Cabin-Crew-Chef der Swiss im Interview
«Man sagte mir, ich sei zu kreativ fürs Cockpit»

Reto Schmid (50) ist seit Juli Chef aller Flight Attendants bei der Swiss. Im Interview spricht er über das Aviatik-Mysterium Tomatensaft, Rabbiner-Besuche bei der Swiss und darüber, was man mit schwierigen Fluggästen macht.
Publiziert: 10.09.2016 um 22:46 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 17:43 Uhr
Swiss-Kabinen-Chef im Interview
1:52
«Mit Flugangst ist das sowieso nichts für Sie»:Swiss-Kabinen-Chef im Interview
Vinzenz Greiner

Herr Schmid, Sie sind seit Juli Chef von über 4000 Flight Attendants bei Swiss. Wie hält man dieses Heer zusammen, das sich auf der ganzen Welt tummelt?
Reto Schmid: Das ist eine der grossen Herausforderungen meines Jobs. Mein Ansatz: Wenn die Mitarbeiter nicht da sind, kommt der Chef zu ihnen. Ich bin im Operation Center am Flughafen viel im Erdgeschoss anzutreffen, wo unsere Flight Attendants vor den Flügen gebrieft werden und sich zwischendurch erholen. Ausserdem absolviere ich die gesamte Grundausbildung zum Flight Attendant samt Flugeinsätzen. Bald steht wieder ein Flug mit mir als Mitglied der Kabinenbesatzung an.

Der Chef schenkt also Tomatensaft aus?
Ja, und das ist gar nicht einfach. Hier muss man Kollateralschäden vermeiden (lacht). Der Tomatensaft ist übrigens wirklich ein Mysterium der Airline-Industrie. Aber bei diesem Job steckt viel mehr dahinter. Es ist beeindruckend, was meine Crews alles können und wie viele Vorschriften sie einhalten müssen. Und dabei stehen sie immer im Rampenlicht: Ständig sind hunderte Augenpaare auf einen gerichtet. Auch bei Stress immer freundlich zu bleiben, ist eine grosse Leistung.

Wie reagieren die Flight Attendants, wenn der Chef das Wägelchen mit schiebt?
Ich freue mich natürlich, wenn sie dann einen besonders guten Job machen wollen. Aber Strammstehen, wenn der Chef kommt? Das mag ich nicht. Ich stehe nicht auf Hierarchien.

Haben Sie in der Ausbildung etwas für Ihren Alltag gelernt?
Beim Service nicht, da ich mir mein Jus-Studium als Kellner in einem gehobenen Zürcher Restaurant finanziert habe. Aber man lernt, wie man mit Menschen und schwierigen Situationen umgeht. Gerade kürzlich konnten zwei Teilnehmer meiner Klasse ihre Erste-Hilfe-Schulung an der Street Parade anwenden, indem sie einen kollabierten Pizza-Verkäufer wiederbelebten.

Sie leiteten die Rechtsabteilung der Swiss, waren Chef-Lobbyist und Generalsekretär, zuletzt Personal-Chef und jetzt Head of Cabin Crew. Ist das ein Ritterschlag oder eine Herabstufung?
Weder noch. Die Jobs bei Swiss wurden mir bisher immer angeboten. Diesmal habe ich mich bewusst nach sechs Jahren an der Spitze der Personalabteilung auf einen Job beworben. Meine Funktion als Head of Cabin Crew verbindet das, was ich gern und hoffentlich gut mache: Ich habe eine Passion für Menschen und für Dienstleistungen. Ich kann hier gestalten und ich arbeite gerne mit der Crew in der Kabine zusammen. Letztendlich sind es sie, die mit ihrer Gastfreundschaft den matchentscheidenden Unterschied bei den Fluggästen machen.

Dachten Sie sich als Jus-Student, dass Sie mal ein Wägelchen durch eine Kabine schieben würden?
Nein. Ich wollte Anwalt werden. Als ich in einer Wirtschaftskanzlei arbeitete, dachte ich: hier werde ich pensioniert. Dann kam Swiss und fragte, ob ich nicht einmal etwas Anderes machen wolle. Ich erwartete, dass ich dort in der Rechtsabteilung bleiben würde. Dem war aber nicht so. Das verstehe ich unter einer guten Karriere: nicht geradlinig, sondern auch mit Turbulenzen, Veränderungen und dem einen oder andern Misserfolg.

