein. Zuerst wurde der Franken immer härter, dann kam die Zweitwohnungsinitiative, schliesslich wurde auch die Wasserkraft zum Verlustgeschäft. Das traf die Berggebiete ins Mark. Tourismus, Bau und Stromwirtschaft rutschten gleichzeitig in die Krise.
Nun legt die Denkfabrik Avenir Suisse einen Reformplan vor. Die Stossrichtung: Nicht der Staat soll es richten, Private sollen den Karren aus dem Dreck ziehen.
«Subventionen schaffen nur neue Abhängigkeiten», gibt Avenir-Suisse-Chef Peter Grünenfelder (50) den Takt vor. «Was es braucht, sind marktwirtschaftlich-liberale Reformen für eine zukunftsfähige Wirtschaftsstruktur.»
«Ein Amazon für das Berggebiet»
Ein Wundermittel hat auch Avenir Suisse nicht. Die Vorschläge gehören zum Standardarsenal liberaler Politik: Kleine Gemeinden sollen sich zusammenschliessen, um effizienter zu werden. Investitionen sollen dort getätigt werden, wo sie den grössten Nutzen bringen. Nicht bis in jedes Tal hinein sollen neue Strassen gebaut werden.
«Gewisse Schrumpfungsprozesse lassen sich nicht verhindern», sagt Grünenfelder. Das ist eine noble Umschreibung dafür, dass gewisse Täler wohl aussterben.
Den Hotels und Restaurants soll mit tieferen Preisen für Lebensmittel geholfen werden. Das würde nach Ansicht von Avenir Suisse mit der Öffnung der Grenzen für Agrarprodukte erreicht.
Neue Technologien sollen auch einen Beitrag leisten: Eine App soll Rappenspaltern unter den Touristen zeigen, wie sie mit wenig Geld über die Runden kommen. Regionale Spezialitäten sollen über eine Online-Plattform vermarktet werden. «Wir brauchen ein Amazon des Berggebietes», sagt Studienautor Daniel Müller-Jentsch (48).
«Forderung nach Freihandel ist Humbug»
«Die Vorschläge gehen in die richtige Richtung», lobt Andreas Züllig, Präsident des Hotellierverbandes und selber Hotelier auf der Lenzerheide. «Heute spürt man den Wandel noch nicht im vollen Ausmass. Aber wir müssen vorbereitet sein. Wir brauchen eine Strategie für den ganzen Wirtschafts- und Lebensraum Alpen.»
Skeptischer ist der Bündner CVP-Nationalrat Martin Candinas (36). Als ihn BLICK am Telefon erreicht, schaut er sich gerade den Super-G der Frauen in St. Moritz an. «Die Ski-WM ist das beste Beispiel, wie wichtig das Berggebiet für die Schweiz ist.» Auch das WEF oder der Spengler-Cup hätten enorme internationale Ausstrahlung. «Die Menschen in den Berggebieten machen nicht die hohle Hand, sondern leisten sehr viel für die Schweiz.»
Die Forderung nach Agrarfreihandel ist für ihn «Humbug»: Landwirtschaft und Tourismus gegeneinander auszuspielen sei grundfalsch. «Nur mit lokalen Produkten bleiben wir unverwechselbar und schaffen Emotionalität.»
Auch einzelne Täler stillzulegen, ist für Candinas der falsche Weg: «Die Stärke der Schweiz ist die Vielfalt. Man kann nicht per Verwaltungsbeschluss einzelne Gegenden von jeglicher Entwicklung abschneiden.»