CSS-Chefin Philomena Colatrella präsentiert ihre Radikalkur für tiefere Gesundheitskosten
«Mindestfranchise von 10'000 Franken!»

Die Schmerzgrenze bei den Prämien ist erreicht. Deshalb denkt CSS-Chefin Philomena Colatrella laut über ein radikales Franchisen-Modell nach.
Publiziert: 14.04.2018 um 23:32 Uhr
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Aktualisiert: 27.09.2018 um 12:45 Uhr
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Die CSS gehört nicht zu den billigsten Krankenkassen, trotzdem haben Sie letztes Jahr 45'000 neue Versicherte gewinnen können. Wie geht das?

Philomena Colatrella: 2017 haben wir zu den günstigsten gehört, die Prämien sind bei uns im Schnitt um 2,2 Prozent gestiegen, deutlich weniger als der Branchendurchschnitt von 4,5 Prozent. Das hat uns das Wachstum gebracht.

CSS-Chefin Philomena Colatrella denkt laut über ein radikales Franchisen-Modell nach.
Foto: Peter Mosimann

2017 war Ihr erstes volles Jahr als Chefin der CSS. Haben Sie die Branche weitergebracht, wie das Ihr Anspruch ist?
Als führender Akteur dürfen wir keine passive Rolle einnehmen. Ich will etwas bewegen. Stichwort Expertenbericht des Bundes: Wir gehören nicht zu den Nein-­Sagern, die alles sofort ablehnen. Nun liegt ein Bündel von Massnahmen auf dem Tisch, das müssen wir genauer analysieren. Die Schmerzgrenze bei der Tragbarkeit der Prämien ist erreicht.

Das wissen die Prämienzahler längst! Wieso hat es so lange gedauert, bis auch in der Branche diese Einsicht gereift ist?
Wir haben zu wenig gemacht! Alle – auch wir Krankenversicherer. Da bin ich sehr selbstkritisch. Wir diskutieren seit 20 Jahren über genau die Massnahmen, die im Expertenbericht vorgeschlagen werden. Das ist keine Revolu­tion. Viele dieser Massnahmen haben wir schlicht nicht in Angriff genommen. Jetzt ist die Zeit gekommen, um vorwärtszu-gehen.

Da hilft die Politik nach: Die CVP hat diese Woche den Text einer Initiative zur Kostenbremse vorgestellt. Was halten Sie davon?
Die Kostenbremse ist eine wirkungsvolle Massnahme, damit kann man auf die Tarifpartner und Akteure im Gesundheitswesen politisch Druck ausüben. Das ist keine Alibiübung, sondern ein wirksames Mittel, um Reformschwung auszulösen und Massnahmen umzusetzen. Die Versicherten und die Politik haben keine Lust mehr, die Prä­miensteigerungen in Kauf zu nehmen. Die Frage ist ­legitim: Wie ist es möglich, das Gesamtwachstum ­irgendwie zu drosseln?

Sie rufen zu mehr Eigenverantwortung im Gesundheitswesen auf. Richtet sich dieser Appell an alle Akteure?
Ja, an alle! Ohne Eigenverantwortung geht es nicht. Deshalb ist es auch nötig, über den Expertenbericht hinaus nachzudenken. Zum Beispiel über eine ­Erhöhung der Mindestfranchise. Denkt mal darüber nach, was eine Mindestfranchise von 5000 oder 10'000 Franken bringen könnte ...

... Sie denken tatsächlich über eine drastische Erhöhung der Mindestfranchise von heute 300 Franken nach?
Ja,über eine fixe Franchise von 5000 oder 10'000 Franken. Das ist ein völlig anderes Modell! Das CSS-Institut für Gesundheitsökomomie hat eine Analyse gemacht und die Einsparungen aufgrund des aktuellen Modells berechnet. Hohe Wahlfranchisen bringen eine Milliarde Franken Einsparungen pro Jahr! Zusätzlich erhöhte Franchisen führen zu weiteren Einsparungen.

Heisst das konkret, Patienten müssten die ersten 5000 oder 10'000 Franken ihrer Gesundheitskosten pro Jahr selber zahlen?
Grundsätzlich ja, aber Achtung! Das geht nur mit einer finanziellen Abfederung für die sozial Schwächeren, wir wollen ja nicht die Solidarität aushebeln. Wichtig ist: im Krankheitsfall soll niemand aus finanziellen Gründen auf den Arztbesuch ­verzichten müssen. Bis 5000 oder 10000 Franken braucht es die Abfederung. Danach greift die normale Grundversicherung.

Wie wollen Sie diese Abfederung finanzieren?
Das liesse sich aus dem Topf für Prämienverbilligungen finanzieren. Mit der Erhöhung der Mindestfranchise müssen die Prämien sinken. Folglich haben weniger Leute einen Anspruch auf Prämienverbilligung. Durch die Prämieneinsparungen werden Mittel frei. Diese können auf die sozial Schwächeren verteilt werden.

Was hiesse das für die Prämienzahler? Bei so ­einem Modell müssten die Prämien ja stark sinken?
Genau, die Prämien würden massiv günstiger. Das würde eine deutlich spürbare Erleichterung für die Bevölkerung bringen. Erste grobe Schätzungen gehen von rund 170 Franken aus – pro Monat und Person.

Am Rande der Health Insurance Days in Interlaken: Wirtschaftsredaktor Christian Kolbe (rechts) im Gespräch mit CSS-Chefin Colatrella.
Foto: Peter Mosimann

Wie viele Leute können sich überhaupt eine solche Franchise von 5000 oder 10'000 Franken leisten?
Für eine genaue Aussage ist es noch zu früh. Wir sind im Moment dabei, das sorgfältig zu untersuchen.

Weniger hohe Prämien, aber sinken auch die Kosten?
Wir sind davon überzeugt, dass mehr Eigenverantwortung mit einem höheren Kostenbewusstsein einhergeht. Weil die Menschen therapeutische Massnahmen stärker hinterfragen als heute.

Dieses Modell zwingt die Prämienzahler zu mehr Eigenverantwortung. Und was tut die CSS selbst, um Kosten zu senken?
Wir sind sehr haushälterisch mit unseren Betriebskosten und schauen bei jeder Rechnung genau hin: Sind die Leistungen, die wir bezahlen auch wirklich gerechtfertigt? 2017 haben wir so Kosten von über 650 Millionen Franken vermieden. Das wirkt dämpfend auf die Prämien des Folgejahrs.

Persönlich: Philomena Colatrella

Stillstand muss für Philomena Colatrella (49) ein Gräuel sein. Auch beim Termin mit dem Fotografen ist die Unruhe zu spüren. Dabei arbeitet sie seit Jahrzehnten in einer Branche, in der sich in zentralen Fragen nicht viel bewegt: dem Gesundheitswesen. Seit 2016 steht die gebürtige Italienerin an der Spitze der grössten Krankenkasse der Schweiz, der CSS. Mit dem erklärten Ziel: die Branche aufzumischen.

Stillstand muss für Philomena Colatrella (49) ein Gräuel sein. Auch beim Termin mit dem Fotografen ist die Unruhe zu spüren. Dabei arbeitet sie seit Jahrzehnten in einer Branche, in der sich in zentralen Fragen nicht viel bewegt: dem Gesundheitswesen. Seit 2016 steht die gebürtige Italienerin an der Spitze der grössten Krankenkasse der Schweiz, der CSS. Mit dem erklärten Ziel: die Branche aufzumischen.

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