Chantal Hebeisen rechnet vor
Wohin verschwindet eigentlich mein Geld?

Alles ist teurer geworden – da bleibt auch mit gutem Lohn oft nicht viel. Schuld sind häufig blinde Flecke. «Beobachter»-Autorin Chantal Hebeisen zeigt ihre Abrechnung.
Publiziert: 28.11.2023 um 18:20 Uhr
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Aktualisiert: 05.01.2024 um 11:29 Uhr
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Chantal Hebeisen hat ein Problem, das viele haben.
Foto: Christian Schnur – Montage: Beobachter
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Chantal Hebeisen
Beobachter

Ich habe ein Problem, das ich mit vielen teile: Das Geld fliesst mir in die Tasche und irgendwo wieder raus – und ich weiss nicht genau, wohin. Die Rechnung ist zwar bisher immer aufgegangen, aber ich komme finanziell nicht vom Fleck. In Monaten, in denen ich keine Auto- und Hausratversicherung zahlen muss, herrscht auf dem Konto Flut – und das Ersparte wird etwas mehr. Doch wenn das Strassenverkehrsamt unerwartet vier neue Pneus verordnet, gehts dem Polster an den Kragen. Und so schaukelt mein Kontostand seit Jahren immer um die gleiche Zahl herum – obwohl ich einen guten Lohn habe.

Die Bekannten und Unbekannten in meinem Budget

Die Einnahmenseite ist schnell erzählt: Lassen Sie uns davon ausgehen, dass ich mit meinem 80-Prozent-Pensum – inklusive 13. Monatslohn – monatlich netto 6000 Franken verdiene. Meinen effektiven Lohn kann ich hier nicht hinschreiben, da wir ihn im Büro nicht offen kommunizieren. Die Zahl ist aber realitätsnah.

Auf der Ausgabenseite gibt es jeden Monat vier bekannte grosse Brocken, die ich aus dem Stegreif benennen kann:

  • Ich überweise für meine Tochter, deren Obhut mein Ex-Partner und ich uns hälftig teilen, monatlich 600 Franken auf ein Konto. Von diesem zahlen wir ihre Krankenkasse, Kleider, Hortbetreuung und Hobbys.
  • Unsere Dreizimmerwohnung kostet 1400 Franken; für Strom, Gas und Wasser sind es zusätzlich 240 Franken.
  • Für meine Krankenkasse gehen 430 Franken weg.
  • 250 Franken fliessen in meine Säule 3a.

Macht zusammen 2920 Franken. Da bleiben also noch mehr als 3000 Franken übrig. Wo dieses Geld abfliesst, verliert sich im Nebel von Annahmen und Vielleichts.

Hilfe beim Erstellen des Budgets

Als diesen Herbst die neuen Krankenkassenprämien kommuniziert wurden, warf meine Stirn mehr Falten, als ihr für 40 Lebensjahre eigentlich zustehen. Ich soll pro Monat 43 Franken mehr zahlen, auch die Preisentwicklung bei den Lebensmittel- und Stromkosten besorgt mich.

Ein Budget muss her! Denn das latente Gefühl, «kein Geld» zu haben, begleitet mich schon zu lange. Ich hole mir Unterstützung bei Christian Mannale. Der Sozialarbeiter der Caritas Thurgau kennt sich aus mit meinem Problem – und auch mit meiner alten Gewohnheit, das Thema Finanzen auf der «Ich sollte mal»-Liste zu parkieren. «Es kann mitunter unangenehm sein, die Einnahmen und Ausgaben schwarz auf weiss abgebildet zu sehen», sagt der 56-Jährige. Oft gelte es als etwas bünzlig und bei einem guten Lohn als überflüssig, über jede noch so kleine Ausgabe Buch zu führen. «Wir sehen in unseren Beratungen aber immer wieder Leute mit gutem Lohn, bei denen die Finanzen aus dem Lot geraten.»

Bei den rund 4000 Budgetberatungen, die in der Schweiz pro Jahr durchgeführt werden, liegt das durchschnittliche Nettoeinkommen bei rund 6500 Franken, zeigen Zahlen des Dachverbands Budgetberatung Schweiz. Also knapp unter dem derzeitigen Medianlohn der Schweiz. Geschäftsführer Philipp Frei stellt fest, dass die Finanzen die Bevölkerung aktuell enorm beschäftigen. «Wir haben mehr Anrufe und mehr Zugriffe auf unserer Website als in anderen Jahren.» Leider müssten viele Ratsuchende sich aber gedulden. «Die meisten Beratungsstellen sind wochen- bis monatelang ausgebucht.»

