Andere Manager in seinem Alter feilen an ihrem Golf-Handicap, bei ihm aber geht es erst richtig los: Am 1. September übernimmt der 62-jährige Laurent Freixe das Ruder bei Nestlé, die To-do-List reicht von der Rückgewinnung von Terrains, die unter Vorgänger Mark Schneider an die Konkurrenz verloren gingen, bis zu weichen Faktoren wie Vertrauensbildung gegenüber Investoren und Belegschaft. Schon 2016 gehörte Freixe als mehrfacher Länder- und Zonen-Chef zu den favorisierten internen Papabili für den Chefsessel in der Nestlé-Zentrale, nun beerbt er denjenigen, dem er damals den Vortritt lassen musste.
Der neue Konzernchef gilt als exzellenter Nestlé-Soldat; als hands-on, einer «aus dem Schützengraben», wie Präsident Paul Bulcke das Anforderungsprofil umschrieb; kein intellektueller Überflieger wie Schneider, der sich schon in seiner Dissertation an der Universität St. Gallen Gedanken darüber machte, wie man einen Grosskonzern mit betriebswirtschaftlichen Kennzahlen führt.
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In der Brabeck-Tradition
Vor der Ist-er-ein-Nestlé-Mann-Frage, die Helmut Maucher bei wichtigen Personalien jeweils zu stellen pflegte, braucht er sich anders als sein Vorgänger nicht zu fürchten. Der Franzose steht in der Tradition von Peter Brabeck-Letmathe, der es vom Eisverkäufer in Österreich ins Chefbüro am Genfersee schaffte. 1986 stiess er 24-jährig zur französischen Verkaufseinheit des Kitkat- und Kaffeeproduzenten, 1999 wurde er Chef des Geschäfts mit der Babynahrung von Nestlé France. Es folgten Stationen als Länderchef in Ungarn und auf der iberischen Halbinsel, die Karriere kam in Fahrt.
Ab 2008 qualifiziert er sich als Europachef für höchste Weihen, pusht das Geschäft mitten in der Finanzkrise von 28 auf 32 Milliarden Franken. 20’000 Arbeitsplätze will Nestlé damals in Europa schaffen, der Konzern ist Teil einer grossen Jobinitiative mit anderen globalen Konzernen wie Google. Vor allem die Jugendarbeitslosigkeit beunruhigt ihn, als Franzose kennt er das Problem. In Europa hat damals einer von vier Jugendlichen keinen Job. Inzwischen ist die Initiative Teil der globalen Nestlé-DNA.
Der virtuelle Nestlé-Besuch
Seit 2022 führt er die nun separat von den USA und Kanada geführten lateinamerikanischen Märkte. Unter seiner Ägide ist es möglich geworden, Nestlé-Fabriken virtuell zu besuchen. Das schafft Vertrauen bei den Konsumenten, ein Novum und ein Erfolgsrezept, um Zahlungsbereitschaft auch in schwierigen Zeiten zu erhalten. Freixe hat Nestlé-Schlüsselmärkte wie Brasilien sicher durch stürmisches Wasser mit zweistelligen Inflationsraten und entsprechend dramatischen Kaufkraftverlusten navigiert, nun hat ihn seine Krisenfestigkeit in den Chefsessel katapultiert.
Am Tag nach seiner Ernennung hat der neue Chef auf Linkedin den Ton gesetzt. Back to basics, heisst die Devise. Herausforderungen werde es immer geben, aber «wir haben ikonische Marken und Produkte, eine beispiellose globale Präsenz und führende Fähigkeiten zur Innovation und Exekution», schrieb er. Marken und Märkte, so einfach ist das nun wieder bei Nestlé, der explorative und visionäre Geist der Schneider-Ära ist Geschichte.
