Propheten, die den baldigen Börsencrash voraussagen, gibt es viele. Doch wer in den letzten Jahren auf sie hörte, verlor viel Geld. Bei Burkhard Varnholt (52) besteht dieses Problem nicht. Der Investment-Chef der Credit Suisse Schweiz plädiert seit Jahren für Aktien. Daran hat die Corona-Krise nichts geändert – im Gegenteil.
BLICK: Herr Varnholt, die Realwirtschaft steckt in der grössten Krise seit fast hundert Jahren, in den USA toben Rassenunruhen, gleichzeitig boomt die Börse. Was geht hier vor?
Burkhard Varnholt: Wir sind im Hier und Jetzt und sehen die Krise der Wirtschaft, die Börsen sind schon in der nächsten Geländekammer. Dort sehen sie, dass die Politik so schnell und umfangreich wie in keiner anderen Krise Rettungspakete geschnürt hat. Die Börsen sagen sich: Die Lockdowns gehen vorbei, die Rezession auch, aber der Stimulus bleibt. Die Welt schwimmt im Geld.
Die Wende kam am 23. März. Was ist da genau passiert?
Das war der Zeitpunkt, als die US-Notenbank am Markt der Staats- und Unternehmensanleihen intervenierte. Die Integrität des Finanzsystems war akut gefährdet. Ganze Branchen standen plötzlich still, es zeichnete sich der grösste Kollaps der Arbeitsmärkte seit der Grossen Depression ab. Deshalb griff das Fed ein.
Hohe Stirn, Nadelstreifen, messerscharfe Analysen: Der Ökonom Burkhard Varnholt (52) kennt sich mit Geld und Zahlen ebenso gut aus wie mit Literatur und Kunst. Seit 25 Jahren ist er im Anlagebereich verschiedener Banken tätig, vor gut drei Jahren kehrte er als Investment-Chef Schweiz zur Credit Suisse Schweiz zurück. In seinem zweiten Leben betreibt Varnholt mit seiner Frau Salome Grisard Varnholt das Hilfswerk Kids for Africa in Uganda und das ebenfalls gemeinnützige Kunstzentrum Kindl in Berlin. Statt in der schwarzen Limo kurvt Varnholt mit dem Velo durch Zürich. Auch Joggen gehört zu seinen Leidenschaften.
Hohe Stirn, Nadelstreifen, messerscharfe Analysen: Der Ökonom Burkhard Varnholt (52) kennt sich mit Geld und Zahlen ebenso gut aus wie mit Literatur und Kunst. Seit 25 Jahren ist er im Anlagebereich verschiedener Banken tätig, vor gut drei Jahren kehrte er als Investment-Chef Schweiz zur Credit Suisse Schweiz zurück. In seinem zweiten Leben betreibt Varnholt mit seiner Frau Salome Grisard Varnholt das Hilfswerk Kids for Africa in Uganda und das ebenfalls gemeinnützige Kunstzentrum Kindl in Berlin. Statt in der schwarzen Limo kurvt Varnholt mit dem Velo durch Zürich. Auch Joggen gehört zu seinen Leidenschaften.
Hat das Fed also die Anleger gerettet?
Das Fed ist nicht dazu da, verzweifelte Anleger aus dem Tal der Tränen zu erlösen. Aber wenn das System kollabiert, kann das Fed nicht anders als zu intervenieren. Das ist Teil seines Mandats.
Der Eingriff erfolgte zu einem Zeitpunkt, an dem die Börsenkurse im historischen Vergleich noch immer sehr hoch bewertet waren.
Das gilt nur für die Aktienmärkte. Die Unternehmensanleihen waren im Keller. Das Fed wollte vor allem diese stützen, um eine Konkurswelle zu verhindern. Die Hausse der Aktienmärkte ist nur eine unbeabsichtigte Nebenwirkung davon. Das Fed hat keine einzige Aktie gekauft, nur Bonds.
Innert zwölf Jahren musste die Notenbank zweimal das Finanzsystem retten. Früher liess man Krisen einfach mal laufen und die Anleger die Verluste schlucken.
Notenbanken wurden gegründet, um Kriege zu finanzieren. Auch in der Corona-Krise sagten viele Regierungschefs, man befinde sich im Krieg. Das Fed entschied sich, die globalen Bondmärkte zu befrieden. Das Drehbuch war dasselbe wie nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Notenbank ebenfalls dem Staat unter die Arme griff, um eine Schuldenkrise zu verhindern.
US-Präsident Donald Trump hat in den letzten beiden Jahren das Fed wegen der Zinserhöhungen angegriffen. Hat das Fed nun in vorauseilendem Gehorsam gehandelt?
Notenbankchef Jerome Powell macht auf mich einen sehr reflektierten und selbstbewussten Eindruck. Ich glaube nicht, dass er sich von Trump ins Bockshorn jagen lässt.
Wann geht ihm die Munition aus?
