Darum gehts
- Dank eines cleveren Zolltricks auf fertige Autos montierte GM zwischen 1936 und 1975 in Biel rund 330'000 Fahrzeuge – von Chevrolet bis Cadillac.
- Der Bieler Stadtpräsident Guido Müller schuf ideale Bedingungen für die Fabrikansiedlung: eine günstige Halle, Steuerbefreiung und Zugang zu qualifizierten Uhrenbearbeitern.
- «Montage Suisse» entwickelte sich zu einem Qualitätssiegel, sodass auch andere Hersteller wie Amag im aargauischen Schinznach-Bad eigene Montagewerke errichteten.
Hinter dem Bieler Bahnhof steht eine hohe, weitläufige Halle. Coop verkauft darin frisches Fleisch, Käse, Früchte und Eier. Es ist einer der grössten Supermärkte des Landes. Und das Produkt eines cleveren Schweizer Zolltricks.
Der amerikanische Autohersteller General Motors (GM) bezog die Halle in den 1930er-Jahren. Es duftete nach frischem Lack. Pressen kreischten. Montagelinien stampften. Durch Biel BE hallte der Sound von Detroit.
Die gleiche Idee wie Trump
Zwischen 1936 und 1975 montierte GM mitten im Seeland rund 330'000 Autos: Chevrolets, Buicks, Pontiacs – nicht am Lake Erie, sondern am Bielersee. Möglich machte das eine Zollpolitik, wie sie heute US-Präsident Donald Trump (78) propagiert. Nach der Weltwirtschaftskrise wollte der Bundesrat mit Einfuhrzöllen Industrie und Jobs retten – ähnlich wie Trump, der Fabriken von China und Mexiko in den Mittleren Westen zurückholen will.
Allerdings agierte der Bundesrat damals trickreicher. Er erhob nur Zoll auf fertige Autos, nicht aber auf Einzelteile. Die Überlegung dahinter: Schweizer Arbeiter würden aus Kotflügeln, Rädern, Motoren und Auspuffrohren komplette Autos zusammenschrauben.
General Motors liess sich darauf ein. In Holzkisten sandte der US-Konzern die Teile per Schiff und Zug in die Schweiz. Bis dahin arbeitslose Uhrenarbeiter lernten, mit grösserem Werkzeug umzugehen. Statt Uhrwerke fertigten sie nun Autos.
Die Wahl fiel nicht zufällig auf Biel. Die zweisprachige Stadt ist zentral gelegen, ans Bahnnetz angeschlossen und verfügte dank der Uhrenindustrie über Tausende Fachkräfte; viele davon auf Jobsuche.
97 Prozent der Stimmbürger sagten Ja
Taktisch klug agierte Stadtpräsident und SP-Nationalrat Guido Müller (1875–1963). Er liess auf städtischem Boden eine Halle errichten, die GM günstig mieten konnte, und befreite den Konzern fünf Jahre lang von der Gemeindesteuer. Im Frühling 1935 stimmten die Bieler über das Zwei-Millionen-Franken-Projekt ab. 97 Prozent sagten Ja. Am 5. Februar 1936 rollte der erste Wagen vom Band: ein achtzylindriger Buick. Bis Kriegsbeginn waren es rund 2000 Fahrzeuge. Während des Zweiten Weltkriegs nahm die Produktion ab. Danach kaufte GM die Halle der Stadt ab und baute in Biel eine zweite. Die goldene Zeit der Schweizer Automontage begann. Sogar Cadillacs kamen aus Biel.
Die Konkurrenz schlief nicht. 1949 eröffnete die Amag im aargauischen Schinznach-Bad eine eigene Montage, auf dem Gelände einer stillgelegten Zementfabrik. Die Aargauer montierten zollfrei importierte Teile: Plymouth, Chrysler, DeSoto, Studebaker, Dodge, dazu Standards aus England und das deutsche VW-Coupé Karmann.
«Montage Suisse» war ein Gütesiegel. Schweizer Autos galten als rostresistenter, hochwertiger ausgestattet, solide montiert. Zölle galten nicht als Hindernis des freien Handels, sondern als Werkzeug kluger Industriepolitik.
Das änderte sich 1966, als die Schweiz dem Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (Gatt) beitrat. Amag schloss zu Anfang der 1970er-Jahre das Montagewerk in Schinznach, GM zog sich 1975 aus Biel zurück. Ein Jahr später eröffnete Coop in der alten Halle einen Supermarkt. Statt Cadillacs gibt es hier heute Kaffeefilter und Duschgels.