SonntagsBlick: Herr Sutter, der neue Coop-Grill-Song hat Hit-Potenzial. Können Sie ihn schon mitsingen?
Joos Sutter: Die Melodie schon, beim Text muss ich aber noch üben (lacht). Meine Söhne sind schon weiter.
Roman Camenzind lässt darin die Sau raus. Kleine Kostprobe: «Pack dis Fleisch us, zeig’ was häsch» oder «Leg’ dir mini Wurst zwische dini Pouletbrust». Ist das der neue Coop-Stil?
Man muss das mit Humor nehmen. Beim Thema Grillieren verträgt es schon ein bisschen Spass.
Wie entwickeln sich die Fleischpreise?
Schweinfleisch ist bei uns über 10 Prozent günstiger als letztes Jahr. Auch sonst haben wir eine starke Minusteuerung. Die Händler lancieren viele Rabattaktionen, wir natürlich auch.
Dennoch kaufen viele Schweizer im Ausland ein. Identische Nahrungsmittel sind in Deutschland 30 Prozent billiger, Kosmetika mehr als 40 Prozent. Hand aufs Herz, würden Sie nicht auch am liebsten im Ausland einkaufen?
Nein, ich kaufe in der Schweiz ein. Der Einkauf in der Nähe bringt mir die höchste Lebensqualität und kommt mich unter dem Strich auch am günstigsten. Aber es ist klar: Die überrissenen Preise, welche ausländische Markenartikelhersteller verlangen, stören uns massiv.
Die Lieferanten sagen, der Schweizer Handel sei selber Schuld an den höheren Preisen. Die Margen seien wesentlich höher als in anderen Ländern.
Das ist ein Ablenkungsmanöver. Multis wie Procter & Gamble verrechnen uns Einstandspreise, die teilweise über den Verkaufspreisen im Ausland liegen. Mit Pampers beispielsweise verdienen wir heute unter dem Strich gar nichts mehr. Unsere Margen können nicht das Problem sein.
Wo liegt dann der Grund für die Preisdifferenzen?
Ausländische Konzerne schöpfen die höhere Kaufkraft in der Schweiz mit höheren Preisen ab. Gleichzeitig leisten sie sich in der Schweiz grosse Organisationen. Das geht ins Geld. Die Multis müssen abspecken.
Die Revision des Kartellgesetzes hätte die Möglichkeit gebracht, im Ausland zu ausländischen Preisen einzukaufen. Coop und die IG Detailhandel waren dagegen. Ein Fehler?
Eine neues Gesetz hätte das Problem nicht zum Verschwinden gebracht. Rechtliche Verfahren dauern viel zu lange. Es ist immer besser, direkt zu verhandeln. Wir hatten in den letzten fünf Jahren sinkende Preise im Detailhandel. Das kann kaum eine andere Branche vorweisen.
Sie haben ausländische Zeitschriften aus Protest gegen die Preispolitik der Verlage aus dem Sortiment genommen. Nun konnten wir am Donnerstag bei Coop die Vogue wieder kaufen. Wer hat nachgegeben?
Wir haben eine Lösung mit den Verlagen gefunden. Unser Boykott hat sich gelohnt. Die italienischen Verlage reagierten schnell und senkten die Preise um rund 15 Prozent. Nun haben wir uns auch mit den deutschen Verlagen geeinigt. Deshalb kommen die Zeitschriften nun nach und nach wieder zurück in unser Sortiment.
Sind die Preisreduktionen bei Gala, Spiegel und Co. in gleichem Umfang?
Grosso modo ja. Bei einigen Zeitschriften ist der Preisabschlag höher, bei anderen etwas tiefer.
Gilt die Preisreduktion nur für Coop?
Sie gilt für die ganze Schweiz. Wir spielten Winkelried für die ganze Branche.
Als erstes schauen Sie sich am Morgen den Umsatz-Index vom Vortag an. Wie ist Coop dieses Jahr unterwegs?
2015 ist ein anspruchsvolles Jahr. Wenn wir so viel Umsatz machen wie im Vorjahr, bin ich zufrieden. Derzeit liegen wir noch darunter. Die Preisreduktionen kosten uns 150 Millionen Franken. Hinzu kommt der Einkaufstourismus. Die Leute geben weniger Geld aus pro Einkauf. Auch die Konkurrenz im Inland schläft nicht.
Die Discounter Aldi und Lidl geben sich in der Werbung schweizerischer als schweizerisch. Bekommen Sie das zu spüren?
Die Werbung ist das eine, das Angebot ist das andere. Rund 75 Prozent unserer Lebensmittel stammen aus der Schweiz. Damit können die Discounter nicht mithalten.
Wie gut schützt Sie das Bio-Segment vor dem Preiskampf?
Auch die Discounter verkaufen vereinzelt Bio-Produkte. Entscheidend ist aber die Qualität. Wir setzen konsequent auf die Knospe, selbst bei importierten und verarbeiteten Produkten. Die Bio Suisse Richtlinien gehören weltweit zu den strengsten. So können wir uns trotz Bio-Inflation von der Konkurrenz abheben.
