Europa schaut gern zurück. Zum 50-Jahr-Jubiläum kommt keine Zeitung ohne – oft leicht nostalgisch verklärte – Artikel über die 68er-Bewegung aus. Sie hat die Generation meiner Eltern geprägt: die Baby-Boomer. Dasselbe werden auch jene Revolutionen tun, die noch vor uns liegen. Eine davon wird in gut 30 Jahren ausbrechen: der «Afriboom».
«Im Jahr 2050 wird jeder vierte Mensch auf diesem Planeten Afrikaner sein», durften wir am Montag in Abidjan von Alassane Ouattara erfahren, dem Präsidenten der Elfenbeinküste. Wir, das ist in diesem Fall eine Schweizer Delegation von Politikern, Ökonomen und Wissenschaftlern, die gerade fünf intensive Tage in Westafrika verbracht hat.
Was wollen denn wir Schweizer bloss in Afrika, fragen Sie sich jetzt wohl – auf diesem Kontinent, der mit allen Problemen dieser Welt zu kämpfen hat: Bevölkerungswachstum, Arbeitslosigkeit, Migration, Extremismus, Klimawandel. Nun, wir haben auf unserer Reise gemerkt, dass Afrika eben auch der Kontinent aller Möglichkeiten und Lösungen ist.
Wohlstand und Sicherheit in Afrika bedeuten am Ende dasselbe für Europa
Dafür muss Afrika jetzt aber auf eine Wirtschaft setzen, die das Wissen in den Vordergrund stellt. Wie es die Schweiz tut. Afrika sollte sich von den einen oder anderen typisch schweizerischen Prinzipien leiten lassen. Zum Beispiel sollte es sich darüber im Klaren sein, dass Wirtschaftswachstum eine solide Berufsausbildung von Jugendlichen voraussetzt. Die Schweiz hat zwar keine koloniale Vergangenheit, dafür aber eine lange Tradition von Technologie- und Wissenstransfer. Sie sollte deshalb begreifen, dass man nicht mehr nach Afrika geht, um sich zu bereichern und zu geschäften, sondern um zusammen mit den Einheimischen etwas zu produzieren und in etwas zu investieren – auch in die Freiheit.
Präsident Ouattara ist ein schlauer Fuchs. Er weiss zwar, dass bis 2050 gut 2,5 Milliarden Afrikaner auf der Erde leben, aber wo genau sich diese ansiedeln, hat er uns nicht gesagt. In Afrika? Oder in Europa? Wir haben es selber in der Hand. Denn Wohlstand und Sicherheit in Afrika bedeuten am Ende dasselbe für Europa. Wie lautet doch noch gleich ein afrikanisches Sprichwort: Nur wer sich im Süden auskennt, behält auch im Norden die Orientierung. Ob wir uns das zu Herzen nehmen? Wir sehen es in 30 Jahren.
Pierre Maudet (40) ist Sicherheits- und Wirtschaftsminister des Kantons Genf. Der FDP-Politiker ist verheiratet und Vater von drei Kindern. Er schreibt jeden zweiten Mittwoch im BLICK.