Effizienz ist kein Selbstzweck
Aufschlussreich ist ein Linkedin-Beitrag vom März. Ein Zitat von Dickens beweist französische Raffinesse. «Es war die beste aller Zeiten, es war die schlimmste aller Zeiten» ist der berühmte erste Satz aus «A Tale of Two Cities», das Werk beschreibt Paris als Stadt des Umbruchs zur Zeit der Französischen Revolution. Doch dann wird es konkret: «Was, wenn wir ein Modell kreieren können, das so robust ist, dass unser Geschäft auch in den schlimmsten Zeiten gut laufen würde?», fragt er da. Die Antwort liege in Effizienzsteigerungen, nicht nur um die Margen zu befeuern, sondern auch um Werte zu schaffen. Was das für das Margensteigerungsprogramm bedeutet, mit denen Vorgänger Schneider zu Beginn seiner Amtszeit die Investoren begeisterte? Wir werden sehen.
Effizienzsteigerung, Fokussierung auf Investitionen und Wachstum und Marktanteile – darum wird es gehen. Als Blaupause könnte Danone dienen. Der französische Joghurthersteller hat unter Antoine de Saint-Affrique, ehemals Chef des Schweizer B2B-Chocolatiers Barry Callebaut, Kosten rausgenommen und notorische Underperformer im Portfolio aussortiert. Seit Ende letzten Jahres drehen die Volumen wieder ins Positive. Im vierten Quartal stiegen die Verkäufe um 5,1 Prozent auf 6,7 Milliarden Euro; 4,3 Prozentpunkte kamen von Preis-, immerhin 0,8 Prozentpunkte von Volumensteigerungen. Zwei Jahre hatte die französische Konkurrenz mit rückläufigen Verkäufen gekämpft, nun war sie wieder zurück. Und: Die Dividende lag nun wieder auf dem Niveau von vor Pandemie, Krieg und Inflation.
Vorbild Danone
Dabei waren die Bedingungen für Danone ungleich härter als für Nestlé. Während es den Schweizern gelang, das Geschäft in Russland auf ein minimales Angebot unter anderem mit Säuglingsnahrung hinunterzufahren, bekam Danone die ganze Härte von Putins Regime zu spüren. Verhandlungen mit dem russischen Staat über einen Verkauf der dortigen Fabriken – in Paris ging es immerhin um 5 Prozent des Umsatzes – endeten mit der Enteignung und einem Milliardenabschreiber.
Der Erfolg von Danone setzt Nestlé unter Zugzwang, doch dramatisch wie in Paris wird es dabei aller Voraussicht nicht werden. Dass Nestlé publikumswirksam ein milliardenschweres Kostensenkungsprogramm und den Abbau von Tausenden Stellen ankündigt, ist wenig wahrscheinlich. Doch wenn Laurent Freixe von «focus on the core business» spricht, wie er das in den vergangenen Tagen immer wieder getan hat, dann meint er genau das: mehr Effizienz, tiefere Kosten und weniger Produktvariation. Die dreissigste Kitkat-Variation, die nur von wenigen gekauft wird, gibt es dann womöglich nicht mehr. Dafür werden Mittel frei, die anderswo bei der Marke investiert werden können, zum Beispiel im Marketing. Bei den 70’000 bis 100’000 Variationen, in denen die Produkte der 2000 Nestlé-Marken erhältlich sind, lässt sich da einiges machen.
Team und Tempo
Für den neuen Konzernchef ist das alles andere als Neuland. Schon unter Mark Schneider gab es Effizienzsteigerungsprogramme. Hunderte Millionen an Kosten wurden dabei jeweils beseitigt; auch bei der Reduktion des Personalbestands von 320’000 auf 270’000 in den vergangenen Jahren spielten die Effizienzsteigerungen nebst den Portfoliobereinigungen eine Rolle. Laurent Freixe, während Jahrzehnten im operativen Geschäft erprobt, wurde damals von Schneider hinzugezogen. Nun sitzt er selbst am Drücker. Als ehemaliger französischer Handballmeister bei den Junioren weiss er: Team und Tempo müssen stimmen. Wer trödelt, der hat verloren, bevor das Spiel begonnen hat.