BLICK macht den grossen Datentest
So viel wissen Migros und Coop über uns

Migros und Coop, mit ihren Tochterunternehmen die beiden grössten Datensammler im Land, begegnen Konsumenten täglich. BLICK macht den Praxistest.
Publiziert: 30.05.2018 um 23:47 Uhr
|
Aktualisiert: 25.05.2021 um 16:23 Uhr
BLICK-Wirtschaftschef Ulrich Rotzinger (41) stellte für den Praxistest ein Auskunftsbegehren an Migros und Coop. Zurück kam ein Papierberg an Daten. Allein die Cumulus-Auswertung in der linken Hand ist 1,4 Kilogramm schwer.
Foto: Thomas Meier
Ulrich Rotzinger

Zeige mir, was du einkaufst, und ich sage dir, wer du bist. Wahre Grossmeister in Sachen Datensammeln sind Migros und Coop. Zusammen mit ihren Tochterfirmen und Fachmärkten sitzen die beiden Detailhändler auf einem wahren Datenschatz. Per Gesetz hat jeder in der Schweiz das Recht, diesen Schatz zu heben.

Seit 1997 sammelt die Migros mit ihrem Cumulus-Programm Daten. Coop ist mit der Supercard seit 2000 aktiv. Inzwischen besitzen 3 Millionen Schweizer eine Cumulus-Karte. Eine Supercard zücken 3,2 Millionen Coop-Kunden beim Einkauf. Bei beiden Detailhändlern laufen im Schnitt 75 Prozent des Umsatzes in ihren Läden über die Kundenkarte. Das schafft kein anderer Anbieter in der Schweiz.

Auch wer keine Karte besitzt, hinterlässt im Laden oder Restaurant eine Datenspur. Und zwar immer dann, wenn er sich in die WiFi-Netze der Grossverteiler für Gratis-Internet mit Smartphone oder Laptop einloggt. Diese Daten werden mit denen von Cumulus oder Supercard bislang nicht abgeglichen. Noch nicht?

Datenstriptease ist gratis, aber aufwendig

Was die beiden Grossverteiler mit den über Jahre gesammelten Informationen von Cumulus- und Supercard-Besitzern anstellen, wissen die wenigsten. Was bereits alles möglich ist, zeigt ein Praxistest von BLICK. Der Datenstriptease ist gratis, aber mit Aufwand verbunden. Ein blosser Anruf oder ein Mail reicht nicht aus. Mittels Musterbrief oder via Web-Formular muss ein Datenauskunftsbegehren gestellt werden. Coop verlangt hierzu sogar eine Kopie des Ausweises.

Diese beiden Papierstapel an Daten lieferten Cumulus und Supercard BLICK-Wirtscharftschef Ulrich Rotzinger nach Hause.
Foto: Thomas Meier

Nach etwa vier Wochen trifft die Antwort der Migros ein. Überraschung: Statt dem erwarteten Brief liegt ein Paket im Milchkasten. Darin ein Kundenstammblatt, die Cumulus-AGB und die persönlichen Einkaufsdaten: 240 DIN-A4-grosse Seiten Kassenzettel – 1,4 Kilogramm schwer! Sie informieren über die Einkäufe, die in den vergangenen vier Jahren getätigt wurden. Weiter zurück geht die Auswertung nicht. Zum Glück, der Papierstapel wäre wohl dreimal so hoch.

Für 69'973.75 Franken bei Migros gepostet

Raus kommt aber: Seit der persönlichen Erfassung der Cumulus-Daten im März 2006 hat der Karteninhaber 69'973.75 Franken bei der Migros ausgegeben. 3850.50 Franken sind es allein im laufenden Jahr. Die vielen Male, bei denen die Cumulus-Karte zu Hause liegen blieb, sind natürlich nicht eingerechnet.

Eine der über 240 Seiten Datenauswertung, die Cumulus Wirtschaftsredaktor Ulrich Rotzinger zugeschickt hat. Auf dieser Seite ist ersichtlich, dass beispielsweise am 25.1.2014 um 15.23 Uhr Pet-Getränke und Nussstengel bei der Migros im Rheinpark gekauft wurden.