Sie geht aus Prinzip nicht aus. Solange der Staat in der Lage ist, Steuern zu erheben, kann die Geldpolitik ihres Amtes walten. Zudem ist die Bilanz des Fed verglichen mit der Bilanz der SNB noch immer relativ klein.
Die meisten Anleger haben die Aufholjagd verpasst. Wie geht es jetzt weiter?
Die Staaten haben auf die Krise mit dem grössten Stimulus aller Zeiten reagiert, die Summen sind dreimal grösser als 2008. Irgendwann wird das auf die Realwirtschaft durchschlagen. Gleichzeitig warten enorme Mittel darauf, angelegt zu werden. Ich gehe davon aus, dass sie teilweise in Aktien umgeschichtet werden. Es wird immer Rückschläge geben, aber langfristig spricht viel für Aktien.
Sie sind schon lange optimistisch für Aktien. Vor fünf Jahren sagten Sie in einem Interview 20'000 Punkte für den SMI voraus. Die Zahl war zu hoch, die Tendenz aber richtig.
Als Prognose haben Sie mir die Zahl in den Mund gelegt. Ich plädiere für Bescheidenheit vor der Geschichte. Wer hätte Anfang Jahr voraussagen können, was seither passiert ist? Ich sicher nicht. Aber man muss eine Strategie haben. Deshalb sage ich: Auf die nächsten zwei Jahre gesehen spricht viel für eine Aktienmarkt-Rally.
Wann steigen die Zinsen?
Wer auf steigende Zinsen hofft, sollte sich besser ein Theaterticket für «Warten auf Godot» kaufen. Das kostet nur 50 Franken und bereitet mehr Vergnügen. Auf den Finanzmärkten ist es so, dass das, worauf alle hoffen, die geringste Eintretenswahrscheinlichkeit hat. Wer es nicht glaubt, muss nur einen Blick nach Japan werfen.
Wie entwickelt sich die Realwirtschaft?
Sie wird sich erholen, allerdings nicht V-förmig, sondern eher wie ein U. Es gehört zu den Ironien der Krise, dass die Privathaushalte mit mehr Geld herauskommen, als sie hineingegangen sind. Die Erwerbsausfälle wurden durch staatliche Transfers und unfreiwilliges Sparen mehr als aufgewogen. In der Schweiz hat ein Durchschnittshaushalt rund 2000 Franken mehr als zuvor. Früher oder später geben die Menschen das Geld wieder aus. Das ist ein enormer Stimulus für die Wirtschaft.
Wie schätzen Sie das Schweizer Hilfsprogramm für die Firmen ein?
Es hat 10 von 10 Punkten verdient. Der Bundesrat entscheidet, die Abwicklung läuft über die Geschäftsbanken mit Unterstützung der Notenbank. Die ganze Welt schaut neidvoll darauf. Kein anderes Land hat das so effizient hingekriegt. Wenn andere Länder das zuvor gewusst hätten, hätten sie es genauso gemacht. Das höre ich auch von anderen Regierungsvertretern.
Es war ein Absturz, wie ihn die Welt noch selten gesehen hatte: Die globale Ausbreitung des Coronavirus vernichtete in den Tagen und Wochen nach dem 20. Februar 2020 weltweit einen Drittel des Börsenwerts aller Firmen. Doch schon am 23. März endete der freie Fall. Was zunächst wie eine Zwischenerholung aussah, stellte sich als grosse Wende heraus. Auslöser war die US-Notenbank Fed, die mit Billionen die Kredit- und Obligationenmärkte stützte. Davon profitierten auch die Aktienmärkte, die seither um 30 Prozent in die Höhe schossen. Der Schweizer Markt mit den Schwergewichten Roche, Novartis und Nestlé entwickelte sich besonders gut. In den USA setzten die Titel der Techgiganten zu neuen Höhenflügen an, der Nasdaq-Index ist bereits wieder auf Vorkrisenniveau. Nur zögerlich setzt die Erholung in den Schwellenländern ein.
Es war ein Absturz, wie ihn die Welt noch selten gesehen hatte: Die globale Ausbreitung des Coronavirus vernichtete in den Tagen und Wochen nach dem 20. Februar 2020 weltweit einen Drittel des Börsenwerts aller Firmen. Doch schon am 23. März endete der freie Fall. Was zunächst wie eine Zwischenerholung aussah, stellte sich als grosse Wende heraus. Auslöser war die US-Notenbank Fed, die mit Billionen die Kredit- und Obligationenmärkte stützte. Davon profitierten auch die Aktienmärkte, die seither um 30 Prozent in die Höhe schossen. Der Schweizer Markt mit den Schwergewichten Roche, Novartis und Nestlé entwickelte sich besonders gut. In den USA setzten die Titel der Techgiganten zu neuen Höhenflügen an, der Nasdaq-Index ist bereits wieder auf Vorkrisenniveau. Nur zögerlich setzt die Erholung in den Schwellenländern ein.