Herr Landolf, im Herbst baute der SmartShuttle – Ihr selbstfahrendes Postauto in Sitten – einen Unfall. Haben Sie seither Albträume?
Daniel Landolf: Zum Glück war es nur eine Bagatelle und niemand kam zu Schaden! Es spazieren uns ja ständig Leute vor den Shuttles durch. Die Schulkinder machen sich einen Spass daraus, den SmartShuttle zum Anhalten zu bringen. Aber nein, ich kann ruhig schlafen.
Wie haben Sie reagiert?
Solche Zwischenfälle sind eine Chance, sich zu verbessern. Diese Erfahrungen bringen uns weiter.
Haben Sie nie daran gedacht, das Projekt zu kippen?
Nein! Uns war immer klar, dass solche Unfälle passieren können. In Sitten fahren wir teilweise durch sehr enge Gassen und Tunnels. Mit ein paar Kratzern haben wir gerechnet.
Der Test in Sitten läuft bis Herbst. Was kommt danach?
Dann wollen wir unsere Erfahrung auch anwenden können. Zum Beispiel auf weiträumig geschlossenen Firmengeländen. Wir hatten mehrere Dutzend Anfragen in den letzten Monaten. Hauptsächlich von Unternehmen. Wir führen auch schon konkrete Gespräche.
Mit wem?
Das darf ich nicht sagen. Aber es ist ein grosses Schweizer Unternehmen.
Der Novartis Campus in Basel wäre ideal.
Das stimmt. Aber eben, ich darf keine Namen nennen. Das haben wir so abgemacht.
Und wann fahren Ihre SmartShuttles in den Städten?
Das wird noch eine Weile dauern. Die Städte sind die grösste Herausforderung, was Bewilligungen und auch die Sicherheit betrifft. Vorher kommt der Überlandbereich. Etwa in Regionen, wo es heute noch kein ÖV-Angebot gibt. Oder wo abends ab acht kein Postauto mehr fährt. Da gibt es schöne Szenarien: Sie sind in einem Restaurant und müssen nachts um drei noch nach Hause. Dann können Sie auf den Knopf drücken und der SmartShuttle fährt vor.
Kopieren Sie den Taxidienst Uber?
Das auch wieder nicht. Ich sehe es als zusätzliches Angebot.
So brauchen Sie aber keine Postautochauffeure mehr!
Doch. Es wird sie sicher noch mehrere Jahrzehnte lang brauchen. Auf der Schiene werden die Fahrer wohl viel eher ersetzt als in unseren Postautos. Deshalb betonen wir immer: Unser SmartShuttle ist ein Zusatzangebot, kein Ersatz.
Wie viele Leute hat der SmartShuttle schon transportiert.
In Sitten 14'000. Wir waren damit auch an der Gotthard-Eröffnung und anderen Events. Insgesamt haben wir bereits 25'000 seit Testbeginn im Frühling 2016 befördert.
Im März lassen Sie Ihr Shuttle an der Digitalmesse Cebit in Hannover kurven. Wozu?
Wir wollen uns präsentieren! Wir haben viel in dieses Projekt investiert und wollen das auch in die Welt hinaustragen. Schliesslich gehören wir weltweit zu den Ersten, die autonome Busse für den Personentransport im öffentlichen Raum betreiben.
Wie viele dieser Gefährte wird die Postauto AG einmal betreiben?
Im Moment besitzen wir vier. Wie viele es in Zukunft sein werden, kann ich zu wenig abschätzen.
Sie haben ja auch andere digitale Projekte …
… genau. Wir wollen Mobilität voranbringen und zusammenwachsen lassen. Deshalb bewerben wir uns in Bern, Zürich, Genf, Nyon und Lugano darum, einen Veloverleihdienst anbieten zu dürfen. In Zürich und Bern bekamen wir ja den Zuschlag, aber die Konkurrenz hat rekurriert. Immerhin in Bern dürfen wir ihn jetzt umsetzen.
Sie wollen die sogenannte letzte Meile anbieten. Also die Leute bis vor die Haustür bringen.
Wir testen auch punktuell Mitfahrdienste, etwa in Baden oder beim Kantonsspital Luzern. Und dann gibt es natürlich unsere Mobilitätsplattform. Das ist wie ein Reiseplaner, bei dem man alles von A bis Z buchen kann. Das testen wir in der Region Basel, da arbeiten wir auch mit Taxis und Uber sowie den Basler Verkehrsbetrieben zusammen. Die App heisst NordwestMobil. Wir wollen sie weiterentwickeln und im Herbst schweizweit lancieren.
Da haben Sie aber Konkurrenz von den SBB. Die entwickeln ein ähnliches Projekt.
Das stimmt. Die Konkurrenz unter den Transportunternehmen in diesem neuen Bereich finde ich wichtig. Wir wissen ja heute noch nicht, wie sich die Bedürfnisse entwickeln. Es gibt weitere Firmen mit interessanten Ideen. Am Ende entscheidet der Kunde, was praktikabel ist. Idealerweise gibt es in ein paar Jahren eine einzige Schweizer Mobilitätsplattform.
Warum testen Sie Pollensensoren an Ihren Postautos?
Da gibt es ganz interessante Projekte. Wir testen im Wallis zum Beispiel Sensoren, die auf den Postautos angebracht sind. Die messen dann in Echtzeit Luftqualität oder Strassenzustände – etwa ob es eisig oder verschneit ist. Diese Informationen könnten wir in Zukunft theoretisch mit allen Strassenteilnehmern teilen. Zum Beispiel auf unserer Mobilitätsplattform.