Die Migros kann dank Cumulus nicht nur die Einkaufsbeträge zusammenzählen, sondern auch auswerten, wann welche Produkte in einer bestimmten Filiale eingekauft wurden. Beispiel: Am 25. Januar 2014 um 15.23 Uhr wurden an der Kasse Nr. 82 im MMM Rheinpark zwei PET-Getränke (6.80 Fr.), eine Nussstange (2.40 Fr.) und ein Kaffee (3 Fr.) bezahlt. War das auf der Fahrt in die Skiferien? Am häufigsten taucht in der Auswertung die kleine Quartier-Migros auf oder der Migrolino in der Nähe des Arbeitsplatzes.

Mit Kunden-Daten Läden optimieren

Was nützt den Detailhändlern dieses Wissen? Sie können den Einkaufsort mit dem Hauptumsatz identifizieren und jenen, an dem am häufigsten gepostet wird. Sie wissen, wie hoch der Anteil an nachhaltigen Label-Produkten am Einkauf ist und dass zuletzt mehrheitlich das Self-Scanning genutzt wurde. Je mehr Kundendaten bei Cumulus und Supercard vorliegen, desto schärfer können sie ihr Sortiment auf das Quartier und die Kundschaft abstimmen. Leben im Quartier viele Familien, finden sich in den Supermarktregalen auch mehr Kinder- und Babyprodukte als anderswo.

Marketing-Expertin Adrienne Suvada von der Zürcher Fachhochschule ZHAW bestätigt, ein genaues Bild vom Einkaufsverhalten des Kunden diene den Grossverteilern zur Optimierung der Läden und des Angebots. Und: «Je besser die Werbe-Abteilungen die Kunden kennen, desto ausgefeilter können sie Kunden auch dazu anregen, mehr zu konsumieren. Etwa, in dem sie ein Produkt mit zusätzlichen Sammelpunkten pushen.»

So kommen Sie an die Daten

Datenauskunft bei Coop und Migros ist mit Aufwand verbunden. Ein blosser Anruf oder eine Mail reicht nicht aus. Die Migros etwa stellt auf ihrer Webseite einen Musterbrief Datenauskunftsbegehren bereit. Zur Sicherheit per Einschreiben verschicken. Coop verlangt zusätzlich noch eine Kopie des Ausweises. Beim Praxistest musste BLICK via Pressestelle der Detailhändler Druck aufsetzen, weil die Sachbearbeiter nichts von einem Auskunftsbegehren wussten (Cumulus) oder den Anfragenden immer wieder vertrösteten (Supercard).

Datenauskunft bei Coop und Migros ist mit Aufwand verbunden. Ein blosser Anruf oder eine Mail reicht nicht aus. Die Migros etwa stellt auf ihrer Webseite einen Musterbrief Datenauskunftsbegehren bereit. Zur Sicherheit per Einschreiben verschicken. Coop verlangt zusätzlich noch eine Kopie des Ausweises. Beim Praxistest musste BLICK via Pressestelle der Detailhändler Druck aufsetzen, weil die Sachbearbeiter nichts von einem Auskunftsbegehren wussten (Cumulus) oder den Anfragenden immer wieder vertrösteten (Supercard).

«Preisneutral» und «Swiss Tradition»

Migros-Sprecher Luzi Weber sagt, man nutze die Daten vor allem, um das Sortiment besser auf die Kundenbedürfnisse anzupassen. «Natürlich auch, um unseren Kunden Angebote zu machen, die für sie wirklich interessant sind.» Ein Beispiel: Sieht die Migros, dass regelmässig Windeln im Warenkorb landen, kann sie für die Treue Cumulus-Rabatte sprechen. Oder aber durch Rabatte die Aufmerksamkeit auf Produkte lenken, die bislang nicht im Körbchen landeten.