Auch die Produkte von Aldi und Lidl sind nach Knospe-Standards produziert. Warum verhindern Sie, dass die Knospe verwenden dürfen?
Bio Suisse setzt und kontrolliert die Standards, nicht wir. Die Discounter dürfen die Knospe nicht verwenden, weil sie deren Auflagen nicht erfüllen.
Für Bio-Kunden ist der Preis nur sekundär. Setzen Sie deshalb so stark auf Bio?
Nein. Wir sind eine Genossenschaft. Wir schütten keine Dividende aus und müssen keine Aktionäre zufriedenstellen. Natürlich muss auch für uns die Rechnung am Schluss aufgehen. Aber wir können und müssen es uns leisten, Werte zu haben. Dazu gehören Nachhaltigkeit und Vielfalt.
Aber Bio wirft doch vor allem höhere Margen ab.
Übers Ganze gesehen überhaupt nicht. Bio erfordert grosse Investitionen in Forschung, Ausbildung und Kontrolle. Auch die Logistik ist teurer wegen der Warentrennung. Der Markt funktioniert auch bei Bio. Wenn man bei den Margen übersteuert, wird man schnell attackiert.
Gewisse Produkte gibt es bei Coop nur in Bio-Qualität.
Nennen Sie mir ein Beispiel!
Pinienkerne.
Gut, vielleicht findet man zwei, drei Artikel, schliesslich führen wir 2’500 Bio-Produkte. Ich werde aber auch diese Lücke schliessen. Die Wahlfreiheit ist mir extrem wichtig. Wir wollen die Leute sicher nicht zu Bio oder sonst etwas zwingen.
Ihr Hauptkonkurrent Migros setzt auf Billig-Bio aus Deutschland. Ziehen Sie nach?
Nein, Billig-Bio kommt bei uns nicht ins Regal. Wir würden nie unsere Werte verwässern, nur um das Wachstum anzukurbeln. Euro-Bio ist eben nur halbes Bio, dahinter können wir nicht stehen.
Was halten Sie davon, dass das Cassis-de-Dijon-Prinzip für Lebensmittel beerdigt werden soll?
Ich halte das für eine schlechte Idee. Das Cassis-de-Dijon-Prinzip hat zwar nicht viel gebracht, ist vom Grundsatz her aber richtig, da Handelshemmnisse abgebaut werden. Wir sollten die Abschottung nicht noch verstärken.
Der nächste Versuch kommt schon bald: die Ernährungssicherheits-Initiative der Bauern.
Sie geht mir zu weit. Die Schweizer Landwirtschaft braucht einen gewissen Schutz, allein schon aus topographischen Gründen. Das heutige Gesetz reicht aber. Die Bauern müssen sich über die Zeit der ausländischen Konkurrenz stellen.
Befürworten Sie den Agrarfreihandel?
Heute sicher nicht. Solche Forderungen sind völlig unrealistisch, solange keine Begleitmassnahmen definiert sind. Wir brauchen eine starke Landwirtschaft, die sich durch Mehrwert auszeichnet.
Wer kauft bei Ihnen zu Hause ein?
Primär meine Frau. Ich bin weniger für die Grundversorgung zuständig, sondern kaufe eher nach dem Lustprinzip ein.
Was sind Ihre Favoriten?
Am Knochen gereiftes Fleisch zum Beispiel. In der Westschweiz gibt es unheimlich reiche Fischauslagen. Wenn ich dort auf Filialtour bin, bringe ich oft einen exotischen Fisch mit nach Hause und muss dann erst studieren, wie man ihn zubereitet. Auch Pro Montagna und Slow Food liebe ich. Ich mag Lebensmittel, die eine Geschichte haben.
Ein Coop-Chef ist ein bisschen wie ein Bundesrat. Er ist eine öffentliche Figur. Wie gefällt Ihnen Ihre Rolle?
Ihr Vergleich mit einem Bundesrat ist übertrieben, die Rolle als Coop-Chef gefällt mir aber unheimlich gut. Es gibt keine bessere Firma, gerade weil man noch Werte hat, die über das Ökonomische hinausgehen. Zur Lage der Nation äussere ich mich nur, wenn ich etwas zu sagen habe.
Das grosse Thema ist derzeit die Geldpolitik der Nationalbank. Wie stehen Sie dazu?
Alle Nationalbanken der Welt betreiben eine expansive Geldpolitik, nur die Schweiz nicht. Das ist für mich schwer nachvollziehbar. Es ist schlicht nicht möglich, eine Preisveränderung von 15 Prozent mit Effizienzsteigerungen auszugleichen.
Welches Gegenmittel schlagen Sie vor?
Die Nationalbank sollte die Anbindung des Frankens an einen Währungskorb prüfen.
Beruflich fahren Sie einen Audi Kombi, privat eine Moto Guzzi Le Mans 1 Baujahr 1979. Haben Sie eine extravagante Seite?
Sicher, wer hat das nicht. Es gibt wenig Schöneres, als an einem Sonntagmorgen mit meiner alten Moto Guzzi durch den Jura zu fahren, um am Doubs zu fischen.