Benutzen Sie selbst das Gratis-Wi-Fi in den Postautos?
Klar! Ich habe auch schon ein Hörbuch im Postauto heruntergeladen. Das funktionierte tipptopp. Wir haben pro Tag 45'000 Aufrufe eines Gratis-Wi-Fi in unseren Bussen. In 70 Prozent unserer Postautos bieten wir das an. 2015 waren das 221 Terabyte Datenvolumen! Auch letztes Jahr stieg das Volumen an.
Das widerspricht der Argumentation der SBB. Diese installieren kein Gratis-Wi-Fi in den Zügen, weil sie sagen, die Leute hätten sowieso alle ein Flatrate-Abo. Es brauche das gar nicht.
Wi-Fi ist ein Bedürfnis. Aber wir sind natürlich nicht zu vergleichen mit der Eisenbahn, wo Businesskunden für ihre Laptops grosse Volumen brauchen. Bei uns geht man eher kurz ins Netz. Wir haben auch viele jugendliche Kunden, die vielleicht keine Flatrate haben.
Wie läuft Ihre Kooperation mit dem deutschen Fernbusunternehmen Flixbus?
Bis jetzt ist es nur eine kleine Zusammenarbeit: Wir stellen Flixbus in Chur gegen Rechnung einen Platz zur Verfügung und haben auch schon Tickets für den Fernbus verkauft. Sollte ein Flixbus ausfallen, springen wir ein. Der Fernbusmarkt in der Schweiz ist aber weniger lukrativ als in Deutschland.
Das liegt am Monopol der SBB. Braucht es das noch?
Ich bin dagegen, dass man subventionierte Linien konkurrenziert. Aber man sollte nicht alles Neue einfach verhindern. Man sollte es zumindest anschauen. Deshalb könnte ich mir durchaus vorstellen, dass das Bundesamt für Verkehr mal eine Konzession für eine Fernbusstrecke innerhalb der Schweiz erteilt. Etwa, um die Achse Genf–Romanshorn TG zu bestimmten Zeiten zu entlasten. Ob es sich rechnet, ist eine andere Frage.
Wie meinen Sie das?
Der Anbieter müsste sich an die Bedingungen halten: Behindertengleichstellungsgesetz, Arbeitsgesetze, auch Halbtax und GA müssten akzeptiert sein. Diese Hürden sind zu meistern. Aber viel Geld verdient man dann nicht mehr.
Das Schweizer Busunternehmen Domo Reisen hat drei Gesuche für inländische Fernbus-Routen eingereicht. Wollen Sie nicht auch eines stellen?
Wir haben das vor einem Jahr geprüft – allerdings nicht auf den Hauptverkehrsachsen und ins Ausland. Es war ein toller Vorschlag von Postauto-Chauffeuren: Kunden von der Ostschweiz nach Innsbruck oder München zu transportieren, von wo man günstig in die Ferien fliegen kann. Doch wir haben festgestellt: Um das rentabel zu betreiben, müssten wir die Personalkosten halbieren. Wir sind kein Billiganbieter, wir zahlen Schweizer Löhne. Deshalb engagieren wir uns nicht auf Fernstrecken.
Apropos Arbeitsbedingungen: Ihr Mutterhaus Post hat sich ein Sparprogramm auferlegt. Inwieweit sind Sie davon betroffen?
Das Sparprogramm zielt auf die Administration. Unsere Finanzen und der Personaldienst werden beispielsweise mit jenen der Post zusammengelegt. Mein Personalchef wird also nicht mehr mir unterstellt sein. Aber wenn die Kosten sinken, steigt unsere Wettbewerbsfähigkeit.
Im Jahr 2015 hat Postauto in der Schweiz 145 Millionen Passagiere transportiert und 743 Millionen Franken Umsatz erzielt. Wie lief das Geschäft 2016?
Es ist gut möglich, dass wir die 150-Millionen-Grenze bei den Passagieren knacken. Die Zahlen für 2016 werden im März fertig ausgewertet sein. Aber wir sind in allen Geschäftsfeldern stetig gewachsen.
Unter Chauffeuren rumort es. Inwiefern spüren Sie das?
Die Arbeitszufriedenheit ist hoch. 2016 war sie bei 75 Punkten, im Vorjahr waren es 76. Aber klar, unsere Fahrer sind teilweise im Stress. Angenommen, der Chauffeur muss einen Zug abwarten, der verspätet ist. Er weiss: In 15 Minuten muss ich am anderen Bahnhof sein, weil sonst meine Fahrgäste den Zug verpassen. Dazwischen ist noch Stau. Das ist nicht lustig! Deshalb haben wir zunehmend eine Politik der Entschleunigung. Wir wollen nicht mehr überall die letzte Minute herausholen. Zuletzt ist uns das in Zürich gelungen. Fahrer und Kunden sind zufriedener so.
Bei Ihnen fahren eher ältere Chauffeure. Haben Sie ein Nachwuchsproblem?
Teilweise. Das Durchschnittsalter liegt bei 49 Jahren. Vor zwei Jahren war die Personalknappheit aber schlimmer. Wir konnten sie teilweise entschärfen, indem wir Fahrer aus dem Ausland holten und eigene ausbilden.
Apropos Ausland: Wie geht es eigentlich Ihrer Frankreich-Tochter?
Sehr gut! Wir fokussieren uns auf Städte zwischen 30'000 und 200'000 Einwohner, haben ein langfristiges Wachstum von zehn bis 15 Prozent im Visier und sind rentabel.