Entspanntere Ferien dank Haushaltsbudget

Ich habe Glück und gründle schon eine Woche nach dem ersten Anruf gemeinsam mit Christian Mannale in Telefon-, Streaming- und Tierarztrechnungen. Er fragt nach, ob ich monatlich Geld für Ferien und ein neues Auto zur Seite lege – für den Fall, dass mein aktuelles abliege (meine Antwort lautet beide Male Nein). Wir «nuschen» uns durch Kassenzettel von Lebensmittelläden und Tankstellen. Und sortieren so lange, bis ich einen Überblick über meine Lebenshaltungskosten habe. «Es ist wichtig, das Budget auf die persönliche Situation anzupassen und nicht einfach eines anhand von Richtwerten zu erstellen», sagt Mannale. Nur so sei es realitätsnah und bringe etwas.

Ich lerne in der Beratung, dass ein Budget nicht nur mühsame Pflicht ist, sondern auch befreien kann. So erzähle ich Mannale von meinen Schwierigkeiten, Ferien zu planen, weil sie viel kosten. «Es hilft, monatlich einen Betrag zu budgetieren, um nicht bei jeder Ausgabe Gewissensbisse zu haben. Ferien sollen ja ein Genuss sein.» Ein Budget enge also nicht nur ein. «Es ermöglicht auch Freiheiten und die Umsetzung von Wünschen.» Gerade, wenn persönliche Veränderungen anstehen, etwa eine Zweitausbildung, eine vorzeitige Pensionierung oder wenn ein Paar sich trennt, ist das wichtig, um ein schleichendes oder plötzliches Minus bei den Ersparnissen zu vermeiden.

Blinde Flecke auf dem Finanzkompass

Und dann, nach zwei Stunden Zahlen in eine Excel-Tabelle abfüllen, ist klar: Ich bin mir zu wenig bewusst, wie wenig Spielraum ich tatsächlich habe, wenn ich die Vollkostenrechnung mache und auch die monatlichen Rückstellungen für Ferien und Reserven für Unvorhergesehenes einkalkuliere. Übrig bleiben dann nur rund 100 Franken.

Artikel aus dem «Beobachter»

Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.

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Und ich habe auf meinem inneren Finanzkompass zwei blinde Flecke. Erstens gebe ich Freunden gerne kleine Aufmerksamkeiten und bewirte sie – das läppert sich. Und bei Geschenken bin ich selbst bei Bekannten nicht knausrig. In der Beratung hatte ich für diesen Posten 150 Franken pro Monat budgetiert. Ausgegeben habe ich im Oktober 247 Franken. Das sind 64 Prozent mehr, als dafür eigentlich eingeplant sind. Geiz ist in Freundschaften fehl am Platz. Aber macht nicht ein liebevoll arrangierter Wiesenblumenstrauss genauso glücklich wie das hübsche Bouquet aus dem Laden?

Der zweite blinde Fleck ist mein Faible für schönes Wohnen und für Brockis. Denn stehe ich vor einer Trouvaille, sagt meine innere Stimme: «Du kaufst wenig Kleider oder Kosmetika, hast einen guten Lohn – das liegt drin.» Klar, an die Steuern, Versicherungen, das Auto und die Lebensmitteleinkäufe denke ich dann meistens schon. Nicht aber daran, dass ich daneben bereits Geschenke für 120 Franken gekauft habe. Und schon bald hängt das hübsche Aquarell für «nur» 40 Franken in meinem Wohnzimmer. Bei diesem Ausgabeposten sieht die Bilanz noch desaströser aus: Ich hatte nichts budgetiert für «Deko, Ordnungshelfer und Kleinmöbel», aber in einem Monat 406 Franken dafür ausgegeben (siehe Infografik).

Sparen lernen, statt Erspartes anzuzapfen

Fazit meines Selbstversuchs: Es nützt nur bedingt etwas, wenn ich mir überlege, wie ich Geld sparen kann bei der Krankenkasse (Stichwort Krankenkassenwechsel) oder den Stromkosten (nicht unnötig Licht machen und Stromfresser wie Standby-Funktion möglichst ausschalten). Wenn ich langfristig das Gefühl loswerden möchte, dass das Geld einfach reicht, muss ich mir mehr im Klaren darüber sein, was ein Kaufentscheid für meine finanzielle Gesamtsituation genau bedeutet.

Ist es mir das wert, für ein behagliches Wohngefühl mein Erspartes anzuzapfen? Denn nein, Frau Hebeisen, grössere Ausgaben liegen im regulären Monatsbudget nicht einfach so locker nebenbei drin. Und so versuche ich nun, ein paar Monate die hiesigen Brocki-Stuben zu umschiffen, bis ich mir endlich die schönen Leinenvorhänge für 800 Franken kaufen kann.

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