Man kann es sich heute kaum mehr vorstellen: Ein Schoggi-Prügeli, eine Tonne Waschmittel und eine Büchse Ovo kosteten bis vor 50 Jahren überall gleich viel. Egal, ob im Dorfladen im Toggenburg oder beim Konsumverein in der Stadt postete. Mit eiserner Hand wachte der Markenartikelverband Promarca darüber, dass der Handel überall seine Preisvorgaben einhielt.
Nur einer widersetzte sich dem Diktat: der 2001 im Alter von 84 Jahren verstorbene Denner-Chef Karl Schweri. Um die Leute in seine Läden zu locken, verkaufte er immer wieder Produkte unter dem vorgeschriebenen Preis. Das wirkte. Am 2. Februar 1967 brach der Damm: Promarca gab die Preise frei.
Spiegel raus, Paletten rein
Damit schlug hierzulande die Geburtsstunde der Discounter. Schweri hatte seine Läden zuvor luxuriös nach US-Vorbild ausstaffiert. Mit dem Fall der Preise mistete er radikal aus: Die teuren Holztheken, bedienten Metzgereien und verspiegelten Kosmetikabteilungen flogen raus, stattdessen wurde die Ware auf Paletten in die Läden gekarrt.
Was zählte, war nur noch der Preis: Kampfartikel waren Bier, Schnaps und Zigaretten. Dass Denner immer 20 Prozent billiger ist als die Konkurrenz, war Schweris oberste Devise. Diesem Ziel ordnete er alles unter: Er straffte das Sortiment, verzichtete auf Frischwaren und schaffte sogar Aktionen ab. Das war Harddiscount in Reinkultur.
Im Vergleich dazu sind die Discounter heute Softies. Denner schreibt Nachhaltigkeitsberichte, verkauft IP-Produkte und wirft deutsche Billig-Poulets aus dem Sortiment, wenn Tierschützer protestieren.
Die Töchter sind schöner als die Mütter
Noch weiter geht die Konkurrenz. In Deutschland liefern sich Aldi und Lidl einen brutalen Preiskampf. Ihre Schweizer Töchter geben sich hingegen hübsch und freundlich: Sie haben Luxuslinien, betreiben Backstationen, verkaufen Bio- und weitere Label-Produkte und hätscheln die Angestellten. Aldi zahlt die höchsten Mindestlöhne der Branche, Lidl Schweiz hat sogar einen Gesamtarbeitsvertrag abgeschlossen – als einzige Ländergesellschaft im ganzen Imperium. Billig sind zwar alle, aber ohne Beigemüse wären sie noch billiger.
Doch die Zeiten, als der Preis allein zählte, sind vorbei. «Man kann die Konsumenten mit Tiefpreisen reizen, aber nicht auf Dauer an sich binden», sagt David Bosshart (57), Chef des Gottlieb Duttweiler Instituts in Rüschlikon ZH.
Das musste auch Schweri erfahren: Ab den 90er-Jahren schrumpften die Umsätze. Je radikaler er seine Billigstrategie fuhr, desto schneller. Erst sein Nachfolger und Enkel Philippe Gaydoul (45) schaffte den Turnaround: Er renovierte die Läden, brachte die Frischprodukte zurück, lancierte eine Luxuslinie. Das kam an. In neun Jahren Gaydoul verdreifachte sich der Umsatz.
Der Preiskrieg findet im Ausland statt
«Heute geht es beim Konsum nicht mehr nur um die Versorgung, sondern um Erlebnis, Differenzierung, Qualität und Wohlfühlen», sagt Bosshart. Die Schweiz sei in dieser Entwicklung weiter als Deutschland. Aldi und Lidl hätten schnell gemerkt, dass die deutschen Rezepte in der Schweiz nicht taugten. «Das lieblos Maschinelle funktioniert nicht, man muss den Konsumenten Mehrwert bieten – Frische, Regionalität, Vielfalt, darum geht es», sagt Bosshart.
Der Preis sei nach wie vor wichtig und gehöre zur DNA des Discounters, sagt der heutige Denner-Chef Mario Irminger (51): «Frische, der schnelle und einfache Einkauf für den täglichen Bedarf sowie nachhaltig produzierte Produkte werden aber immer wichtiger.»
Den reinen Preiskrieg überlassen die Discounter deshalb Ketten wie Maxi und Radikal – und dem Ausland. Denn Wochenende für Wochenende pilgern Zehntausende von Schweizern über die Grenze nach Deutschland, um mit ihren starken Franken von den dortigen Dumpingpreisen zu profitieren.
Das Kilo Rinderfilet für 25 Euro zu kaufen, sei eben auch Erlebniskonsum, sagt Bosshart: «Zu Hause würde man wegen mangelnden Tierwohls meckern, in Deutschland aber greift man gierig zu und fühlt sich gut, egal, was das Tier erlebt hat.»