Was war Ihr erster grosser Misserfolg?
Mein gescheiterter Versuch Pilot zu werden – ein Bubentraum. Ich hatte die fliegerische Vorschulung hinter mir, die in Richtung Militärpilot ging. Nach zwei Wochen im Cockpit sagte man mir, ich sei für das Cockpit leider nicht geeignet. Ich sei zu kreativ. Heute verstehe ich, dass ich hier besser aufgehoben bin als im Cockpit.

Wie kam es zum Bubentraum?
Mein Onkel war sein ganzes Leben bei Swissair und passionierter Segelflieger. Als er mich das erste Mal mit in die Luft nahm, war das ein wundervolles Erlebnis. Auch mein erster Flug in einem Passagierflugzeug – von Zürich nach Genf, den Alpen entlang – hat sich mir eingeprägt.

Reto Schmid im Gespräch:«Wir müssen das Gute noch besser, das sehr Gute hervorragend machen.»
Foto: Daniel Kellenberger

Was sind die grossen Herausforderungen in der Kabine?
Der Platz ist auf dem Flieger das wertvollste Gut – und das muss auf den Quadratzentimeter optimiert werden. Sowohl in der Luft als auch am Boden müssen alle Rädchen ineinandergreifen, damit ein optimaler Service gelingt. Die Balance zwischen Service und Sicherheit ist auch nicht einfach zu halten. Aber es gilt immer: Safety first. Bei der Sicherheit machen wir keine Kompromisse. Das ist auch ein wesentlicher Teil der Aus- und Weiterbildung für die Crew.

Heisst das, als Flight Attendant lernt man Nahkampftechniken und wie man schwierige Passagiere in eine Zwangsjacke steckt?
Nein, Zwangsjacken haben wir keine an Bord. Zur Sicherheit gehört zum Beispiel, dass unsere Flight Attendants lernen, wie sie brennende Batterien löschen oder ein Flugzeug vor dem Abflug richtig nach Gegenständen durchsuchen, die dort nichts verloren haben. Wir haben aber Kabelbinder zum Fesseln an Bord. Im Kurs durften meine Mitarbeiter diese an mir ausprobieren. Ich habe immer noch blaue Flecken (lacht).

Wann kommen die zum Einsatz?
Kaum. In ganz seltenen Fällen, wenn zum Beispiel Passagiere unter Drogen- oder Alkoholeinfluss zu einem Sicherheitsrisiko werden. Aber zuallererst versuchen wir aus einem schwierigen Passagier einen zufriedenen machen. Sollte dies nicht gelingen, versucht der geschulte Maître de Cabine zu deeskalieren. Nur wenn dies auch nicht erfolgreich ist, werden harte Massnahmen getroffen.

Gibt es denn besonders «schwierige» Strecken?
Nein. Aber klar ist: Nachtflüge sind immer etwas einfacher für die Crew. Dann schlafen die meisten Passagiere. Tagsüber sind die Gäste wach, haben verschiedene Bedürfnisse, es ist lauter. Aber es kommt auf den Menschen an: Jeder hat mal einen schlechten Tag – Gäste und Flight Attendants. Das hat auch etwas mit Arbeitsbelastung zu tun. Dass ein Crew-Mitglied nach drei Rotationen beim vierten Flug mal müde sein kann, ist einfach menschlich.