Das Stammdaten-Blatt gibt auch Informationen zur Kundensegmentierung bekannt. Der Kartenbesitzer kauft mehrheitlich «Swiss Tradition» (Produkte Schweizer Herkunft), ist «preisneutral», heisst, der Preis ist nicht das ausschlagende Kriterium, und gehört zu «Neue Familien» – Familien mit kleinen Kindern. «Aus Konkurrenzgründen», weigert sich die Migros, andere Segmentierungen offenzulegen.

Daten werden in der Gruppe weitergereicht

Auch Coop teilt die Kunden ein. Auf dem Supercard-Datenblatt steht beim Haupteinkaufskanal «vorwiegend Coop», Präferenz für nachhaltige Produkte «hoch», Interesse an Rabattangeboten «gering», Kontaktintensität mit Coop «hoch», Präferenz für günstige Produkte «mittel».

Im Auskunftsbegehren heisst es zudem: «Die in der Supercard-Datenbank über Sie gespeicherten persönlichen Daten können innerhalb der Coop-Gruppe und an Partnerfirmen weitergegeben werden.» Im Testfall sind es: Coop@home.ch, Interdiscount.ch, das Möbelhaus Toptip. Des Weiteren ist zu erfahren, dass man mit dem Selfscanner Passabene bis anhin 16 Einkäufe getätigt hat, «wobei Sie einmal kontrolliert wurden».

Die grössten Franken-Beträge liess der Karteninhaber übrigens im Heimwerkermarkt Coop Bau+Hobby liegen, ist weiter zu erfahren.

Zwar sagen auch kritische Stimmen, Coop und Migros gingen grundsätzlich verantwortungsvoll mit den Daten um. Doch Bruno Baeriswyl, Datenschutzbeauftragter des Kantons Zürich, warnt: «Als Benützer einer Kundenkarte verliere ich die Kontrolle über meine Daten. Dies kann durchaus zu meinem Nachteil verwendet werden: zum Beispiel, indem ich gewisse Angebote nicht erhalte.»

«Schockiert hat mich der Papierberg»

Kommentar von Ulrich Rotzinger, BLICK-Wirtschaftschef

Nicht einmal der Tod ist gratis, denn er kostet das Leben. Ein bekanntes Sprichwort. Auch die Rabatte und Wertbons von Coop und Migros gibts nicht gratis. Ich bezahle dafür mit persönlichen Daten.

Das bringt mich nicht aus der Ruhe. Beides sind Genossenschaften, beide agieren primär in der Schweiz. Solange die Daten im Land bleiben, ist mir das egal. Ich kann jederzeit die Daten löschen lassen.

Sie informieren transparent. Ich nehme ihnen das ab. Sie sind auch keine anonymen Datenkraken wie Facebook oder Google, die irgendwo auf der Welt sind. Deren Geschäftsmodell und Skandale (Facebook) beunruhigen mich als Konsument deutlich mehr.

Facebook habe ich nicht in mein Leben gelassen. Dessen Mitteilungsdienst WhatsApp auch nicht. Es gibt sicherere Alternativen. Schockiert hat mich nur eines: der Datenberg in Form von 1,4 Kilogramm Papier, den mir etwa Cumulus als Paket nach Hause geschickt hat.

Das ist unnötig, Papierverschwendung. Eine Zusammenfassung und den Rest per E-Mail-Datei hätte vollkommen gereicht.

BLICK-Wirtschaftschef Ulrich Rotzinger

Kommentar von Ulrich Rotzinger, BLICK-Wirtschaftschef

Nicht einmal der Tod ist gratis, denn er kostet das Leben. Ein bekanntes Sprichwort. Auch die Rabatte und Wertbons von Coop und Migros gibts nicht gratis. Ich bezahle dafür mit persönlichen Daten.

Das bringt mich nicht aus der Ruhe. Beides sind Genossenschaften, beide agieren primär in der Schweiz. Solange die Daten im Land bleiben, ist mir das egal. Ich kann jederzeit die Daten löschen lassen.

Sie informieren transparent. Ich nehme ihnen das ab. Sie sind auch keine anonymen Datenkraken wie Facebook oder Google, die irgendwo auf der Welt sind. Deren Geschäftsmodell und Skandale (Facebook) beunruhigen mich als Konsument deutlich mehr.

