Das Phänomen Temporärarbeit hat in der Schweiz «beunruhigende» Ausmasse angenommen. Das meldet am Montag der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB). Das erstaunt. Denn seit 1. Januar 2012 ist ein Gesamtarbeitsvertrag mit dem Arbeitgeberverband der Personalverleiher (Swissstaffing) in Kraft. Er enthält Mindestlohnbestimmungen, eine bessere soziale Absicherung und Weiterbildungsmassnahmen.
Trotz diesen Verbesserungen bei der Lohngarantie und Co. – und obwohl das Gros der Leiharbeiter eigentlich eine Festanstellung sucht – hat sich die Temporärarbeit weiterverbreitet, wie es beim SGB heisst.
«Ein historischer Höchststand»
Die wichtigste Zahl aus der Studie: Seit Mitte der 1990er Jahre hat sich der Anteil der Temporärarbeit in der Schweiz um mehr als verfünffacht. Letztes Jahr betrug dieser 2,6 Prozent am gesamten Arbeitsvolumen. «Ein historischer Höchststand.»
Laut den Verantwortlichen sind Temporäre gegenüber Festangestellten nach wie vor deutlich benachteiligt. Die Rede ist von deutlichen Lohnnachteilen, höheren Unfallrisiken und eingeschränkten beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten.
BLICK berichtet immer wieder auch über temporär angestellte Arbeiter. Zuletzt über Gianni Chiellini, der fast 20 Jahre lang temporär für die SBB geputzt hatte. Und jetzt dank BLICK einen festen Job bei der Bahn erhält.
«Ein falsches Wort und du bist weg»
Für die Gewerkschaften ist die Entwicklung «besorgniserregend». Unia-Präsidentin Vania Alleva: «Temporärarbeit ist für die allermeisten Betroffenen bestenfalls eine Übergangs-, meistens aber eine Notlösung. Denn Temporärarbeit ist eine prekäre Arbeitsform.»
Laut Alleva sitzen die temporär Angestellten «quasi auf dem Schleudersitz». Die Kündigungsfristen seien mit 2 bis 7 Tagen äusserst kurz. Alleva: «Eine blosse Schwankung beim Auftragseingang, ein kleiner Konzentrationsfehler oder ein falsches Wort – schon bist du weg.»
SGB-Präsident Pierre-Yves Maillard fordert eine «Eindämmung» der Leiharbeit. «Ob Migrantentinnen, Uber-Taxifahrer oder Temporärangestellte: alle Arbeitnehmenden müssen die gleichen sozialen Rechte gewährt werden und sie müssen für die gleiche Arbeit am gleichen Ort den gleichen Lohn erhalten», sagt Maillard vor Medien.
Wenn es nach dem SGB geht, dann muss der Bund dafür in die Bresche steigen. Zusammen mit den Kantonen soll er etwa Obergrenzen für den Temporäranteil im Beschaffungswesen festlegen. Und die Bewilligungen für Temporärbüros systematisch überprüfen.
Temporärfirmen entgegenen
Der Verband der Temporär-Jobunternehmen, Swissstaffing, will nichts wissen von einer Beschränkung oder gar Verbot von Temporärarbeit. Dadurch würde denjengen der Zugang zum Arbeitsmarkt verwehrt, die bereits benachteiligt seien – Arbeitssuchende, die eine Festanstellung wollten, teilte der Verband mit.
Temporärarbeit sei ein wichtiger Weg in eine Festanstellung. Im letzten Jahr hätten rund 240'000 Arbeitslose dank Temporärarbeit zurück auf den Arbeitsmarkt gefunden und jeder zweite Temporäre auf Feststellensuche sei innerhalb von 24 Monaten fündig geworden, heisst es weiter.
Flexibles Arbeiten sei in den Industrieländern ein wachsendes Bedürfnis und in der Schweiz würden die Personaldienstleister mit Mindestlöhnen dem Lohndruck entgegentreten. Seit 2012 seien die Minimallöhne für ungelernte Temporärarbeitende um knapp 16 Prozent und jene für gelernte Arbeitskräfte um 7,8 Prozent erhöht worden. (uro)