Die Arbeitszeiten sind tatsächlich nicht grade toll fürs Privatleben.
Klar ist: Der ständige Ortswechsel ist nicht für jeden geeignet. Privatleben und Beruf unter einen Hut zu bringen, ist nicht einfach: Man ist ständig auf Achse und der Beruf ist anstrengender geworden im Vergleich zu früher. Aber wir bieten unseren Flight Attendants viele Möglichkeiten. Zum Beispiel haben wir zahlreiche Teilzeitmodelle. Unter anderem sogenannte Blockmodelle, bei welchen man nur in ausgewählten Monaten Einsätze fliegt. Manche arbeiten nur zehn Prozent, manche fliegen nur über die Spitzenzeiten, das heisst Neujahr und im Sommer. Das ist auch für jemanden mit Kindern sehr attraktiv. Es gibt in Kloten eine von Swiss und ihren Sozialpartnern unterstützte Kinderkrippe, die auf die Bedürfnisse des fliegenden Personals ausgerichtet ist. Beispielsweise hat sie schon ab frühmorgens geöffnet und man kann sie flexibel nutzen – auch mal zwei Stunden länger, wenn der Flug Verspätung hat. Manche Flight Attendants machen zwei bis drei Jahre Pause und stocken ihr Arbeitspensum danach wieder auf.

Was muss ein Flight Attendant heute können, was er oder sie vor zehn Jahren noch nicht können musste?
Die Basis-Anforderungen sind gleich geblieben. Es geht um gepflegte Gastfreundschaft, möglichst perfekten Service und um Flugsicherheit. Aber auch die Digitalisierung hält Einzug an Bord. Unsere Maîtres de Cabine arbeiten mit einem Tablet, dem sogenannten FlyPad. Dort sind alle Informationen zur Planung und Flug-Durchführung hinterlegt und alle Reglemente abrufbar. Wir denken darüber nach, zukünftig alle Flight Attendants mit Tablets auszustatten.

Bringt neue Technik auch ein Plus für die Fluggäste?
Ja. Mit Internet an Bord sind die Fluggäste auch in der Luft online. Daher sind interaktive Apps denkbar, mit denen man etwa schnell und unkompliziert im Duty-Free-Shop einkaufen kann. Bald könnte es auch möglich sein, direkt während des Fluges bei Bedarf Kunden umzubuchen.

Swiss-Kabinen-Chef im Interview
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«Mit Flugangst ist das sowieso nichts für Sie»:Swiss-Kabinen-Chef im Interview

 

Gibt es dann auch bald Service-Roboter an Bord?
Ich glaube an die Zukunft der Robotik – aber nicht an Bord. Das ist ein Plus: Der Beruf des Flight Attendants hat Perspektive im Gegensatz zu vielen anderen Berufen. Er wird weder durch Maschinen ersetzt noch anderweitig ausgelagert werden.

Aber die Einstiegslöhne sind niedrig. Drastisch formuliert: Wer will heute noch als schlecht bezahlte «Saftschubse» arbeiten? Die Zeiten sind vorbei, als Stewardessen um ihres prestigeträchtigen Jobs angehimmelt wurden.
Diesen Begriff höre ich gar nicht gern, er wird dem Job nicht gerecht. Bewerbungen als Cabin Crew Member haben wir immer noch mehr, als wir einstellen können. Es gab eine Baisse bei Bewerbungen, als es nach dem Grounding der Swissair nicht klar war, wie es weitergehen würde. Heute haben wir 4.000 bis 5.000 Bewerbungen pro Jahr, auch weil wir ein cooler Arbeitgeber sind. Der Beruf ist immer noch faszinierend. Man kommt viel herum, lernt andere Kulturen kennen und arbeitet immer wieder mit einem neuen Team zusammen. Ausserdem ist der Team-Spirit einzigartig.

Auch wegen der Hotel-Partys in New York und Dubai?
Das ist ein Mythos. Heute sind unsere Flight Attendants meist eine, in Ausnahmefällen zwei oder drei Nächte an einer Destination. Da bleibt keine Zeit für rauschende Partys, zudem haben wir  strenge Vorschriften: Wer fliegt, muss fit sein und nüchtern. Der letzte Schluck Alkohol darf höchstens acht Stunden vor Abflug getrunken werden. Für einen schönen Abend im Ausland zusammen mit der Crew reicht es aber allemal. Das soll so sein, weil es den Beruf ja auch attraktiv macht, heute in Zürich und morgen in New York oder Barcelona zu sein.