Facebook habe ich nicht in mein Leben gelassen. Dessen Mitteilungsdienst WhatsApp auch nicht. Es gibt sicherere Alternativen. Schockiert hat mich nur eines: der Datenberg in Form von 1,4 Kilogramm Papier, den mir etwa Cumulus als Paket nach Hause geschickt hat.

Das ist unnötig, Papierverschwendung. Eine Zusammenfassung und den Rest per E-Mail-Datei hätte vollkommen gereicht.

5 Fragen und Antworten zur DSGVO

Worum geht es bei der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)?

Die Datenschutz-Grundverordnung, die ab heute gilt, ist eine gundlegene Überarbeitung der bisherigen EU-Datenschutzregeln. Die Rechte von europäischen Konsumenten werden gestärkt und intransparentes Sammeln von Personendaten unterbunden.

Gilt die DSGVO nur in der EU?

Aber auch Schweizer Firmen können betroffen sein: Entweder wenn sie Daten von Personen in der EU sammeln oder wenn sie diesen Personen Waren oder Dienstleistungen verkaufen oder kostenlos anbieten. Für Schweizer Bürger bleibt unser Datenschutzgesetz massgebend, das nun den EU-Regeln angepasst wird.

Wie müssen sich Schweizer Unternehmen verhalten?

Hiesige Firmen, die Angebote an EU-Bürger verkaufen, deren Internet-Aktivitäten überwachen oder kostenlose Newsletter an sie versenden, sollten ihre Datenschutzbestimmungen überprüfen. Und sie müssen prüfen, ob sie eine Datenschutzvertretung in der EU zu bestimmen haben. 

Und wenn sich eine Firma nicht an die DSGVO hält?

Personen, die Datenschutzverletzungen erleiden, können sich bei der EU-Aufsichtsbehörde melden. Und Firmen, die auf Datenschutzverletzungen stossen, haben diese innerhalb von 72 Stunden zu melden.

Wie werden Verstösse sanktioniert?

Die DSGVO sieht hohe Bussgelder vor, die sich auf bis zu 20 Millionen Euro oder 4 Prozent des weltweiten Umsatzes belaufen können. Gross dürfte auch der Reputationsschaden sein – wie das aktuelle Facebook zeigt.

Worum geht es bei der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)?

Die Datenschutz-Grundverordnung, die ab heute gilt, ist eine gundlegene Überarbeitung der bisherigen EU-Datenschutzregeln. Die Rechte von europäischen Konsumenten werden gestärkt und intransparentes Sammeln von Personendaten unterbunden.

Gilt die DSGVO nur in der EU?

Aber auch Schweizer Firmen können betroffen sein: Entweder wenn sie Daten von Personen in der EU sammeln oder wenn sie diesen Personen Waren oder Dienstleistungen verkaufen oder kostenlos anbieten. Für Schweizer Bürger bleibt unser Datenschutzgesetz massgebend, das nun den EU-Regeln angepasst wird.

Wie müssen sich Schweizer Unternehmen verhalten?

Hiesige Firmen, die Angebote an EU-Bürger verkaufen, deren Internet-Aktivitäten überwachen oder kostenlose Newsletter an sie versenden, sollten ihre Datenschutzbestimmungen überprüfen. Und sie müssen prüfen, ob sie eine Datenschutzvertretung in der EU zu bestimmen haben. 

Und wenn sich eine Firma nicht an die DSGVO hält?

Personen, die Datenschutzverletzungen erleiden, können sich bei der EU-Aufsichtsbehörde melden. Und Firmen, die auf Datenschutzverletzungen stossen, haben diese innerhalb von 72 Stunden zu melden.

Wie werden Verstösse sanktioniert?

Die DSGVO sieht hohe Bussgelder vor, die sich auf bis zu 20 Millionen Euro oder 4 Prozent des weltweiten Umsatzes belaufen können. Gross dürfte auch der Reputationsschaden sein – wie das aktuelle Facebook zeigt.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.