Sind Sie schon einmal entschädigt worden, weil ihr Flug verspätet war oder ausgefallen ist? Nein? Wie Ihnen geht es den meisten Menschen – obwohl sie in solchen Fällen eigentlich Anrecht auf Entschädigung haben. Doch das Prozedere ist mühsam, dauert Monate oder Jahre. Doch damit könnte bald Schluss sein: dank der Blockchain-Technologie und dem Schweizer Start-up Etherisc.
«Wir ersetzen die traditionellen Versicherungen durch Software», sagt Gründer Stephan Karpischek (43) zu BLICK. Seine Firma Etherisc entwickelt Flugversicherungen, die komplett automatisiert sind. Es reichen wenige Klicks, um eine Versicherung für einen Flug abzuschliessen. Gespeichert wird sie in einer Blockchain. «So kriegen Kunden garantiert, was ihnen zusteht und gleichzeitig wird Versicherungsbetrug schwieriger», sagt Karpischek. Bei Verspätungen oder Flugausfällen wird dann automatisch eine Zahlung an den Kunden ausgelöst.
Wer mit Verspätung in die Ferien fliegt, hat die Entschädigung folglich schon auf dem Konto, bevor der Flieger überhaupt landet. Und das, ohne dafür nur einen Finger krümmen zu müssen.
Schweiz mischt weltweit vorne mit
«Blockchain-Anwendungen werden explodieren», sagt Ueli Maurer (68). Der Bundesrat, für viele der «heimliche Digitalminister» der Schweiz: «Die Technologie wird in den nächsten Jahren voll durchstarten.» Vergangene Woche eröffnete Maurer die Infrachain im Stade de Suisse. Es ist die erste Blockchain-Konferenz für die öffentliche Verwaltung und Infrastrukturbetreiber.
Maurer ist überzeugt: «Die Anwendungen sind gewaltig und in fast jeder Branche zu finden.»
Dass sich Politiker und Wirtschaftsführer gerade jetzt mit der Zukunft der Blockchain-Technologie in der Schweiz befassen, ist kein Zufall.
Tausende neue Jobs und keine neuen Gesetze
Die Schweiz hat sich in den vergangenen Jahren zu einem der führenden Blockchain-Standorte der Welt entwickelt. Bis heute haben sich hunderte Firmen im sogenannten Krypto-Valley niedergelassen, 3000 neue Jobs wurden geschaffen. In den nächsten Jahren soll sich deren Zahl vervielfachen. Die Ausgangslage sei gut, findet auch der designierte Bundespräsident Maurer, «aber die Schweiz darf ihre hervorragenden Karten jetzt nicht falsch ausspielen».
Ein Blockchain-Gesetz wie in anderen Ländern werde es zwar nicht geben, verrät der Bundesrat an der Infrachain. Diverse Gesetze sollen aber angepasst werden, damit die Schweiz ihre führende Stellung bewahren könne.
Das ist laut Maurer auch der Grundtenor des Berichts der Arbeitsgruppe Blockchain/ICO des Bundes, der nächste Woche veröffentlicht wird. Darin enthalten sind auch Massnahmen, um den Innovationsstandort Schweiz zu sichern.
Erste Anwendungen in Startlöchern
Experten sind überzeugt, dass Blockchains die nächste digitale Revolution auslösen werden. Weil keine Firma den Anschluss verpassen will, ist die Technologie in der Wirtschaft ein Dauerthema: Vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass die Post und die Swisscom gemeinsam eine Blockchain-Plattform für die Schweiz entwickeln. Sie soll vor allem für sensible Daten genutzt werden. Diesen Mittwoch werden die beiden Staatsbetriebe das Projekt erstmals öffentlich vorstellen.
Unabhängig davon experimentiert der Pharmakonzern Novartis genauso mit Blockchains wie der Nahrungsmittelgigant Nestlé und diverse Medienhäuser, darunter auch Blick-Herausgeberin Ringier. Die SBB arbeitet an einer eigenen Anwendungen, mit der sich Mitarbeiter ausweisen können. Und die grossen Banken und Versicherungen haben sich sogar zusammengeschlossen, um gemeinsam Blockchain-Lösungen zu entwickeln. Inspirieren lassen sich die Mega-Konzerne dabei häufig von jungen Start-ups wie Etherisc.
2019 geht die Blockchain-Post ab
Im nächsten Jahr werden Blockchain-Anwendungen zum ersten Mal ein breites Publikum erreichen. Wir werden damit beginnen, unsere Versicherungen, unsere Bankkonten und sogar unsere Identität automatisiert und nicht manipulierbar auf Blockchains zu verlagern.
Dazu muss der Konsument das komplexe Blockchain-Konzept nicht im Detail verstehen, beruhigt Blockchain-Expertin Grace Torrellas (49): «Niemand sollte sich darum kümmern müssen, wie die Technologie funktioniert. Man soll sich nur darüber freuen, dass sie funktioniert», so die EPFL- und Stanford-Absolventin.
Auch der Flugversicherungs-Plattform von Etherisc sieht man nicht an, dass dahinter eine Blockchain steht. Man merkt es nur daran, dass alles effizienter und unkomplizierter funktioniert. Ganz ohne Bürokratie, ganz ohne Papierkrieg.