Die Chefs, oft Schweizer, sitzen in Brüttisellen ZH, Langenthal BE, St. Gallen oder Zürich. Ihre Callcenter haben sie ausgelagert: vorzugsweise nach Pristina, Hauptstadt der Republik Kosovo. Die Angestellten dort sprechen Hochdeutsch, oft auch Mundart.
Vom Kosovo aus rufen sie täglich Tausende Schweizerinnen und Schweizer an. Und versuchen, diese zu überreden, sich von einem Krankenkassenberater besuchen zu lassen. Gelingt es ihnen, am Telefon Termine zu vereinbaren, verkaufen die Callcenter-Chefs diese an Vermittler in der Schweiz. 70 bis 150 Franken ist so ein Termin wert, wie SonntagsBlick-Recherchen zeigen.
Der Vermittler besucht anschliessend den potenziellen Kunden und setzt alles daran, diesem eine billigere Krankenkassenlösung unterzujubeln. Wechselt der Kunde den Versicherer, kassiert der Berater eine Provision – mehrere Hundert Franken ist den Krankenversicherern so ein Übertritt wert.
Das Business boomt: Allein in Pristina sind es nach Schätzungen von Branchenexperten gegen 100 Callcenter, die sich täglich auf die Jagd nach potenziellen Kassenwechslern in der Schweiz machen. Ein zweiter Hotspot mit rund 40 Betrieben befand sich bis zur Revolution in Tunesien. Einige sind bereits wieder aktiv. Sie bearbeiten die Romandie. Auch in Deutschland, Osteuropa und Marokko sind Callcenter aktiv.
Nicht alle verkaufen ihre Termine weiter. Es gibt auch Betreiber, die in der Schweiz über ihre eigenen Maklernetze verfügen. Ihre Methoden sind teilweise mehr als fragwürdig. SonntagsBlick stiess in einem Fall auf Zitate von Krankenkassenvertretern, die der Callcenter-Betreiber frei erfunden und auf seiner Website platziert hatte. Eine Aussage stammt angeblich von einem Helsana-Mitarbeiter. Sprecherin Claudia Wyss dazu: «Wir werden veranlassen, dass sie umgehend entfernt wird.»
Auch die Stiftung für Konsumentenschutz (SKS) hat die umtriebigen Callcenter auf dem Radar. Geschäftsleiterin Sara Stalder berichtet von Schweizern, die sich belästigt fühlten, weil sie Anrufe aus dem Ausland erhalten: «Oft sprechen die Anrufenden kaum richtig Deutsch.»
Zudem häufen sich bei der SKS Beschwerden von Leuten, «die sich aufs Kreuz gelegt fühlen», wie Sara Stalder bestätigt. «Entweder weil man auf den Berater wartet, der nicht zum vereinbarten Termin erscheint. Oder weil jemand anderes kommt. Oder weil Termine immer wieder verschoben werden.»
Dass der Spuk aufhört, ist nicht anzunehmen. Erstens ist es viel billiger, Callcenter im Ausland zu betreiben. Zweitens müssen deren Hintermänner keine Rücksicht auf die Branchenvereinbarung nehmen, welche ab Juni Telefonwerbung für die Grundversicherung unterbinden soll. Diese Vereinbarung haben alle Mitglieder des Kassenverbandes Santésuisse unterzeichnet.
Gewisse Callcenter-Betreiber gehen auch deshalb vorsorglich in Deckung und operieren verdeckt, indem sie gefälschte Nummern auf den Displays der Telefonapparate ihrer Schweizer Opfer erscheinen lassen.
SonntagsBlick rät: Hängen Sie sofort auf, wenn Sie jemand am Telefon zu einem Kassenwechsel überreden will!