Wer bewirbt sich denn um den Job als Flight Attendant?
Die Mehrheit sind Schul- oder Lehrabgänger ab 18 Jahren. Es gibt aber auch einige über 30 Jahren, die nach einem Büro-Job etwas Anderes machen wollen. Einige machen den Job auch als Lebensberuf. Das Pensionsalter liegt bei 58, mit Option zur Weiterbeschäftigung bis 62 Jahren. Drei Viertel sind Frauen, ein Viertel Männer.

Die ganze Zeit denselben Job?
Nein. Wir haben gute Karriereperspektiven. Man kann First Class Flight Attendant werden, was eine ganz andere Hausnummer ist. Ausserdem kann man entweder in eine Führungsposition gehen – etwa Maître de Cabine werden –, oder in der Zentrale im Büro arbeiten und beispielsweise das Training für neue Flight Attendants mitgestalten oder bewerten, ob sich Produkte – seien es neue Gläser oder Menüs – für die Kabine eignen.

Stichwort Essen: Ein Inder, der ein vegetarisches Jain-Menü bestellt hatte, bekam ein normales mit Fleisch. Worst Case für Sie!
Ja. Wo Menschen arbeiten, kann es eider hin und wieder solche Fehler geben. In diesem Fall wurde dem Gast irrtümlich das reguläre Essen serviert, anstelle seines Spezialmenus. Wir haben übrigens fast 20 Spezialmenus im Angebot von, koscher und halal, über vegan, glutenfrei bis zu salzeduzierten Gerichten.

Findet sich religiöse und kulturelle Vielfalt nur auf den Tellern?
Nein, wir schulen auch gezielt das Verständnis unserer Leute für andere Religionen und Kulturen. Vor zwei Wochen war ein Rabbiner in unserem Basiskurs. Er erklärte uns anderthalb Stunden lang, was die konkreten Bedürfnisse jüdischer Gäste sind und was «koscher» eigentlich bedeutet. Ausserdem haben wir bei Flügen von und nach Japan, China, Thailand und Indien immer zwei bis vier Crew-Mitglieder, die aus dem jeweiligen Land stammen – also Kultur, Sprache und Religionen kennen.

Grundsätzlich haben Sie viele internationale Flight Attendants. Wie viel Schweiz steckt eigentlich in den Kabinencrews der Swiss?
Wo Swiss draufsteht, soll zu einem prominenten Teil auch Schweiz drin sein. Da gehört das «Grüezi» beim Einstieg dazu oder auch, dass zwei Drittel unserer Cabin Crew Schweizer sind. Aber wir definieren die Swissness nicht nur über das Schwiizerdütsch. Uns geht es um gepflegte Schweizer Gastfreundschaft – das hat etwas mit Qualität, Präzision, Herzlichkeit und mit dem Blick für Details zu tun, die den Unterschied ausmachen. Auch ein Ausländer kann diese Schweizer Gastfreundschaft erlernen und leben.

Sie sprechen vom Blick fürs Detail. Gibt es auch den Blick zur Konkurrenz? Schauen Sie sich bei den Kataris und Singapore Airlines um?
Klar fliegt man hin und wieder mit der Konkurrenz und schaut, wie die das machen. Wir von der Swiss haben den Vorteil, auch innerhalb der Lufthansa-Gruppe lernen zu können. Aber klar ist: Gutes Essen: Das kann jeder. Eine schöne Kabine: ist nichts Besonderes. Das i-Tüpfelchen sind die Mitarbeitenden auf dem Flieger – die sind nicht kopierbar. Und da sind wir Spitze.

Wo und wie kann Swiss, die laut einem aktuellen Ranking die beste europäische Airline ist, noch besser werden?
Wir müssen das Gute noch besser, das sehr Gute hervorragend machen. Immer wichtiger wird, noch mehr auf individuelle Kundenwünsche einzugehen – vor allem im Premium-Bereich. Deshalb fragen wir stets bei unseren Gästen nach, was wir noch besser machen können. Im Service wollen wir zudem von den Besten lernen. Derzeit führen wir Gespräche mit der Hotelfachschule Lausanne für eine Zusammenarbeit bei der Ausbildung für unsere Flight Attendants.

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